Gezogen, geschöpft, gegossen: Aus der Buchal-Kerzenfabrik kommen handgefertigte dicke Lichte für Domaltäre, Filmkerzen gehen bis nach Hollywood. Aktuell läuft die Weihnachtskerzen-Produktion auf Hochtouren.
Licht, Glanz und Magie – was wären die „Harry Potter"-Filme ohne die Tausenden von Kerzen, die den riesigen Speisesaal in der Zauberschule Hogwarts beleuchten. Wenige werden wissen, dass sie aus Reetzerhütten stammen, einem kleinen Örtchen bei Treuenbrietzen in Brandenburg. Dort ist die Buchal-Kerzenfabrik zu Hause. „Mit welchem Teil von Harry Potter das anfing, weiß ich nicht mehr so genau", sagt der Inhaber Klaus-Peter Klenke. „Auf jeden Fall mussten die Kerzen zwei Dochte haben, damit sie heller brennen, wie bei allen Filmkerzen." Die handgemachten Kerzen aus Reetzerhütten waren schon in den DDR-Märchenfilmen begehrt. Und nicht nur bei Harry Potter brannten sie, sondern auch im „Grand Budapest Hotel" oder im Film „Monuments Men".
Gerade geht die WeihnachtskerzenProduktion in Reetzerhütten in die Endphase. Geschäftig läuft Klenke zwischen zwei großen metallenen Trommeln hin und her und kontrolliert den darauf aufgerollten Faden, den Docht für die Kerzen. Er wird auf dem Weg von der einen elektrisch gedrehten Trommel zur anderen durch eine Wanne mit flüssigem Wachs gezogen. Jedes Mal, wenn der Docht wieder durch die Wanne läuft, setzt sich eine Wachsschicht an dem Faden ab. Der Vorgang wiederholt sich so lange, bis genug Wachs den Docht umgibt und der geplante Durchmesser der Kerze erreicht ist. Dann nehmen drei Mitarbeiter vorsichtig die noch warme Kerzenschlange von der Rolle und schneiden sie in Stücke von jeweils 1,30 Meter Länge. Auf einem eigens dafür vorgesehenen Tisch richten sie die Kerzenteile gerade, damit sie beim Erkalten in Form bleiben.
„Kerzen werden seit Jahrhunderten von Hand gezogen. Damit erklärt sich auch die Berufsbezeichnung ‚Wachszieher‘ ", erklärt Klenke und zeigt auf eine alte, über 80 Jahre alte Handzugbank mit zwei Trommeln. „Hiermit haben wir noch bis in die 80er-Jahre gearbeitet. Das Wachs in der Wanne hatte 75 Grad und durfte nicht erkalten. Hier wurde vier bis fünf Stunden am Stück ohne Unterbrechung gedreht. Für einen Kerzendurchmesser von 30 Millimeter benötigte man rund 400 Durchgänge." Heute werden mit der elektrischen Trommel im Jahr rund 100 Tonnen Wachs sowie 30 Kilometer Docht verarbeitet.
Das Wachsgemisch, das in der Wanne vor sich hin brodelt, bereitet Firmenchef Klaus-Peter Klenke in einem jahrzehntealten Wachskessel vor. 400 bis 500 Liter fasst der Kessel, in dem Paraffinplatten zusammen mit Bienenwachs bei rund 90 Grad eingeschmolzen werden. Welchen Anteil davon Paraffin und Bienenwachs ausmachen, verrät Klenke nicht. Das ist bei allen Kerzenmachern eine Geheimmixtur.
Bis zu drei Tage Wachsgießen für acht Zentimeter Kerzendicke
Kerzen werden aber nicht nur gezogen, sondern auch handgeschöpft. Der Kerzenmachermeister geht selbst ans Werk und demonstriert, was das bedeutet: An einem stabil aufgehängten Metallkarussell hängen bis zu neun gezogene Kerzenrohlinge mit einem Durchmesser von drei Zentimetern – mehr ist beim Kerzenziehen nicht zu erreichen. Das vorbereitete warme Wachsgemisch wird laufend per Hand geschöpft und über die Rohlinge gegossen. 70 Prozent der Masse erkaltet beim Herunterlaufen, sodass beim nächsten Übergießen wieder eine neue Schicht an der Kerze haften bleibt und ihr Durchmesser zunimmt – bis das dickere Format einer Altar- oder Jubiläumskerze erreicht ist.
Eine körperlich herausfordernde Arbeit für Rücken und Gießarm. Je nach Kondition dauert dieser Prozess bei einem angepeilten Durchmesser von acht Zentimetern bis zu drei Tage. Die weiteren Arbeitsgänge zur Kerzenherstellung muten regelrecht körperlich entspannt an. Wie die Arbeit an der Kreissäge, die die Kerzen auf die nötige Länge schneidet, oder an der Fräse, die den Kerzen einen flachen, runden oder spitz zulaufenden Kopf verpasst. Gegen den Lärm hilft da ein Gehörschutz.
Silvia Ganzert und Christin Zander sind in der Weiterverarbeitung tätig. Sie tauchen Kerzen und veredeln. Beide sind Quereinsteigerinnen, haben sich inzwischen aber zu Multitalenten entwickelt. Silvia Ganzert zeigt auf 27 Spezialfarben. Sie taucht per Hand in einem schnellen Rhythmus die Kerzen in ein Gefäß mit dunkelgrüner Farbe. „Die Farben bilden auch einen Härtemantel. Nach dem Tauchen kommen die Kerzen schnell ins kalte Wasser, damit die Oberflächen besser glänzen. Je weniger Farbe die Kerze umgibt, umso besser brennt sie."
