Patienten, die eine Organtransplantation benötigen, haben mit vielen Problemen zu kämpfen: Zu den gesundheitlichen Belastungen kommt eine nervenzehrende Wartezeit auf das passende Spenderorgan, oft ein Wettlauf gegen den Tod. Dafür winken nach erfolgreicher Organverpflanzung gute Zukunftsaussichten.
Prof. Dr. Sester ist Transplantationsmediziner und Nieren-Facharzt. Dieser Zusammenhang hat eine lange Tradition: Nieren waren die ersten Organe, die transplantiert wurden. Sie werden bis heute auch am häufigsten gebraucht. Und weil jeder Mensch zwei Nieren besitzt, kann man auch als Lebender ein Organ spenden.
Seit 1984 werden am Transplantationszentrum des Universitätsklinikums des Saarlandes Organe verpflanzt. Hauptsächlich Nieren, gefolgt von Lungen und Lebern. Als Leiter der Transplantationsmedizin am Universitätsklinikum des Saarlandes betreut Sester die Organempfänger, koordiniert die Transplantationen und kommuniziert mit der Stiftung Eurotransplant. Eurotransplant ist für die Vermittlung von Spenderorganen in acht Ländern zuständig: Deutschland, Belgien, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien. Die Betreuung der Organspender in Deutschland übernimmt die Deutsche Stiftung Organtransplantation DSO. Sester leitet außerdem den Qualitätszirkel Transplantationsmedizin am Universitätsklinikum. „Der Qualitätszirkel ist ein wichtiges Instrument der Qualitätssicherung, er dient aber auch der Transparenz, der Vermeidung von Skandalen und der Öffentlichkeitsarbeit", erklärt er.
Gesetzliche Trennung
Was bei Laien immer wieder für Verwirrung sorgt: Mit den Transplantationsbeauftragten der einzelnen Kliniken hat der Transplantationsverantwortliche Urban Sester nichts zu tun. Ganz im Gegenteil, sie gehen strikt getrennte Wege. Des Rätsels Lösung: Transplantationsbeauftragte machen im Todesfall mögliche Organspender ausfindig, der Transplantationsverantwortliche Sester dagegen kümmert sich um Organempfänger. Beide Bereiche sind per Gesetz strikt getrennt, damit keine Interessenskonflikte entstehen. Sonst könnte ja theoretisch ein Arzt zum Beispiel zwischen dem Leben eines Hirnverletzten und dem eines organkranken Patienten abwägen – lasse ich den einen sterben, um den anderen zu retten? „Bis zum Ja für die Organspende darf kein Transplantationsmediziner involviert sein", bekräftigt Sester. Einzige Ausnahme: „Ich führe Gespräche über Organspenden ausschließlich mit Lebendspendern." Hier geht es um Angehörige, die jeweils eine einzelne Niere spenden möchten. Eine Lösung, die aber nur in Erwägung gezogen wird, wenn kein Organ von einem Verstorbenen verfügbar ist.
Nieren am begehrtesten
Die meisten Transplantationskandidaten warten auf eine Niere. Dafür gibt es einen makabren Grund: Die meisten anderen Organkranken können den Ausfall ihres Organs nicht überleben und verschwinden oft von der Warteliste, bevor ein Spenderorgan auftaucht. Im Gegensatz zu Herz- oder Leberversagen kann man den Ausfall der Nierenfunktion durch die Dialyse auffangen. Dabei wird die blutreinigende Funktion der Nieren durch eine Maschine übernommen.
Es muss passen
Auf der zentralen Warteliste von Eurotransplant stehen aktuell rund 15.000 Patienten. Diese große Anzahl macht es möglich, die allermeisten Spenderorgane einem geeigneten Empfänger zuzuordnen. Bei der Zuteilung von Organen müssen nämlich verschiedene Merkmale passen, damit die natürliche Abstoßungsreaktion des Körpers gegenüber dem fremden Gewebe im kontrollierbaren Rahmen bleibt. Zu den Auswahlkriterien gehören die Blutgruppe und der Gewebetyp. Durch unterschiedliche Verteilung dieser Merkmale ergeben sich auch unterschiedlich lange Wartezeiten aufs rettende Organ. „Die Wartezeit eines Dialysepatienten mit Blutgruppe null kann über zehn Jahre betragen", sagt Sester. „Blutgruppe null kann zwar allen spenden, aber wenig empfangen." Neue Verfahren sollen diese Blutgruppen-Hürden überwinden. „In Homburg wenden wir solche Techniken seit acht Jahren an, aber sie sind aufwendiger und bergen ein etwas höheres Risiko."
Die wichtigsten Voraussetzungen bei der Auswahl des geeigneten Organspenders: Erstens die Feststellung des Hirntodes, zweitens darf die Spende den Empfänger nicht kränker machen als er schon ist. Gefahr besteht etwa bei einer Krebserkrankung des Spenders. Hier gilt es, Chancen und Risiken abzuwägen. Ansonsten gilt: „Es gibt keine absoluten Grenzen. Jeder kann Spender sein, auch in höherem Alter", so Urban Sester.
Gute Aussichten für Transplantierte
Nieren-Empfänger haben besonders gute Chancen. Ihre Überlebensrate nach einem Jahr beträgt 95 Prozent. Auch, weil sie vor der Transplantation durch die Dialyse stabilisiert werden können. „Nach der OP müssen sich Patient und Organ erst einmal erholen", erklärt Sester. Zuerst gibt es hochdosierte Immunsuppressiva, abwehrunterdrückende Medikamente, um die Abstoßung des Organs zu unterdrücken. Diese Medikamente können als Komplikation eine zusätzliche Behandlung von Infektionen nötig machen. Dennoch: Nach drei Jahren leben statistisch noch 92 Prozent der Nierenempfänger, nach zehn Jahren etwa 70 Prozent. „Dieser Anteil wird aber in Deutschland gerade niedriger wegen des Organmangels", weiß Sester. Denn mit zunehmender Wartezeit verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Nierenpatienten. Die Dialyse kann eben nicht die blutreinigende Funktion einer Niere vollständig ersetzen. Zu den Langzeitschäden zählt die Verkalkung der Herzklappen. Wer also zu lange warten muss, hat auch nach erfolgreicher Transplantation eine geringere Lebenserwartung als bei zügiger Transplantation. Doch die Transplantation wirkt eben deutlich lebensverlängernd. Zwar müssen die Patienten ihr Leben lang Medikamente nehmen gegen die Abstoßungsreaktion, doch auch nicht mehr ständig zur Dialyse gehen zu müssen, bedeutet einen großen Gewinn an Lebensqualität.
Zermürbende Wartezeit
Sesters Patienten leiden unter der Wartezeit. Manche erleben die Zuteilung eines passenden Organs nicht mehr. Ob der Mediziner die derzeit diskutierte Widerspruchsregelung gut findet, womit Hirntote quasi automatisch zu Organspendern würden? „Ich fände es gut, wenn sich unsere Gesellschaft dazu durchringen könnte", sagt Sester. „Nicht nur, um mehr Organe zu kriegen, sondern zur Entlastung der Angehörigen." Viele Menschen füllten keinen Organspendeausweis aus, weil sie sich nicht mit dem Tod beschäftigen wollen. Die gegenwärtige Diskussion, ob ein Hirntoter nun wirklich ein Toter sei, hält Sester für eine „Scheindiskussion". „Mein Ansatz: Wir müssen den Tod begreifen." Das aber könne oder wolle nicht jeder Mensch. Hier liege ein weiterer Vorteil der Widerspruchslösung: „Ich kann nicht jedem Menschen zumuten, sich mit seiner eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen."