Seit 1906 die erste Augenhornhaut verpflanzt wurde, hat die Transplantationsmedizin viele Fortschritte erzielt. Doch sich über eine Organspende Gedanken zu machen, ist immer noch nicht selbstverständlich. Ein Überblick über die Geschichte und heutige Praxis der Transplantation.
Was passiert mit uns nach dem Tod? Die Möglichkeiten der modernen Medizin haben diese Frage seit ungefähr 40 Jahren um einen eigentümlichen Aspekt erweitert: den Umgang mit dem Körper als Einheit, dem einzelne Elemente postmortal entnommen werden, um sie bei einem anderen Menschen einzusetzen. Der Wunsch, erkrankte Organe zu ersetzen, ist bis in frühgeschichtliche Epochen zu verfolgen. Wirklich dokumentiert sind erstmals Hauttransplantationen, sie fanden im 19. Jahrhundert statt. Der Wiener Arzt Emerich Ullmann verpflanzte 1902 einem Hund dessen Niere in den Nackenbereich. 1906 gelang dann die erste Augenhornhauttransplantation. Im selben Jahr scheiterte die Übertragung einer Niere von einem Tier auf den Menschen. 1933 verpflanzte Dr. Yu Yu Voronoy in Kiew erstmals die Niere eines Verstorbenen auf einen Menschen. Am 23. Dezember 1954 glückte Joseph Murray in Boston die Transplantation einer Niere von einem eineiigen Zwilling auf den nierenkranken anderen Zwilling. Die Hemmung des Immunsystems erfolgte bis zur Einführung des ersten Immunsuppressivums im Jahre 1962 mittels Kortisongabe und Ganzkörperbestrahlung. Nach Entdeckung der Rolle der Gewebemerkmale und deren Beachtung in der klinischen Medizin stellt die Entdeckung und Entwicklung des Wirkstoffes Ciclosporin durch Borel 1976 einen Meilenstein in der Transplantationsmedizin dar. Die dadurch deutlich gesenkte Rate von Abstoßungsreaktionen ließ die Transplantation von Organen und Geweben langsam zu einem Routineverfahren werden. Die Verabschiedung eines eigenen Transplantationsgesetztes durch den Deutschen Bundestag 1997 brachte Deutschland in die Reihe der in der Transplantationsmedizin und Transplantationsethik führenden Länder. Die rechtlichen Regelungen zur Organspende und Organtransplantation lassen keinen Raum für intransparente Situationen und stellen eine klare Grenzziehung an jegliche Formen des kommerziellen Organhandels dar.
Was ist eine Organtransplantation?
Bei einer Organtransplantation handelt es sich um das Verpflanzen (lateinisch: transplantare) von funktionstüchtigen Organen oder Geweben eines Verstorbenen auf einen schwer kranken oder beeinträchtigten Menschen. Ziel solcher Operationen ist es, mithilfe der verpflanzten Organe oder Gewebe dem Kranken die verloren gegangene Funktion eigener Organe oder Gewebe wiederzugeben. Insbesondere folgende Organe lassen sich derzeit transplantieren: Herz, Lunge, Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse und Darm. Sie stammen von medizinisch geeigneten Verstorbenen. Bis zur Organentnahme wird der Blutkreislauf im Körper der Verstorbenen aufrechterhalten. Für eine Niere oder einen Teil der Leber oder anderer Organe kommt unter bestimmten Umständen eine Lebendspende in Betracht. Zu den Geweben, die sich verpflanzen lassen, gehören die Gehörknöchelchen des Mittelohrs, die Hornhaut der Augen oder das Amnion, ein Bestandteil der Fruchtblase. Gerade Letztere ist vielen Menschen gar nicht bekannt, wird aber in der Dermatologie und der Augenheilkunde mit beachtlichen Erfolgen genutzt (siehe Seite 34). Eine zunehmende Anzahl von Organtransplantationen kommt durch Lebendspenden zustande: Dabei stellen engste Verwandte, Ehepartner oder andere nahestehende Personen dem Patienten entweder eine Niere von sich oder einen Teil ihrer Leber zur Verfügung.
