Illegaler Organhandel ist ein beliebtes Motiv in Krimis. Doch wie sieht es in der Wirklichkeit aus? Damit der Mangel an Spenderorganen keine kriminelle Strukturen fördert, ist der Handel damit auf der ganzen Welt verboten. Offiziell.
Im November startete die deutsche Amazon-Serie „Beat" im Online-Fernsehen. Der Titelheld der Krimiserie arbeitet in einem Berliner Techno-Club. Hinter den Kulissen kommt er gemeinsam mit einer Geheimagentin dem organisierten Verbrechen auf die Spur. Die Gangster dealen nicht mit Partydrogen, sondern mit Organen. Sie töten Flüchtlinge und machen deren Organe zu Geld. Auch das Kino findet die Idee vom Organraub gut: Im September startete der Independent-Film „Phantomschmerz – der Fall Finn Fischer" in deutschen Programmkinos. Auch hier geht es um verbrecherischen Organhandel. Um ein Unfallopfer, das (Vorsicht: Spoiler!) nicht vor der Organentnahme starb, sondern dadurch.
Das Motiv des Organraubs beflügelt offenbar die Fantasie der Drehbuchautoren. Dass einem Menschen gegen seinen Willen eine Niere herausoperiert wird, dass Menschen zur Organgewinnung getötet oder bei lebendigem Leib ausgeschlachtet werden, solche Horrorgeschichten sorgen für Spannung und schaurige Abendunterhaltung. Aber was, wenn dahinter ein Körnchen Wahrheit steckte? Ein Blick in die Welt zeigt: Es gibt diese Körnchen. Und es gibt Orte, da dürfen Sie ruhig ein mulmiges Gefühl kriegen, wenn Sie ins Krankenhaus müssen.
Die bekannteste Variante ist der Ankauf von Lebendspendern. In Indien und Pakistan etwa verkaufen mittellose Menschen ihre Nieren, um an Geld zu kommen. Die kooperierenden Transplantationskliniken empfangen meist auch wohlhabende Patienten aus dem Ausland, etwa aus den Golfstaaten, die sich solche Organe gegen gutes Geld einpflanzen lassen. Die Grenzen des illegalen Handels zum Organraub sind fließend. So erhalten manche dieser „Spender" nach der OP nicht das versprochene Honorar. Aber es geht noch schlimmer.
Die Idee mit dem Organraub an Flüchtlingen könnten die Drehbuchautoren von „Beat" der Realität in Ägypten entlehnt haben. Auf der Sinai-Halbinsel blüht der illegale Organhandel. Oft werden afrikanische Flüchtlinge zu Opfern krimineller Beduinen, die zuerst von den Angehörigen Lösegeld erpressen, zusätzlich viele ihrer Gefangenen töten und buchstäblich ausschlachten. Wer die hohen medizinisch-technischen Anforderungen der Transplantationsmedizin kennt, kann sich denken, dass dieser Organraub nicht einfach so im Beduinenzelt stattfinden kann, sondern nur in Zusammenarbeit mit Krankenhäusern. Nach Recherchen des US-Nachrichtensenders CNN operieren Mediziner und Organhändler sogar mit mobilen Kliniken. Öffentlich bekannt wurde das Ganze erstmals, als ein Arzt aus Kairo bei einem Autounfall mit einer Kühlbox erwischt wurde. Inhalt: menschliche Organe.
