Manche würden ihn Stromer nennen. Der SUV I-Pace ist ein echtes Samtpfötchen, der erste voll elektrische Jaguar. Wir haben den I-Pace EV 400 AWD getestet – aus der Sicht des Beifahrers.
Mit den Worten „Der hat richtig Wumms!" und „Mit den Scheinwerfern wird die Nacht zum Tag. So etwas habe ich noch nicht erlebt!", begrüßt mich mein Kollege Frank, der mit mir zusammen den I-Pace von Jaguar testet. Beide Aussagen kann ich nur bestätigen. Wenn der I-Pace seine 400 PS auf die Straße bringt, presst es mich in den Sitz, dass mir die Luft wegbleibt. Eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 4,9 Sekunden ist wirklich atemberaubend. Allerdings kann man dabei auch zusehen, wie die Reichweitenanzeige ganz schnell schrumpft und der Radius von 450 Kilometern sich rasant reduziert. Dennoch ist diese Beschleunigung ein ganz besonderes Erlebnis, weil die volle Kraftentfaltung bei einem Elektromotor sofort zur Verfügung steht und sich nicht wie bei einem Verbrennungsmotor erst nach und nach entfalten muss.
Aber passt das zusammen? Die Traditionsmarke Jaguar, Hersteller klassisch eleganter Autos mit sportlichen Fahrleistungen, einerseits und ein Antrieb, der die automobile Zukunft bedeuten könnte, andererseits? Die Antworten lauten klar: Ja, Jaguar kann das. Und E-Autos gibt es inzwischen für jeden Geschmack.
Der I-Pace ist so ganz anders als seine Raubkatzen-Geschwister. Er ist einerseits ein SUV wie der F-Pace und der E-Pace. Jedoch ist seine Form nicht mehr klassisch elegant, sondern progressiv elegant gezeichnet. Die Dachlinie beschreibt einen Bogen zum Heck hin, wo sie leicht ausläuft. Seitlich ziert der Schriftzug Jaguar die Schweller. Die Zurückhaltung gibt Jaguar hier auf. Dieses Auto soll ins Auge springen. Der Kühlergrill ist tatsächlich ein Kühlergrill, wie man ihn von Verbrennungsmotoren kennt. In diesem Fall ein riesiges Gitter mit seitlichen Lufteinlässen. Das sieht schick aus und schafft eine Verbindung zwischen Klassik und Moderne. Ungewöhnlich ist die Hutze auf der Motorhaube, die sich zur Windschutzscheibe hin öffnet statt zur Fahrtrichtung. Wir vermuten, dass dies den Luftwiderstand reduzieren soll, da wir durch die Öffnung den Kühlergrill und die Straße sehen.
Sitze so weich wie Pfirsichhaut
Das Heck ist Jaguar besonders gut gelungen, denn obwohl es hoch aufragt, haben die Designer es verstanden, mithilfe von „Falten" im Blech den Eindruck zu erwecken, als wäre es viel flacher. Die Gestaltung der Rückleuchten erinnert an den legendären Jaguar F-Type.
Interessant ist als nächstes die Frage, wie Jaguar den Spagat zwischen einem hochmodernen Auto mit zukunftsweisender Technik und dem gewohnt klassisch eleganten Einrichtungsstil anderer Modelle hinbekommen hat. Als ich die Beifahrertür öffne, bin ich beeindruckt. Der Innenraum und die Sitze sind mit weißem Leder ausgestattet, was perfekt zum Anthrazit der Außenhaut passt. Das Leder ist weich wie eine Pfirsichhaut und der Himmel mit Alcantara ausgeschlagen. Um für ein wenig optische Auflockerung zu sorgen, hat unser Testwagen breite Absetzungen in schwarzem Leder auf dem Armaturenbrett, die durch doppelte Steppnähte konturiert sind. Gleiches gilt für die Innenverkleidung der Türen. Zu den elektrisch verstellbaren Sitzen, die mit das Beste sind, was ich je erlebt habe, kombiniert Jaguar ein modernes Armaturenbrett mit zwei berührungsempfindlichen Monitoren und nur wenigen Knöpfen. Das Meiste lässt sich über die Displays steuern. Nur die wichtigsten Funktionen haben Schalter, die auf zwei Brücken angebracht sind. Sie verbinden den unteren Teil des Armaturenbretts mit der Mittelkonsole. Der Fahrer findet entsprechende Bedienelemente in seinem beheizbaren Lederlenkrad.
