Eine erfolgreiche Idee aus Frankreich überschreitet die Grenze: Die genossenschaftliche Vereinigung Cap Entreprendre aus Forbach bietet „Selbständigkeit im Angestelltenverhältnis" nun auch für Saarländer an. Damit können Unternehmensgründer unsichere Anfangsjahre unter dem finanziell sicheren Dach einer Genossenschaft verbringen.
Die Bilanz liest sich gut: Mehr als 400 Jobs, 150 neue Selbstständige, 85 Beschäftigungsfelder. Der Einsatz der französischen Genossenschaft „Cap Entreprendre" aus Forbach innerhalb der solidarischen und sozialen Marktwirtschaft hat sich gelohnt. Jetzt blickt die 2004 gestartete Organisation auch ins Saarland und versucht, Interessenten mit Gründergeist für ein eigenes Unternehmen zu gewinnen. Denn die Verantwortlichen bei Cap Entreprendre sind überzeugt, dass in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Lothringen und dem Saarland noch jede Menge Gründerpotenzial zu heben ist. Vor allem junge Menschen mit Ideen und Mut sollen bewegt werden, den Weg in die Selbstständigkeit zu wagen, ob Studenten, Handwerker, Angestellte oder Personen, die beruflich nochmal durchstarten möchten.
Die Idee hinter Cap Entreprendre ist so einfach wie genial. Angehende Selbstständige sind hier für einen gewissen Zeitraum, in der Regel bis zu drei Jahren, angestellt, erhalten zur Risikominimierung ein kleines Gehalt und eine Sozialversicherung. Im Gegenzug fließen die erzielten Einnahmen an die Genossenschaft, die sich durch staatliche Unterstützung sowie Mitgliedsbeiträge von Unternehmen finanziert. Ist der Sprung in die Selbständigkeit geschafft und laufen die Geschäfte gut, entscheiden die Jungunternehmer selbst, ob sie in der Genossenschaft als angestellte Selbstständige bleiben oder ob sie auf eigenen Füßen stehen wollen. „Manche bleiben uns treu oder schaffen den alleinigen Durchbruch, andere geben ihre Idee wieder auf und finden eine reguläre Anstellung", erklärt die Leiterin Emmanuelle Beyer. Cap Entreprendre biete mutigen Interessenten ein Experimentierfeld für ihre Geschäftsideen in einem geschützten Raum, so Projektleiter Michel Pierson.
Dass man nun den Blick über die Grenzen richtet, hat auch viel mit der Wirtschaftsstruktur in Lothringen und dem Saarland zu tun. Selbstständige werden dies- und jenseits der Grenzen dringend gesucht. Außerdem kehren gut ausgebildete Menschen beiden Regionen viel zu oft den Rücken. Da kommt jede Initiative recht, die jungen Menschen eine echte berufliche Perspektive bietet. „Zumal etwas Vergleichbares zu Cap Entreprendre im Saarland nicht existiert", sagt Christine Jung aus dem saarländischen Wirtschaftsministerium. So oft und gern die Politiker die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in ihren Sonntagsreden auch hochhalten, so hapert es im Alltag leider allzu oft an bürokratischen Hürden. Schon in der Berufsausbildung in Deutschland und Frankreich treffen zwei im Ansatz grundverschiedene Welten aufeinander, angefangen bei den unterschiedlichen Ausbildungssystemen über die Finanzierung bis hin zur gegenseitigen Anerkennung der Berufsabschlüsse. Von den Sprachkenntnissen einmal ganz zu schweigen. Die neueste Studie der EU-Kommission von 2017 schreibt den europäischen Grenzregionen sogar ein rund achtprozentig höheres Bruttoinlandsprodukt zu, wenn die bürokratischen Hemmnisse komplett abgebaut würden. In der EU leben gut 30 Prozent der Bürger in Grenzregionen. Speziell zwischen Deutschland und Frankreich soll dem Thema Bildung im neuen, überarbeiteten Elysée-Vertrag in einem zusätzlichen Dokument ein eigenes Kapitel gewidmet werden. Der Wille auf beiden Seiten sei da, betont der Abgeordnete der Nationalversammlung in Paris, Dr. Christophe Arend, der zugleich Vorsitzender der deutsch-französischen Freundschaftsgruppe ist.
Versicherung und Gehalt für drei Jahre
Der politische Wille allein reicht aber nicht, um beispielsweise Saarländer für ein Engagement bei Cap Entreprendre zu bewegen. Hier sind alle grenzüberschreitend tätigen Institutionen gefragt. So wurde die Kick-off-Veranstaltung mithilfe des Institut français de Sarrebruck im Saarland organisiert.
Die Institutsleiterin Prof. Dr. Valérie Deshoulières ist zugleich Dozentin an der Universität des Saarlandes. „Auch die Unis müssen stärker raus aus ihrem Elfenbeinturm der Forschung in die wirtschaftliche Realität. Dazu gehört die Unterstützung solcher Initiativen wie Cap Entreprendre."
Und es gibt bereits jede Menge positive Beispiele wie Inès Corinto erzählt. Sie studiert Wirtschaftswissenschaften an der Université de Lorraine und übt sich bei Cap Entreprendre in der Selbstständigkeit. Oder Anne-Marie Will, die als Sprachenlehrerin von einer staatlichen Schule den Sprung in die Selbstständigkeit als Privatdozentin gepackt hat. Selbst ungewöhnliche Karrieren wie die der einstigen Übersetzerin und Direktionsassistentin Annie John können funktionieren. Sie hat als Aromatologin ihr Hobby zum neuen Beruf gemacht und arbeitet heute unter dem Schutzdach von Cap Entreprendre. Denn, so sagen alle einmütig, es gebe nichts Schlimmeres als jeden Tag einen Job zu verrichten, der überhaupt keinen Spaß mache. Schließlich müsse man sich darauf einstellen, künftig länger, aber dafür auch viel flexibler zu arbeiten. „Nie zuvor gab es so viele Möglichkeiten und finanzielle Hilfen, um sich selbstständig zu machen wie heute. Man braucht zuallererst eine gute Idee und den Mut. Das andere kommt von selbst", so Emmanuelle Beyer.