Bis 2005 hatten sie in Designerkreisen als rein funktionales Schlechtwetter-Accessoire keinerlei Beachtung gefunden. Doch dank Stil-Ikone Kate Moss wurden die Gummistiefel laufstegtauglich. Diesen Winter zählen sie zu den angesagten Must-haves.
Kaum zu glauben, dass der aktuelle Mega-Damenschuhtrend Gummistiefel letztendlich einer einzigen Person zu verdanken ist. Denn bevor Stil-Ikone und Supermodel Kate Moss im Sommer 2005 durch das schlammige Areal des Glastonbury Festivals im Südwesten Englands in ultraknappen Hotpants zu schwarzen Wellys oder Wellingston Boots, wie die Kautschuk-Treter auch häufig genannt werden, watete, hatte sich niemand vorstellen können, dass dieses typische, rein funktionale Schlechtwetter-Accessoire jemals Einzug in die Modewelt halten könnte. Die Designer hatten bis dahin um die Treter, für die es im englischen Sprachraum jede Menge Begriffe wie Rain Boots, Rubber Boots oder Waders (Wattstiefel) gibt, einen großen Bogen gemacht. Das galt genauso für die Outdoor-Verwandten wie Moonboots (Schneestiefel) oder die breitschultrigen Regenjacken. Gummistiefel waren daher noch 2005 nichts anderes als Nutzutensilien für Matsch oder Arbeiten in der durchfeuchteten Natur, fern jeglicher ästhetischer Ansprüche.
Zugegeben, die Britin Kate Moss hatte sich bei ihrem Festival-Auftritt für so ziemlich die einzige Gummistiefel-Variante entschieden, die optisch klar aus dem Rahmen fiel. Nämlich für Treter des weltweit bekanntesten Spezial-Unternehmens Hunter. Dessen Rubber Boots sind seit jeher an den Beinen eng anliegend nach dem Vorbild der sogenannten Wellington Boots gestaltet. Diese hatte 1817 der erste Herzog von Wellington, Arthur Wellesley, Sieger über Napoleon in der Schlacht bei Waterloo, bei seinem Schuster in Auftrag gegeben, denn infolge des Ausrangierens der Kniehosen war eine Neuinterpretation der bis dahin gebräuchlichen Reiterstiefel notwendig geworden. Der Stiefel reichte fortan nur noch bis zur mittleren Wade und wurde aus weichem Kalbsleder gefertigt. Die Kautschuk-Version dieses schmalen und schlichten Stiefels sollte erst gut 40 Jahre später, nach der Entdeckung des Vulkanisierungs-Verfahrens durch Charles Goodyear im Jahr 1844, durch die North British Rubber Company in Edinburgh, den direkten Vorgänger des Labels Hunter, auf den Markt gebracht werden.
Heraus aus dem Nischendasein
1955 präsentierte das Unternehmen dann erstmals sein bis heute legendäres grünes Modell „Original Hunter Boot", von dem selbst die Royals so angetan waren, dass Hunter zum Hoflieferanten des britischen Königshauses aufsteigen konnte. Selbst die Queen pflegt gelegentlich in den Tretern durch die Landschaft zu laufen. Der Tradition verpflichtet, werden Hunter Boots auch heute noch handgefertigt und aufwendig aus 28 Einzelteilen in dreieinhalb Arbeitstagen zusammengesetzt. Das mag dann auch den hohen Preis rechtfertigen, denn die Stiefel gibt’s erst ab 125 Euro aufwärts. Doch nur dank Kate Moss wurde aus Hunter, vorher reiner Gummistiefel-Spezialist, eine weltweit renommierte Lifestyle-Marke mit weiteren Produkten wie Taschen oder Jacken. Dieses Verdienst wird der Stil-Ikone in letzter Zeit immer wieder ausdrücklich von Hunter-Kreativdirektor Alasdhair Willis bescheinigt, der Insidern in der Fashion-Branche schon lange kein Unbekannter mehr ist, auch wenn er mit dem Renommee seiner Ehefrau Stella McCartney natürlich nicht konkurrieren kann. Dank Kate Moss, so Willis, konnten die Regenstiefel plötzlich nicht nur ihr Nischendasein als reine Funktionskleidung beenden, sondern zu einem Fashion-Statement-Accessoire aufsteigen. Hilfreich war sicherlich auch Film „Mr. und Mrs. Smith" aus dem Jahr 2005, in dem Angelina Jolie alias Jane Smith in einer Szene mit nichts als einem weißen Hemd und einem Paar Wellys bekleidet zu sehen war.
Die Tatsache, dass Gummistiefel seitdem auch als sexy durchgehen, hatten die Designer weltweit offenbar interessiert zur Kenntnis genommen. Aber bevor sie die Fashion-Welt 2008 mit gänzlich neuen Wellys beglücken sollten, machten sie sich schon Ende 2005 an die Moonboots heran und brachten ein Jahr später schicke, lässig geschnittene Regenjacken oder Blousons in die Läden. In der Wintersaison 2008/2009 war es dann so weit: Gummistiefel wurden erstmals als angesagtes Fashion-Accessoire auf den Laufstegen präsentiert. Gucci zeigte Exemplare mit goldenen Schließen, Burberry solche mit Fell oder Schmucknieten, Céline welche mit Lederbesatz. Die Kautschuk-Edel-Versionen konnten sich sofort gleichberechtigt neben Schlangenlederstiefeln oder Lack-Plateaus behaupten. Auch was das Preisniveau anging, denn die Gummistiefel kosteten bis zu 500 Euro.
