Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) möchte die Transplantationsmedizin in Deutschland auf zwei Ebenen voranbringen. Während das geplante Gesetz zur Strukturverbesserung der Kliniken vermutlich 2019 ohne großen Widerstand in Kraft treten dürfte, wird über den Vorschlag einer Organspende-Widerspruchsregelung heiß diskutiert.
Das Bundeskabinett hat Ende Oktober den Entwurf eines „Zweiten Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende (GZSO)" zugestimmt. Das Gesetz soll bereits in der ersten Jahreshälfte 2019 in Kraft treten. „Das Hauptproblem bei der Organspende ist nicht die Spendebereitschaft. Die hat in den vergangenen Jahren sogar zugenommen", erklärt Jens Spahn. „Ein entscheidender Schlüssel liegt vielmehr bei den Kliniken. Ihnen fehlen häufig Zeit und Geld, um mögliche Organspender zu identifizieren."
Organspende fördern
Die geplante Änderung des Transplantationsgesetztes strebt folgende Ziele an:
• Verbindliche Vorgaben für die Freistellung der Transplantationsbeauftragten (die für Organspenden zuständig sind) und Stärkung ihrer Rolle in den Kliniken
• Mehr Geld für sogenannte Entnahmekrankenhäuser
• Ärztliche Unterstützung für kleinere Entnahmekrankenhäuser
• Bessere Identifikation und Erfassung potenzieller Organspender
• Transparentere Dokumentation von Abläufen und Zuständigkeiten müssen klar und nachvollziehbar dokumentiert werden.
• Bessere Betreuung für Angehörige
Widerspruchsregelung
Deutlich umstrittener als das oben genannte Gesetz ist der Vorschlag des Bundesgesundheitsministers, in Deutschland eine sogenannte Widerspruchslösung einzuführen, wie sie bereits in anderen Ländern angewendet wird. Spahn strebt bis Mitte 2019 eine Entscheidung des Bundestags zu möglichen neuen Regeln für Organspenden an. Spahn bekräftigte, dass er als Abgeordneter mit anderen einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf erarbeiten will. Daneben werde es auch andere Anträge mit verschiedenen Positionen geben.
Spahn wirbt angesichts niedriger Organspendezahlen für eine Umstellung auf eine doppelte Widerspruchslösung. Das bedeutet, dass jeder Bürger als Spender gilt, außer, er lehnt dies zu Lebzeiten ausdrücklich ab oder die Angehörigen sagen Nein. Bisher gilt das umgekehrte Prinzip, wonach Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärter Zustimmung erlaubt sind. Für Menschen ohne Angehörige oder Vormund bedeutet dies: Wer seinen Willen zu Lebzeiten nicht schriftlich festgehalten hat, wird im Falle einer Hirntod-Diagnose automatisch zum Organspender.
Vorbilder im Ausland
Spahns Vorbilder sind Belgien, Estland, Finnland, Litauen und Norwegen. Hier gilt bereits eine Widerspruchsregelung mit Einspruchsrecht der Angehörigen. Deutlich mehr Länder sind noch rigoroser und räumen den Angehörigen kein Vetorecht ein. In Europa sind dies Bulgarien, Frankreich, Irland, Italien, Lettland, Liechtenstein, Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, die Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, die Türkei, Ungarn und Zypern.
Spahn hat bewusst noch keinen Gesetzesentwurf vorgelegt. Mit seinem Vorschlag der doppelten Widerspruchsregelung nach der Sommerpause will er zuerst die Stimmungslage ausloten und zu Alternativvorschlägen anregen. Der CDU-Gesundheitsexperte im Bundestag, Michael Hennrich, hat schon einen Vorschlag: Er möchte Bürger mit Organspendeausweis belohnen. Falls die selbst ein Spenderorgan benötigen, sollen sie auf der Warteliste nach oben rutschen. Patientenschützer sehen so ein Belohnungssystem kritisch. Das sei „sozialer Sprengstoff", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur. Der Vorschlag schlösse Kinder aus. Auch könnten Menschen ihre Spendenbereitschaft ja erst nach der Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit erklären. Brysch fordert seit Längerem, das komplette Organspendesystem zu verstaatlichen.
Gegenwind
In der Debatte über neue Organspende-Regeln hat sich eine Gegeninitiative im Bundestag formiert. Mit dabei CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger. Er erklärte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, es könne nicht sein, dass ein „Nichts-Sagen" als Zustimmung zur Organspende gewertet werde. Abgeordnete von Union, SPD, Grünen, Linken und FDP seien mit im Boot. Pilsinger selbst plädierte für eine verbindliche Entscheidungslösung, wonach alle Bürger beim Ausstellen eines neuen Personalausweises oder der Gesundheitskarte befragt werden könnten, ob sie Organspender sein möchten. Jens Spahn begrüßt sogar die fraktionsübergreifende Initiative gegen die von ihm favorisierte Widerspruchslösung bei der Organspende. Es gebe ja gewichtige Gegenargumente, und die müssten Teil der Debatte sein, sagte Spahn der „Passauer Neuen Presse". „Breite, auch mal kontroverse Debatten um wichtige Themen, sind der beste Weg, um Vertrauen zurückzugewinnen." Nach der Debatte müsse aber auch entschieden werden, mahnte Spahn. Er wolle eine Gesetzesvorlage ausdrücklich als Abgeordneter und nicht als Minister einbringen.
