Annegret Kramp-Karrenbauer kämpft um den Vorsitz in der CDU. Ihre Mitbewerber versucht sie genauso auf das Abstellgleis zu stellen, wie es die SPD einst mit Martin Schulz machte. Doch reichen ihre Strategien für das höchste Amt bei den Christdemokraten aus?
„Nur die Ruhe, nur die Ruhe", sagt Annegret Kramp-Karrenbauer zu den anwesenden Kameraleuten, als sie den großen Saal der saarländischen Landesvertretung betritt. Die Berliner Politik-Fotografen drängeln sich um die 56-Jährige, die ihre Kandidatur für den CDU-Vorsitz erläutern will. Das Geschrei ist auf den roten Teppichen der Berliner Hauptstadt zwar etwas größer als hier in der Landesvertretung, der Kampf ums beste Bild bleibt jedoch. Doch „AKK" weiß die Situation zu beruhigen und zu ordnen. Ebenso klar führt der saarländische CDU-Generalsekretär Markus Uhl als Moderator die Menge. Uhl, der hier in Berlin Bundestagsabgeordneter ist, gibt den Fotografen die branchenübliche Minute, bevor er sie höflich aber bestimmt zum Platznehmen auffordert. Die Fotografen folgen widerstandslos. Kein Zweifel: Das Gespann AKK-Uhl vermittelt schon durch ihr erstes Auftreten bei der Pressekonferenz einen gewissen Führungsanspruch. Es gilt offensichtlich der alte Bundeswehrspruch: „Wer nicht führt, wird geführt". Dementsprechend führen die beiden CDU-Generalsekretäre aus Bund und Land. Atmosphärisch unterscheidet sich diese Pressekonferenz jedenfalls in keiner Weise von denen im Kanzleramt oder in den Bundesministerien.
Ruhig, geordnet, angebotsorientiert
Verblüffend: Die Entourage um die Generalsekretärin ist sehr klein. Die üblichen Sicherheitskräfte der Abteilung Personenschutz des Bundeskriminalamts laufen nicht mit. Zwar gibt es in der Landesvertretung ausreichend Security, flankieren lässt sich AKK von ihr jedoch nicht. Auch damit vermittelt die Kandidatin für die CDU-Spitze den Eindruck, dass sie für ihren Auftritt nicht auf möglichst staatsmännische Fotos setzen muss. Noch nicht. Es geht ja auch erst mal „nur" um den Parteivorsitz. Ihren Anspruch auf die Kanzlerschaft wird die gebürtige Völklingerin später geltend machen.
Kramp-Karrenbauer will keinen offenen Kampf mit ihren Kontrahenten Friedrich Merz und Jens Spahn. Nein, vielmehr mache sie der Partei ein „Angebot". Es geht der Saarländerin um innere Sicherheit, Digitalisierung, den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Eine dezente Spitze gegen Friedrich Merz kann sie sich dennoch nicht verkneifen. Es wäre viel gewonnen, wenn Merz seine Expertise in die Vereinfachung des Steuerrechts einbringen könnte, vielleicht könne man ja sogar eine „Steuer-App" aus der Partei heraus entwickeln. Das hat gesessen. Völlig ungeniert weist AKK Friedrich Merz hier eine Position als kleineres Rädchen im Getriebe zu.
Doch auch die ehemalige saarländische Ministerpräsidentin muss einstecken. Bei der ersten von acht bundesweit stattfindenden Regionalkonferenzen in Lübeck wird der Kampf der drei Anwärter um den Parteivorsitz schon offenbarer. Merz, Kramp-Karrenbauer und Spahn stehen nebeneinander an einem Tisch, der für die beiden groß gewachsenen Herren etwas zu niedrig und für AKK etwas zu hoch ist. Spahn knöpft sich die Saarländerin ganz zum Schluss der dreistündigen Vorstellungsrunde der drei Kandidaten vor. Fast beiläufig und im Plauderton erinnert der Westfale die „Annegret" (wie er sie nennt) daran, dass sie vor gar nicht allzu langer Zeit die gleichgeschlechtliche Ehe in die Nähe von Inzest und Polygamie gerückt habe. Ein schwerer Fehler, gleichwohl lehnte Kramp-Karrenbauer eine Entschuldigung ab und blieb bei ihrer Position. „Du hast eine andere Auffassung, was Ehe angeht", betont Spahn, der mit einem Mann verheiratet ist und er fügt hinzu: In einer Diskussion über unterschiedliche Haltungen müsse es auch möglich sein, die Unterschiede zu benennen. Sonst sei eine Diskussion sinnlos. Da hat Spahn recht. Dieser Haltung ist nichts entgegenzusetzen, und so schweigt die angesprochene „Annegret" nickend und bleibt dabei ruhig neben dem deutlich größeren Spahn stehen.
Der Gesundheitsminister setzt als einziger der drei Anwärter auf ein wenig Attacke. Friedrich Merz wirft er vor „wankelmütig" zu sein, nachdem dieser zunächst Sympathie für eine europäische Arbeitslosenversicherung erklärt hatte, seine Haltung später aber ein Stück weit relativierte. Und überhaupt: „200.000 Menschen inklusive Familiennachzug sind zu viel", schneidet Spahn das Dauerthema Migration an, das in Lübeck in den drei Stunden zuvor keine Erwähnung gefunden hat. „Es gibt Grenzen dessen, was eine Gesellschaft an Aufnahme leisten kann", so der Minister. In dieser Klarheit haben sich zuvor weder Merz noch AKK geäußert.