Natürlich hatte dieser Trend seinerzeit auch kritische Kommentare zur Folge. Mit Tillmann Prüfer, dem renommierten „Zeit"-Stil-Kolumnisten, als Speerspitze: „Mit derlei Gummistiefeln kann man sich getrost auf eine Abendveranstaltung verirren, vorausgesetzt, man kann sich diese noch leisten. Höchstpreise bedeuten noch nicht, dass ein solches Schuhwerk auch schöner macht. Ein Gummistiefel verlangt nach schlechtem Wetter, nach Matsch und Unbill, sonst wirkt er deplatziert. Sind teurer als mancher Schuh aus Leder, dafür muss man kein Geld für Schuhcremes mehr ausgeben." Für Prüfer waren die Rain Boots auf den Laufstegen damals so unsinnig wie „Verkehrssicherheitswesten oder Atemschutzmasken". Zehn Jahre später dürfte er daher nur noch den Kopf schütteln, denn in der aktuellen Wintersaison 2018/2019 gibt es tatsächlich nicht nur jede Menge neue Gummitreter, sondern eben sogar eine Art Designer-Verkehrssicherheitswesten. Und nicht nur auf den Catwalks, sondern auch im Streetstyle sind die Wellys unübersehbar geworden. Die Riege der Promi-Damen, die dieses Jahr auf der Straße in den Tretern, darunter auch jede Menge stylischer Chelsea Boots aus Gummi, gesichtet wurden, ist schier endlos lang: Pixie Lott, Drew Barrymore, Liv Tyler, Natalie Portman, Laura Whitmore, Keira Knightley oder Alexa Chung.
Beginnen wir einfach mal, weil das trendige Thema modischer Workwear durch die Verkehrssicherheitswesten gerade schon angesprochen wurde, mit der krassesten Gummi-Treter-Innovation dieses Winters. Denn diesbezüglich haben sich Prada und Calvin Klein einfach nicht lumpen lassen und Modelle entwickelt, mit denen sich auf dem Bau oder in knietiefem Wasser bestens arbeiten lässt. Aber das sind eigentlich nur etwas bizarre Ausreißer nach oben, während die Mehrzahl der aktuellen Rubber Boots (hochelegant beispielsweise der schwarze Stiefel von Jimmy Choo oder das wadenlange Modell von Fendi) oder Kautschuk-Chelsea Boots (beispielsweise von Jeffrey Campbell, Bernardo, Cubanas, Marc Cain, Melissa oder Sam Edelman) durchaus alltagstauglich oder sogar bürotauglich gehalten sind. Für die Magazine „Elle" und „InStyle" sind die Gummistiefel in der Damenschuhmode jedenfalls so etwas wie das Trendteil der Saison, die „Vogue" listet die Teile unter den absoluten Must-haves. Garantiert sind sie daher nicht mehr nur eine ideale Fußbekleidung für den Besuch eines Musikfestivals.
Als Chelsea-Boot-Variante besonders ansehnlich
Es gibt sie in allen nur erdenklichen Versionen: geschnürt, bestickt, bunt gemustert, farbenfroh, kunterbunt oder monochrom, mit Logos oder Slogans übersät, mit Blumenmustern verziert, mit Reptilien-Prints, in Lack-Optik, im Maritim-Look, in Metallic-Glamour, mit Biker-Feeling, bei Burberry mit dem berühmten Karo, mit oder ohne Absatz, mit Kunstpelz-Fütterung, in Material-Kombi mit Leder und Silbermetall. Wer es eher klassisch mag, ist mit den verschiedenen Exemplaren von Hunter auf der sicheren Seite (das hohe Modell läuft unter dem Namen „Original Tall"). Als Alternative bietet sich das Label Aigle an, das noch vor Hunter schon 1853 gegründet wurde und bis heute ebenfalls einen Großteil seiner Stiefel in Handarbeit herstellt. Zum Aufpeppen der Stiefel haben verschiedene Marken, von Givenchy über Balenciaga bis hin zu Prada, besonders lange Socken und Strümpfe im Angebot, die sich dekorativ zum Umrahmen oder Überlappen der Boots eignen.
Übrigens: In der Männermode spielen Gummistiefel nach wie vor so gut wie keine Rolle. Die Herren der Schöpfung schlüpfen allenfalls in die von ihnen wenig geliebten Treter, wenn Gartenarbeit angesagt ist. Aber auf der Straße möchte sich damit niemand wirklich sehen lassen. Schon weil kaum jemand die Lösung des Problems kennt, was mit den Hosenbeinen zu geschehen hat. Obwohl Hunter-Chef Willis natürlich die richtige Antwort kennt: „Na, mit der Hose im Schaft natürlich!" Selbst dieses neue Wissen wird die Zahl der Wellys-Träger kaum nach oben schnellen lassen. Weil moderne Männer generell eine tiefe Abneigung gegen Schuhe mit hohen Schäften hegen? Über Stiefeletten-Niveau möchte kaum jemand weiter hinauf. Eigentlich ist diese maskuline Stiefel-Zurückweisung verwunderlich, denn jahrhundertelang waren Stiefel die einzig existierende Form des Männerschuhs überhaupt gewesen.