Für die einen ist sie das Paradies auf Erden, andere bringt sie um den Verstand, und für so manchen wird sie wohl das größte Rätsel der Menschheit bleiben: die Liebe. Auch im hohen Alter ändert sich daran nicht viel. Ob mit der Liebe Ihres Lebens oder als Senior auf der Suche danach — im besten Fall werden Sie mit ihr nicht nur glücklicher, sondern auch gesünder. Tipps für die erfüllte Partnerschaft im Alter.
Wir Menschen werden älter und verändern uns zwangsläufig. „Neben Fältchen und ergrauenden Haaren entwickelt sich auch unser Geist stetig weiter und die Liebe genauso", sagt Prof. Dr. Reinhard Lindner von der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG): „Der entscheidende Punkt ist, dass man als älterer Mensch schon eine ganze Weile gelebt hat. Das zeigt sich auch in der Liebe". Denn die Art und Weise, wie man liebt, hat ihre Wurzeln in der persönlichen Vergangenheit. Das kann auch einiges an Problem-Potenzial mit sich bringen.
Paare versprechen am Traualtar, sich für immer zu lieben und zu ehren, bis dass der Tod sie scheidet. Immer weniger Beziehungen enden in den letzten 15 bis 20 Jahren tatsächlich an diesem Punkt. Die Vorstellung, für immer zusammen zu bleiben, bröckelt. Das kann Nachteile und Vorteile haben, weiß Lindner: „Ein großer Nachteil ist, dass eine Trennung im Alter besonders schmerzlich sein kann. Das Alleinsein ist schwerer zu verkraften und zu kompensieren als mit jungen Jahren. Umgekehrt heißt das aber auch: Es gibt Raum für neue Partnerschaften. Es wird normaler, sich zu trennen und sich neu zu verlieben. Man muss nicht mehr automatisch alleine bleiben."
Traute Zweisamkeit bietet auch einen gesundheitlichen Vorteil: Die Liebe belebt allgemein Körper und Geist in jedem Alter. Ein reger Austausch über die jeweiligen Interessen, gemeinsame Unternehmungen und die Integration in ein möglicherweise neues soziales Umfeld sind Balsam auch für die gealterte Seele: „Menschen in Paarbeziehungen leben länger. Auch, wenn jemand schwer krank ist, hat er in einer Beziehung bessere Chancen. Erkrankt beispielsweise der Mann, hilft die Frau und unterstützt ihn im Alltag – bis hin zur Pflege. Es gibt sogar Paare, die sich gegenseitig pflegen."
Sich im Alter neu zu verlieben war in früheren Zeiten undenkbar
Sich im Alter noch mal neu verlieben und erneut binden war früher undenkbar. Mit der Verwitwung eines Partners endete auch das Liebesleben. Über Liebe und Gefühle sprechen war sowieso meistens schwierig – getoppt nur von dem Tabuthema Sex. Auch heute gibt es hier noch mächtig Redebedarf. Zur Not anonym online. So wie im Forum eines großen Online-Partnervermittlungsportals. Hier wird körperliche Liebe im Alter stark diskutiert. „Kosima" fragt sich, ob es im biologischen Rhythmus der Frau nicht vorgesehen sei, dass man mit über 50 noch ein ausgefülltes Sexualleben mit seinem weit über 50-jährigen Partner habe? Von Freundinnen in der Offline-Welt höre sie nur, dass die froh sind, wenn der Mann Sex nicht einfordert. Nachvollziehen kann sie das nicht, sie schreibt: „Also, ich fühle mich eher frustriert, wenn mein Partner keine Lust hat, weil dann fühle ich mich so richtig alt … Tanze ich hier aus der Reihe, sollte ich auch eher weniger Lust haben?" Neben gemischten Reaktionen der weiblichen Mitglieder meldet sich auch ein männlicher Mitleser (55 Jahre alt) zu Wort: „Hätte ich eine solche Partnerin, die keine Lust mehr auf Sex hätte, ich würde die Beziehung sofort beenden. Meine Lust ist heute eher viel größer und weitaus intensiver als noch mit 30! Lass dich also von niemandem verunsichern, du bist nicht alleine!"