Friedrich Merz tritt sowohl bei der Ankündigung seiner Kandidatur in der Bundespressekonferenz als auch beim Regionaltermin in Lübeck ohnehin betont zurückhaltend und smart auf. Er lässt am Satzende gern eine kunstvolle Pause, um dem Gesagten mehr Bedeutung zu verleihen. Beobachter fühlen sich an den früheren Außenminister Guido Westerwelle erinnert, der den eigenen Worten ebenfalls gern nachspürte. Keine Frage, diese Vorgehensweise vermittelt Souveränität.
Der Hype um die Kandidatur von Merz war anfangs riesig, der Quasi-„Messias" aus dem sauerländischen Brilon gibt sich die Ehre, die Bundes-CDU zu retten. 40 Prozent seien möglich, zudem traue er sich zu, die AfD zu halbieren. Jens Spahn will vor allem Vertrauen zurückgewinnen und verweist auf den nicht fertig gestellten Berliner Flughafen, die Wohnungsnot, die Dieselfrage und die innere Sicherheit. Wenn Annegret Kramp-Karrenbauer gegen die beiden Männer bestehen will, muss sie punkten.
„Merkels Mädchen" muss eigenen Stil finden
Doch darin hat sie ein gerüttelt Maß an Erfahrung. Als Martin Schulz Anfang 2017 mit hundertprozentigem Rückenwind seiner SPD in den Bundestagswahlkampf startete, sah es zunächst gut für den Kandidaten aus Würselen aus. Der sogenannte Schulz-Zug nahm Fahrt auf, entwickelte sich schnell zum Hochgeschwindigkeitszug à la TGV. AKK war zur selben Zeit die Regierungschefin des ersten der drei Bundesländer, in der die wichtigen Landtagswahlen stattfanden. Das Saarland, NRW und am Ende Schleswig-Holstein sollten der Stimmungstest für die im Herbst anstehende Bundestagswahl sein. Die Partei, die jeweils auf Landesebene gewinnen sollte, hatte gute Chancen, später auch im Bund erfolgreich zu sein. „Wenn wir NRW gewinnen, gewinnen wir auch die Bundestagswahl", frohlockte Martin Schulz bei seiner Wahl zum Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten. Der Druck für Annegret Kramp-Karrenbauer war hoch: Würde die Saarland-Wahl für die CDU schlecht ausfallen, könnte dies eine Kettenreaktion zum Nachteil der Christdemokraten in Gang setzen. Doch es war Kramp-Karrenbauer, die den Schulz-Zug zuerst ausbremste und später schließlich vollständig zum Entgleisten brachte. Das Erfolgsrezept: Die Püttlingerin setzte stoisch ihre Wahlkampf-Termine fort, besuchte Feste, sprach auf Versammlungen und hielt viel persönlichen Kontakt zu den Bürgern ihres Landes. Am Ende gewann sie damit die Wahl. Aber reicht diese Vorgehensweise auch für Berlin, für den Vorsitz in der Bundespartei?
Wenn Kramp-Karrenbauer sich deutlich von Angela Merkel unterscheiden und die Delegierten genauso wie die Republik davon überzeugen will, dass die Christdemokraten einen echten Neuanfang wagen, dann muss sie anders als Angela Merkel auftreten. Merkel, die bekanntermaßen keine begnadete Rednerin ist, zumeist sehr monoton spricht und nur auf Wahlkampfbühnen kraftvoll-emotional aus sich herausgeht, kann nicht das Vorbild für AKK sein. Weder rhetorisch noch inhaltlich. Mit ihrem Vorstoß, straffälligen Asylbewerbern ein lebenslanges Einreiseverbot für den Schengen-Raum zu erteilen, hebt sich die Saarländerin bereits jetzt deutlich von Merkel ab. Die Forderung, die in vielen Ländern und Regionen dieser Welt bereits gelebte Praxis ist, hat und hätte Merkel nie erhoben. Jetzt muss sich die Generalsekretärin auch im Stil von Merkel abgrenzen. Der gebürtigen Hamburgerin Merkel sagte man anfangs nach, sie sei „Kohls Mädchen" gewesen. Damit AKK nicht „Merkels Mädchen" wird, muss sie einen eigenen, vor allem auch mitreißenden Stil entwickeln. Ihre Kontrahenten Friedrich Merz und Jens Spahn tun dies bereits aufgrund ihrer politischen und persönlichen Biografie. Ob es jetzt ausreicht, einfach ruhig zu bleiben und so den Parteivorsitz zu ergattern, wird sich zeigen. Ein wenig mehr Lebhaftigkeit könnte der Debatte jedenfalls nicht schaden. Ein gutes Vorbild wäre Barack Obama, der als Präsident besonnen und mitreißend zugleich sein konnte. Merkel gelang und gelingt der Spagat nur sehr selten. Es liegt an Annegret Kramp-Karrenbauer jetzt zu zeigen, dass Besonnenheit durchaus nichts mit Langeweile zu tun hat.