Alle Sitze verfügen über eine Sitzheizung, auch die hinteren. Dabei ist differenziert steuerbar, ob nur die Sitzfläche oder auch die Rückenlehne geheizt werden soll. Bei Bedarf funktioniert das Gleiche mit einer Sitzkühlung. Eine Vier-Zonen-Klimaautomatik sorgt zudem dafür, dass sich alle Fahrgäste wohl fühlen.
Unterhalb der Schalterbrücken befindet sich eine Ablage, in der ein Smartphone Platz findet. Leider fehlt die Möglichkeit zur induktiven Aufladung des Smartphones. Dafür stehen uns allerdings über Apple Carplay alle Smartphone-Funktionen auf einem Display zur Verfügung. Diese und auch die Ablagen in den Türen beleuchtet ein bläulich schimmerndes gedämpftes Licht, das uns hilft, auch bei Dunkelheit Dinge schnell wiederzufinden. Eine weitere Ablage befindet sich unter der vorderen Mittelarmlehne.
Jede Menge Platz vorne und hinten
Ausreichend Platz bietet der Jaguar I-Pace in jeglicher Hinsicht. Sowohl auf den Vordersitzen als auch in der zweiten Reihe kann ich mit meinen 183 Zentimetern Körpergröße angenehm sitzen. Somit ist der I-Pace familientauglich. Das unterstreicht auch der große Kofferraum, in dem das Urlaubsgepäck einer vierköpfigen Familie durchaus Platz finden sollte. Die Ladekante ist mit dem Boden des Kofferraums bündig, allerdings relativ hoch. Das ist der Tribut, den die Ladeelektrik dem Auto abverlangt. Ein Teil davon ist unter dem Kofferraumboden verstaut, ein anderer fährt unter der Kühlerhaube mit. Es müssen zwei Kabel sein, da der I-Pace sowohl über eine haushaltsübliche Stromleitung als auch über eine Schnell-Ladestation mit Energie versorgt werden kann. Damit deckt er zwei von drei auf dem Markt befindlichen Anschlüssen ab. Mehr geht nicht, da der dritte Anschluss allein einer konkurrierenden E-Automarke vorbehalten ist.
Die Verarbeitung und Anmutung des Jaguar I-Pace ist ausgesprochen hochwertig. Die Bedienung der für mich als Beifahrer interessanten Funktionen ist intuitiv und problemlos möglich. Wir haben nichts an dem Testwagen vermisst, was wir von Autos mit Verbrennungsmotor gewohnt sind. Selbst einen sonoren Motorsound braucht dieser Jaguar nicht, um uns zu beeindrucken. Im Gegenteil. Wir haben dieses Mal die Ruhe im Innenraum genossen und uns den klaren Klängen aus der Stereoanlage hingegeben. Wäre der Jaguar I-Pace nicht fast geräuschlos unterwegs, würde man ihn für ein modernes, extravagant geschnittenes SUV halten. So ganz lautlos ist der Wagen aber doch nicht auf seinen Wegen, denn während der Fahrt hört man leise die Abrollgeräusche der Reifen murmeln. Außerdem warnt ein Geräuschgenerator die Umwelt, sobald der I-Pace rückwärtsfährt. Das hört sich lustig an, denn so stelle ich mir akustisch die Landung eines Ufos auf der Erde vor.
Reichweite um die 450 Kilometer
Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Jaguar I-Pace ein extravagantes, modern designtes und ausgesprochen luxuriöses Auto ist. Ein wenig lästig haben wir die Versorgung mit Nachschubenergie empfunden. Elektrozapfsäulen gibt es inzwischen zwar eine Menge und wir hatten theoretisch immer eine in Reichweite. Gestört hat uns aber die Tatsache, dass irgendwer mit uns an jeder Zapfsäule erst einmal einen Vertrag schließen wollte. Hier wäre es besser, wenn man wie an der Benzintankstelle mit der Kreditkarte zahlen könnte. Für jemanden, der ein E-Auto sein Eigen nennt, mag das in Ordnung sein. Denn der hat vermutlich recht bald mit den für ihn relevanten Anbietern von Strom ausreichend Verträge geschlossen und kann so gut Energie nachladen. Für einen zeitlich sehr begrenzten Test hingegen oder wenn man sich ein solches Auto mal für ein Wochenende ausleihen möchte, ist das eher störend. Entsprechend haben wir die heimische Steckdose vorgezogen. Ich kann auch nicht ausschließen, dass das vielleicht eine regionale Besonderheit ist. Eine Reichweite von 450 bis 470 Kilometer pro Akkufüllung ist ein passabler Wert, der den Jaguar I-Pace zu einer echten Alternative zu anderen
Luxuskarossen macht.