Ein Gespräch mit der Enkeltochter hat unseren uralten Glauben erschüttert
Es hat nicht nur Vorteile, wenn man glaubt, der eigene Nachwuchs müsste schlauer sein als man selbst. Kaum hat unsere achtjährige Enkelin lesen gelernt, surft sie schon mit Wellenlängen Vorsprung durchs Internet und bringt so öfter unsere heile Welt durcheinander. Als wir gestern – dem Kalender entsprechend – beiläufig mal den Weihnachtsmann ins Gespräch gebracht hatten, wurden wir aus kindlichem Mund belehrt, dass es diesen Kerl mit dem roten Gewand und dem Rentier-Schlitten ja gar nicht geben kann. Im Internet, so referierte unsere Enkelin, habe sie ermittelt, dass es weltweit etwa 92 Millionen christliche Haushalte gibt.
Das Rechenprogramm des Computers habe daraufhin nach wenigen Mausklicks ausgespuckt, dass der Weihnachtsmann am 24. Dezember unter diesen Vorgaben genau 822 Familien pro Sekunde besuchen müsste und dann für jedes Kind gerade mal eine gute Tausendstel Sekunde Zeit zur Verfügung hätte. Dies sei bei der Vielzahl der abzuliefernden Geschenke heutzutage nicht zu schaffen, belehrte uns unsere Enkelin mit dem für diese Altersgruppe üblichen Nachdruck. Das kommt davon, wenn man seinen Nachwuchs frühzeitig fürs digitale Zeitalter fit macht!
Aber die Kleine war längst noch nicht fertig: Außerdem müsste der Weihnachtsmann bei der großen Anzahl an Besuchen täglich etwa 120 Millionen Kilometer zurücklegen, was an besagtem 24. Dezember nur zu bewerkstelligen wäre, wenn der Rentierschlitten mit dreitausendfacher Schallgeschwindigkeit unterwegs sei. So was kann sich selbst unsere fantasiebegabte Enkelin einfach nicht vorstellen. Zumal sie noch ausgerechnet hat, dass der Schlitten bei einem durchschnittlichen Geschenke-Gewicht von einem Kilo insgesamt 326.000 Tonnen tragen müsste, wozu eigentlich mindestens 214.000 Rentiere vorgespannt werden müssten.
Leider würde ein solches Gespann bei dem errechneten hohen Tempo in der Reibungshitze schlichtweg verglühen. Sollte also der Weihnachtsmann jemals wirklich zu einer solch fulminanten Tour aufgebrochen sein, so hätte er sie nie und nimmer überlebt. Zwar kann sich unser Enkelkind nach eigenem Bekunden durchaus vorstellen, dass es zur Geschenkverteilung irgendwann mal autonom gleitende Rentierschlitten gibt, in denen der Weihnachtsmann gar nicht mehr selbst mitfahren muss. Auch eine personalsparende Verteilung der Weihnachtspäckchen durch Drohnen möchte es für die nahe Zukunft nicht ausschließen. Wenn der Weihnachtsmann dann von zu Hause aus mit seinem Handy die Belieferung steuert, würde das seine immense Arbeit zwar wesentlich erleichtern. Aber selbst dann könnte er niemals die errechneten 822 Familien pro Sekunde erreichen.
Weil uns solche komplexen Rechenvorgänge und denkbaren technischen Innovationen leicht überfordern, schiebt die Achtjährige auch noch einen für uns eher nachvollziehbaren Beweis für die Nicht-Existenz des Weihnachtsmannes nach. Der komme ja in Amerika bekanntlich bei seinen Hausbesuchen durch den Kamin. Sie habe nun aber das durchschnittliche Innenmaß von US-Kaminen gegoogelt und den Körperumfang des bekannt gut genährten Weihnachtsmannes grob geschätzt: Danach könnten das mit den Kamin-Besuchen nur Fake News sein. Zudem habe ihre amerikanische Facebook-Freundin im Vorjahr unterm Tannenbaum ein Mountainbike gefunden, das nie und nimmer durch einen Kamin passe.
Soweit unsere Enkelin! Was soll man einem solchen Menschenkind antworten? Man könnte auf Quantenphänomene verweisen oder auf die Heisenbergsche Unschärfe-Relation und physikalisch nachweisen, dass der Weihnachtsmann durchaus an zwei Orten gleichzeitig sein kann und sogar sein Ziel schon erreicht haben könnte, bevor er am vorherigen überhaupt aufgebrochen ist. Aber ob eine Achtjährige das begreift!?
Also bleibt nur ein uralter Trick, um sie von der Existenz des Weihnachtsmannes zu überzeugen: ein extra großes Paket für sie unterm Weihnachtsbaum. Denn wer anders als der Weihnachtsmann könnte das dort abgelegt haben? So was verstehen auch kleine Kinder.