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, lehnt die Widerspruchslösung ab. Mit einer solchen Regelung müsste man von „Organabgabepflicht" statt von „Organspende" sprechen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Das würde einen „fundamentalen Paradigmenwechsel" darstellen. Der Theologe Dr. Martin Dutzmann, Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, erklärt gegenüber FORUM: „Gemeinsam mit der katholischen Kirche lehnen wir eine Widerspruchslösung ab. Die Vorstellung des Menschen als Organlieferant entspricht nicht unserem christlichen Menschenbild." Die gegenwärtige erweiterte Zustimmungslösung sei angemessener. Alternativ diskutiere man in der Kirche über eine Entscheidungslösung, das heißt, ob man Menschen in einer bestimmten Situation konkret nach ihrer Spendebereitschaft fragt. Eine Entscheidungslösung haben zum Beispiel die USA. Dort wird jeder Bürger bei der Führerscheinprüfung gefragt, ob er Organspender sein will. Falls ja, bekommt er einen Hinweis auf den Führerschein. „Gut wäre auch ein zentrales Organspenderegister", so Dutzmann. Er plädiert außerdem für eine Verbesserung der Transplantations-Infrastruktur. „In den organisatorischen Rahmenbedingungen ist noch viel Luft nach oben – das sollte ein erster Schritt sein." Daher unterstützt Dutzmann die neue Änderung des Transplantationsgesetzes „ohne Wenn und Aber."
Die Angehörigen-Initiative „Kritische Aufklärung über Organtransplantation KAO e.V." hat eine Online-Petition an Jens Spahn gestartet. Darin heißt es: „Ohne Aufklärung über die genauen Abläufe vor und während einer Organentnahme und die Risiken der Hirntoddiagnostik für den Spender (...) kann weder der Einzelne noch die Gesellschaft eine mündige Entscheidung treffen." KAO liefert aber auch keinen Alternativvorschlag, denn die Initiative lehnt die gegenwärtige Organspendepraxis generell ab.
Nicht nur Merkel steht hinter Spahn
Angela Merkel (CDU) unterstützt derweil die Initiative ihres Gesundheitsministers. „Ich persönlich habe große Sympathie für die doppelte Widerspruchslösung. Weil ich dann doch aktiv einmal im Leben darüber nachdenken muss, ob ich das möchte oder nicht", sagte die Bundeskanzlerin gegenüber dem TV-Sender RTL. „Das beraubt mich keiner Freiheit, aber ich muss mich mit dieser Frage auseinandersetzen und tue damit, glaube ich, für andere Menschen etwas sehr Wichtiges." Merkel selbst hat nach eigenen Worten einen Organspendeausweis.
Zu den Unterstützern gehört auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Zum Tag der Organspende 2018 erklärte er: „Nur mit dieser Widerspruchslösung ist der Quantensprung möglich, den wir bei den Spenderzahlen brauchen. Wir könnten damit viele Menschen vor dem Tod retten oder ihnen ein besseres Leben ermöglichen." Lauterbach findet: „Durch die Widerspruchslösung bringt man Menschen dazu, sich überhaupt erst die Frage zu stellen, ob sie spenden wollen oder nicht. Das schuldet man Schwerstkranken, die auf ein Organ warten." Einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte könne er dabei nicht erkennen.
Auch der Verein Sportler für Organspende e.V. (VSO) bezieht klar Stellung. Ein offener Brief an den deutschen Bundestag trägt die Überschrift „Stoppen Sie den Tod auf der Warteliste!" VSO-Vorstandsmitglied Franziska Liebhardt, lungen- und nierentransplantierte Paralympics-Siegerin im Kugelstoßen, hat das Schreiben mit initiiert. Dass Deutschland unter den westeuropäischen Nationen in puncto Organspende auf dem letzten Platz liege, liege nicht an der Hartherzigkeit der Deutschen. „Denn mehr als drei Viertel finden Organspende gut. Es liegt an unserer derzeit hemmenden Gesetzgebung und an der mangelnden Unterstützung für die Kliniken", so der Verein. Die Widerspruchslösung bedeute keinen Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit, sondern die Aufforderung an unsere Mitbürger, ihre Entscheidungsfreiheit zu nutzen.