Vor der Europawahl im kommenden Mai ist die SPD-Führung verstärkt auf der Suche nach sich selbst. In mehreren Debatten-Camps hat nun die Basis das Wort. Die Partei sucht ihren Weg zurück zur Volkspartei.
Großes Interesse: Weit mehr als 6.000 Parteimitglieder haben sich am ersten Debatten-Camp der Sozialdemokraten in Berlin beteiligt. Auf dem Gelände des ehemaligen DDR-Rundfunks präsentierten sich wie auf einer Messe Unterorganisationen der SPD und die, die der Sozialdemokratie nahestehen – von der SPD-Linken bis zum konservativen Seeheimer Kreis, vom DGB bis zur Arbeiterwohlfahrt. Doch ein Kritikpunkt einte alle, die da mitdiskutierten: „Jetzt über Veränderungen reden und erst in einem Jahr auf dem SPD-Parteitag eine neue Linie festlegen –
das geht gar nicht!" Für viele ein weiterer Beweis, dass die „alte Tante SPD" immer noch nicht im reaktionsschnellen digitalen Zeitalter angekommen ist.
Nico Mario Heine
(15, aus Rüdersdorf/Brandenburg) ist durch den Schulz-Hype in die SPD gekommen. Im kommenden Jahr macht er sein Abitur.
„Wo wir als SPD unbedingt dran arbeiten müssen, ist die Netzpolitik. Momentan habe ich den Eindruck, als würde die SPD gar nichts gegen eine Zweiklassengesellschaft im Internet haben: Die, die mehr zahlen, kommen auf den DatenHighway – und der Rest kann sehen, wo er bleibt. Und damit meine ich derzeit gar nicht den Unterschied zwischen Stadt und Land. Sondern nach dem Glasfaserausbau wird es so sein, wer beim Provider mehr zahlt, kommt auf die Überholspur, die anderen nicht. In der SPD habe ich da noch nichts dagegen gehört. Entweder finden die Genossen das gut, oder sie verschlafen gerade das ganze Thema."
Victoria Hiepe
(22, aus Potsdam/Brandenburg) kämpft seit sechs Jahren in der SPD vor allem für soziale Gerechtigkeit. Sie zählt sich zum ganz linken Flügel der Partei.
„Die SPD-Führung macht momentan unheimlich auf hip und digital, aber die Inhalte stimmen nicht, die sind weiterhin analog. Das fängt bei der Agenda-Politik an: Da will man jetzt Hartz IV ganz schnell vergessen machen, aber Hartz ist nun mal ein Baustein der Agenda-Politik. Der gesamte Tarifsektor in der Lohnarbeit ist durch diese falsche SPD-Politik ausgehöhlt worden. Weg mit der Leiharbeit, das gehört sofort verboten! Auf der kommunalen Ebene hat die SPD fast zwei Jahrzehnte eine katastrophale Privatisierungspolitik mitgetragen. Da wurden Rathäuser, Wasserwerke, Elektrizität oder Müllabfuhr privatisiert. Die Bürger und vor allem die sozial Schwachen haben das alles mit höheren Verbraucherpreisen bezahlt. Das war klassische Klientelpolitik, die die SPD da zu verantworten hat – davon müssen wir uns jetzt erst mal verabschieden, sonst kann es keinen Neuanfang geben."
Florian Lechner
(27, aus Wismar/Mecklenburg-Vorpommern) ist seit neun Jahren Parteimitglied. Er rechnet sich selbst zum bürgerlichen Lager.
„Wir dürfen jetzt Hartz IV nicht verteufeln und schon gar nicht unsere Agenda-Politik. Eines ist sicher, und das bestätigen Ihnen auch die Linken in unserer Partei hinter vorgehaltener Hand: Ohne diese Agenda wären wir die letzten Jahren nicht so unbeschadet zum Beispiel durch die Finanzkrise gekommen. Das soll aber nicht heißen, dass wir zum Beispiel Hartz IV nicht weiterentwickeln müssen. Denkbar wäre da zum Beispiel das solidarische Grundeinkommen.
Michael Picke
(35, aus Passau/Bayern) hat seit 15 Jahren das rote Parteibuch. Er gehört zu den konservativen „Seeheimern" in der SPD.