Ungereimtheiten in China geben Menschenrechtlern zu denken
Doch man braucht keine räuberischen Banden, auch ein Staats- oder Militärapparat kann gegen die Menschenrechte verstoßen. In China zum Beispiel. Seit 2007 ist Organhandel offiziell auch in der Volksrepublik China verboten. Die chinesischen Behörden haben aber bislang keine Maßnahmen ergriffen, um dieses Verbot durchzusetzen. Dass hingerichtete Strafgefangene als Quelle von Spenderorganen genutzt werden, daraus macht der Staat ohnehin keinen Hehl. Mit der Organspende gebe man Verbrechern die Möglichkeit, etwas wiedergutzumachen, so die offizielle Lesart. Die Geschichte von den freiwilligen Spendern, die wegen ihrer Verbrechen ja ohnehin hingerichtet würden, glauben Menschenrechtsexperten aber schon lange nicht mehr. „Der Mangel an legalen Spenderorganen kostet in China wahrscheinlich Zehntausende Menschen jährlich das Leben", erklärte Hubert Körper, Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), bereits 2017. „Nach allem was heute bekannt ist, muss angenommen werden, dass in der Volksrepublik neben zum Tode verurteilten Straftätern insbesondere Gefangene aus Gewissensgründen in großer Anzahl getötet werden, nur um ihre Organe verkaufen zu können. Die Opfer sind vermutlich in Arbeitslagern und Gefängnissen gefangen gehaltene Uiguren, Tibeter, Mitglieder von christlichen Hauskirchen, aber in erster Linie Anhänger der Meditationsschule Falun Gong." Die Beweislage ist zwar dünn, aber viele Ungereimtheiten geben den Menschenrechtlern zu denken: Obwohl die Organspende in der chinesischen Gesellschaft verpönt ist, rangiert China mit seinen Transplantationszahlen weltweit auf Rang zwei hinter den USA. Und während in Deutschland Organkranke oft jahrelang auf eine Spende warten müssen, sind die Wartezeiten in China sehr kurz – und das ohne eine ausgeklügelte Infrastruktur oder gar ein Organspenderregister. Die naheliegende Erklärung: Organe auf Bestellung. Nicht nur von Schwerverbrechern. „Die Befragung von zahlreichen ehemaligen Gefangenen hat starke Hinweise dafür erbracht, dass in der Volksrepublik eine große Zahl von politischen Gefangenen aus dem einzigen Grund getötet wurde: um ihre Organe verwerten zu können", erklärt die IGFM. Warum dabei die Anhänger der spirituellen Falun-Gong-Bewegung so hoch im Kurs stehen? Da ihre Bewegung in China verboten ist, lassen sie sich nach Bedarf inhaftieren. Und aufgrund ihrer gesunden Lebensweise gelten ihre Organe als besonders begehrt. Um die Frische der Organe sicherzustellen, soll laut IGFM die Hinrichtung zumindest teilweise durch die Organentnahme selbst vollstreckt werden. Der Einfachheit halber fährt man den Delinquenten zur Tötung an den Ort, wo die Transplantation geplant ist.
Hierzulande soll ein strenges Transplantationsgesetz solche Machenschaften verhindern. Organe dürfen keinen Gewinn bringen. Bei der Verteilung von Spenderorganen durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation etwa werden nur die Arbeitskosten (Gewinnung, Organisation, Transport) berechnet, das Organ nicht mit Gewinn verkauft. Auch dürfen keine anderen Organisationen neben der DSO diese Aufgabe übernehmen, was die Kontrolle erleichtert. Neben dem Verbot des Organhandels soll auch die organisatorische und personelle Trennung von Organspende und Organempfang kriminellen Strukturen einen Riegel vorschieben.
Grundsätzlich liegt das Problem aber nicht nur bei den verbrecherischen Organhändlern und -räubern sowie den Medizinern, die mit ihnen kooperieren: Auch die Patienten spielen eine zentrale Rolle. Wo immer Organkranke bereit sind, für die schnelle Zuteilung eines Organs einen Extra-Obulus zu zahlen, wird kriminellem Organraub Tür und Tor geöffnet. Jeder Organempfänger muss sich dessen bewusst sein: Ist heimlich Geld im Spiel, stammt das Organ möglicherweise von einem Menschen, der es nicht freiwillig spendete. Und der Empfänger muss sich fragen, ob er wirklich bereit ist, diesen Preis zu zahlen.