Beim Veredeln wird Silvia Ganzert zur Wachsbilderin, übrigens ebenso ein Ausbildungsberuf wie Kerzenhersteller. Sie dekoriert gegossene, gezogene sowie getauchte Kerzen mit unterschiedlichen Wachsbildern wie Blumenmotiven, Figuren oder Bordüren – alles selbst entworfener Schmuck. Geübte Augen kontrollieren jede fertige Kerze, bevor sie für den Verkauf eingelagert wird.
Die handwerkliche Kunst der Kerzenmacherei hat sich seit Jahrhunderten nicht verändert. Auch hier in Reetzerhütten nicht. Und so muten die Räume mit ihrem Inventar zum Teil regelrecht museal an, gerade, als ob die Zeit hier stehen geblieben sei. Tatsächlich stammen Kessel, Maschinen und Werkzeuge noch aus den vorherigen Generationen. Von der Neuzeit zeugen nur Flucht- und Rettungspläne an den Wänden – und ein Rauchverbotsschild.
Die kleine Manufaktur ist die letzte von einst 20 Kerzenzieherfirmen
Ursprünglich gründete Wachsziehermeister Heribert Buchal das Familienunternehmen anno 1924 in der Gitschinerstraße 16 in Berlin. Er entwickelte zusammen mit einem Partner die „Kerzen- und Wachswarenfabrik Drechsler und Buchal" zu einem der größten Berliner Betriebe. 1944 rettete Heribert Buchal einige Maschinen aus der zerstörten Firma und lagerte sie nach Reetzerhütten aus. Warum gerade in den brandenburgischen Fläming? „Hier befand sich damals Deutschlands Zentrum der Bienenwachsproduktion", erläutert Klenke, „ein wichtiger Bestandteil der Kerzenproduktion."
1966 übernahm die Tochter des Firmengründers Buchal den Familienbetrieb und führte ihn mit zwölf Mitarbeitern durch die schwierige DDR-Zeit. Damals schrieb der Staat vor, was in dem kleinen Privatbetrieb produziert werden durfte. Zierkerzen brauchte man kaum noch, der Produktionsschwerpunkt verlagerte sich auf das Herstellen von Puppenkerzen mit einer Größe von 75 mal 100 Millimetern und Altarkerzen mit einem Durchmesser von acht Zentimetern und bis zu 1,20 Meter Länge. Die Puppenkerzen in ihrem grünen Schächtelchen mit dem Profilaufdruck eines Mädchens mit Zopf wurde zum Markenzeichen der Firma – und sind bis heute begehrt.
Nach der Übernahme des Betriebes 1993 durch Sohn Klaus-Peter Klenke blieb es nicht bei den Puppen- und Altarkerzen. Heute stellt die Firma Kerzen zu verschiedenen Anlässen her, zur Taufe, Kommunion, Hochzeit, zum Geburtstag oder zur Beisetzung. Und natürlich die überdimensionalen Kirchenkerzen zu Feiertagen wie Ostern und Weihnachten. Alle handgefertigt und handveredelt. Buchal-Altarkerzen leuchten im Dom von Brandenburg, im Magdeburger Dom sowie in vielen katholischen und evangelischen Kirchen in Berlin und Brandenburg.
Kerzen begleiten das ganze Leben
Die Konkurrenz unter den Kerzenherstellern ist groß. Die kleine Buchal-Kerzenmanufaktur muss kämpfen, um dagegen anzukommen. Klenke weiß, dass er mit der Besonderheit und Qualität seiner Produkte punktet und seit Jahren kontinuierlich gute Qualität liefert. „Viele Kerzen sind anders gefertigt, damit preiswerter, aber mit einer wesentlich geringeren Abbrenndauer. Wir sind die einzige Firma im Osten Deutschlands, die von ehemals 20 Kerzenzieherfirmen noch übrig ist", sagt Klenke. Auf Messen geht er längst nicht mehr. Zu teuer sind die Standgebühren. Ausgewählte Märkte, vor allem Weihnachtsmärkte, leistet er sich noch da, wo es sich rechnet. Auch steigende Energiepreise erhöhen die Kosten. Trotzdem gibt Firmenchef Klenke mit seinen fünf Mitarbeitern nicht auf, engagiert sich in der Bayerischen Wachszieher-Innung und hat 2015 und 2016 an der Ausarbeitung neuer EU-weiter Ausbildungsvorschriften mitgewirkt. Inzwischen bereitet sich Sohn Christian als einziger Wachsziehermeister in den neuen Bundesländern darauf vor, den kleinen Betrieb in der vierten Generation zu übernehmen.
Ein akustisches Signal ertönt. Das Zeichen, dass die Kerzen auf den Trommeln den gewünschten Durchmesser von zehn Millimetern erreicht haben. Die Trommeln laufen langsam aus. Pro Durchgang entstehen so 3.000 ganz normale Weihnachtsbaumkerzen, die demnächst für den warmen Glanz in so manchem Wohnzimmer sorgen werden.