„Ich glaube, so schwierig ist es gar nicht, die SPD wieder flott zu kriegen. Wir sollten uns intern weniger streiten, und wenn es zu Meinungsverschiedenheiten kommt, sollten diese nicht gleich nach außen getragen werden. In der vorherigen, aber auch in der derzeitigen Regierung wird vor allem SPD-Politik umgesetzt – das sollten wir einfach mal ein bisschen besser kommunizieren! Jetzt aus der Groko auszusteigen, wäre ein absoluter Fehler, denn jetzt können wir noch mitgestalten und das Schlimmste verhindern. Wenn wir nicht mehr in der Regierung sind, müssen wir auch nicht mehr gefragt werden. Wie sagte einer unserer ehemaligen Vorsitzenden so schön: ‚Opposition ist Mist!‘"
Myriam Riedel
(38, aus Verden an der Aller/Niedersachsen) ist seit elf Jahren in der SPD und gehört zum Forum Demokratische Linke.
„Ich bin froh, dass nun auch die Parteiführung endlich begriffen hat, dass wir uns von Hartz IV als SPD verabschieden müssen. Eine Alternative dazu wäre das solidarische Grundeinkommen. Für diese Idee sind wir, die Demokratischen Linken in der SPD, vor nicht allzu langer Zeit noch schief von der Seite angeguckt worden. Wie dieses solidarische Grundeinkommen dann nachher aussehen wird, da werden wir sicherlich noch reichlich drüber debattieren. Aber die Richtung in der SPD stimmt endlich wieder."
Marius Rohde
(16, aus Berlin-Neukölln) ist erst seit drei Monaten Mitglied in der SPD.
„Im kommenden Sommer werde ich hoffentlich mein Abitur in der Tasche haben und will dann studieren. Ich habe auf jeden Fall Anspruch auf Bafög. Aber schon jetzt ist klar, ich werde auf jeden Fall nebenbei arbeiten gehen müssen. Das ist nicht okay, denn damit kann ich mich nicht voll um mein Studium kümmern und zum Beispiel in den Semesterferien Praktika absolvieren oder andere freiwillige Seminare besuchen. Wir sollen nach Möglichkeit mit dem Studium allerspätestens mit 24 fertig sein, man legt uns aber Steine in den Weg. Dazu kommt: Ich jobbe nebenbei, werde aber bei meinen Eltern wohnen bleiben müssen, da ich selbst für ein Zimmer in einer Studi-WG die Miete nicht aufbringen kann. Dieses Problem ist nicht wirklich neu, doch wir in der SPD haben da noch keine Antwort gefunden."
Sabrina Schneider
(28, aus Freiburg/Baden-Württemberg) ist Referentin einer SPD-Landtagsabgeordneten. Seit sechs Jahren ist sie selbst Parteimitglied und rechnet sich eher der linken bürgerlichen Mitte zu.
„Es ist doch geradezu verrückt, heute einer Familie noch eine 40-Stunden-Woche zuzumuten! Denn eines ist klar: Beide Partner müssen arbeiten, anders kann man das Leben in einem Ballungsraum wie Stuttgart gar nicht finanzieren. Dann soll man auch noch den Rest unter einen Hut kriegen … Darum bin ich für die Familienarbeitszeit, also wie von Manuela Schwesig vorgeschlagen, die 32-Stunden-Woche – selbstverständlich bei vollem Lohnausgleich. Auch wenn Kinder da sind, sollten auch Frauen wieder arbeiten können, das ist für ihre Entwicklung ganz wichtig. Aber: Acht Stunden arbeiten, Kinder betreuen und dann womöglich noch ein Ehrenamt, das funktioniert nicht."
Sally Starken
(28, aus Bielefeld/Nordrhein-Westfalen) ist seit fünf Jahren in der SPD.
„Wir als SPD müssen auch in der Europapolitik wieder mehr Flagge zeigen, wie das zum Beispiel derzeit Finanzminister Olaf Scholz macht. Er kämpft gegen erhebliche
Widerstände für eine Stabilisierung und Vereinheitlichung der Europäischen Arbeitslosenversicherung. Eine solche Maßnahme ist unter anderem ein wichtiges Mittel, um die Armutsmigration innerhalb Europas zu verhindern. Dann müssen wir endlich ernsthaft über eine europäische Armee diskutieren. Die bloße Vision der Kanzlerin reicht da nicht aus. Denn wir brauchen keine weitere 28. Armee in Europa – sondern eine Armee, die dem europäischen Friedensprojekt dient."