In der Frage für oder gegen die Organspende ist es wichtig, sich selbst überhaupt erst einmal damit zu beschäftigen. Dass eine Spende Leben retten kann, ist ein schlagkräftiges Argument pro Organspende und aus Sicht der Transplantationsmedizin wünschenswert wie auch richtig. Doch es gibt Einwände aus religiöser oder philosophischer Sicht, die in der persönlichen Gewichtung mehr Bedeutung haben können. Ein Organspendeausweis dokumentiert die eigene Entscheidung zweifelsfrei. Das ist insofern bedeutsam, dass im Fall der Fälle kein Angehöriger darüber ein Urteil fällen muss, ob der eigene, nun hirntote Körper noch einer medizinischen Verwendung zugeführt werden soll. Angesichts der Verlusterfahrung und Trauer werden hierbei in Familien Fragen und Gedanken geweckt, die sehr schmerzen. Der eigene Organspendeausweis ist deswegen nicht nur eine Entscheidungsdokumentation, er schützt auch die Nahestehenden vor der Belastung, eine Entscheidung im Sinne des Toten treffen zu müssen.
Bessere Aussichten für Empfänger
Dank vielfältiger medizinischer Fortschritte sind die Erfolgsraten für alle transplantierbaren Organe ständig gestiegen. Hierbei unterscheiden sich die Raten nach Transplantationen von Organen verstorbener beziehungsweise lebender Spender, bei Nieren sind bis zu 82 beziehungsweise 93 Prozent der transplantierten Organe nach einem Jahr noch funktionstüchtig. Nach fünf Jahren arbeiten bis zu 68 beziehungsweise 82 Prozent der Spendernieren. Bei Herz-, Leber-, Lungen- und Bauchspeicheldrüsen-Transplantationen liegen die Erfolgsraten nur geringfügig darunter. Für alle transplantierbaren Organe gilt: Der Bedarf übersteigt die Zahl der gespendeten Organe, und transplantiert werden, mit Ausnahme von Lebendspendern (etwa Niere) nur Organe von hirntoten Menschen. Daher muss ein Patient im Durchschnitt vier bis fünf Jahre auf ein passendes Spenderorgan eines Verstorbenen warten.
Voraussetzung Hirntod
Der Hirntod ist definiert als der endgültige Ausfall der Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm (Gesamthirntod). Mit dem Ausfall aller Hirnfunktionen hat der Mensch nach der gegenwärtigen Lesart aufgehört, ein Lebewesen in körperlich-geistiger Einheit zu sein. Mit dem Verlust der integrativen Steuerungsfunktionen des Gehirns ist jede Möglichkeit der bewussten Wahrnehmung, damit auch der Schmerzempfindung und des Denkens, unwiederbringlich verloren. Die Hirntoddiagnostik als Voraussetzung für eine Organ- oder Gewebeentnahme müssen nach dem Transplantationsgesetz zwei Fachärzte unabhängig voneinander vornehmen. Der Ablauf dieser klinischen und apparativen Untersuchung ist durch die Richtlinien der Bundesärztekammer exakt vorgeschrieben (mehr dazu auf Seite 24).
Eine Menge Organisation erforderlich
Steht nach durchgeführter Hirntoddiagnostik fest, dass sich auf der Intensivstation einer Klinik ein geeigneter Spender befindet, informieren die Ärzte die nächstgelegene Organisationszentrale der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Im Falle einer Zustimmung zur Organspende, entweder durch das Vorliegen eines Organspendeausweises oder durch die Bekanntgabe des Willens des Verstorbenen durch die Angehörigen, veranlasst die DSO die erforderlichen Laboruntersuchungen und medizinischen Tests. Dann wird die Organentnahme vorbereitet und die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant informiert. Die gemeinnützige Stiftung Eurotransplant ist für die Vermittlung der entnommenen Organe nach medizinisch begründeten Regeln zuständig. Ist ein geeigneter Empfänger ermittelt, werden die entnommenen und konservierten Organe in die betreffenden Transplantationszentren transportiert und dort verpflanzt. Die DSO erstattet die Personal- und Sachkosten, die durch eine Organspende anfallen. Sie bezahlt die Untersuchungen und den Transport der Spenderorgane zu den Transplantationszentren. Das entsprechende Budget wird der DSO über die Spitzenverbände der Krankenkassen zur Verfügung gestellt. Die Kosten für die Transplantation des Spenderorgans übernimmt die Krankenversicherung des Empfängers.