Viele glauben, dass die Lust im Alter verloren gehe oder dass Sex einfach keine Rolle mehr spiele. Bei einer Befragung mit über 70 hochbetagten Menschen haben Lindner und sein Team unter anderem immer dieselbe Frage gestellt: Welche sexuelle Erfahrung würden Sie – wenn Sie die Möglichkeit hätten – gerne machen? Eine häufige Antwort von beiden Geschlechtern: der Austausch von Zärtlichkeit.
Zärtlichkeit oder Sex? Lindner erklärt, dass Zärtlichkeiten auch Sex sein können. „Wer sagt denn, was Sex ist und was nicht? Es gibt einen lebenslangen Wunsch nach Zärtlichkeit. Wie realisierbar der ist, ist eine andere Frage. Solche Wünsche sind immer legitim, wenn auch nicht immer erfüllbar. Ich würde daher nicht sagen: Irgendwann ist Schluss."
Umso trauriger ist, dass es noch lange keine Selbstverständlichkeit ist, Sex im Alter als etwas völlig Natürliches und Schönes anzusehen und auch offen darüber zu sprechen. Ein Umstand, der eine Partnerschaft erheblich ins Wanken bringen kann. Das betrifft übrigens nicht nur frische Beziehungen im Alter, sondern genauso jahrzehntealte Ehen. Das Problem kennt Birgit Ohliger, Diplom-Psychologin und Paartherapeutin in Saarbrücken, ebenfalls. „Es ist bei vielen immer noch ein Tabuthema. Oft braucht es ein bisschen psychologische Aufklärung, weil die Paare früher nicht gelernt haben, offen miteinander über Sexualität zu sprechen und darin auch nicht so geübt sind."
Plötzlich hat man mehr Zeit miteinander – für manche Paare zu viel
Hinzu kommt, dass es in unserer heutigen Gesellschaft für alle Altersgruppen einen enormen Leistungsdruck gibt –auch bezüglich sexueller Aktivität. Sie rät: „Man sollte sich selbst gegenüber gelassen sein und einfach das genießen, was geht." Gelassen- und Offenheit scheint auch der entscheidende Ratschlag bei vielen anderen Beziehungskrisen zu sein. Denn laut Ohliger scheitert die eheliche Liebe im Alter oft an voraussehbaren Faktoren. Kinder ziehen aus, einer oder beide gehen in Rente. Plötzlich hat man also sehr viel Zeit miteinander, für manche einfach zu viel. Vor allem Männer laufen Gefahr einige Zeit nach Rentenbeginn in ein sogenanntes Rentenloch zu fallen, aber auch Frauen sind davon nicht ausgeschlossen. Ihnen fehlt ihre Aufgabe. Die Partnerschaft alleine kann das nicht unbedingt auffangen. Kommt es dann zu einer Krise, kann eine Beziehung außerhalb der Ehe verlockend sein.
Eine Affäre muss aber nicht immer der Anfang vom Ende sein. Die Paartherapeutin rät, sich selbst zu fragen: „Was verbindet uns noch?" Wenn die Antwort positive Ergebnisse bringt, könne die Affäre eines Partners ein Weckruf sein und die Beziehung danach gerettet werden. Erfahrungsgemäß bringen laut Ohliger gerade ältere Paare mehr Motivation mit, an der Beziehung zu arbeiten. „Weil einen doch viel verbindet", weiß Ohliger. Wenn sich Paare dazu entscheiden, die Hilfe der Therapeutin in Anspruch zu nehmen, stelle sich häufig heraus, dass die Ursachen der Beziehungsprobleme sogar Jahrzehnte zurück in der Vergangenheit liegen können. „Frühere Kränkungen und unverarbeitete Krisen kommen oft noch mal zur Sprache. Deshalb ist Verzeihen und Versöhnung – und auch das Bemühen darum – ganz wichtig." Gelingt das, steht neuen Schmetterlingen im Bauch nichts mehr im Wege. Sich zu verlieben, wieder in den Ehepartner oder doch in einen neuen Menschen, ist so lange möglich, wie wir leben.