Von kaum einem Beruf gibt es so verzerrte Vorstellungen wie von dem eines Personenschützers. Ein Leben auf der Überholspur, immer im Rampenlicht. Oder im Hintergrund warten und sich die Beine in den Bauch stehen. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit.
Drei schwere, schwarze Limousinen rauschen die Auffahrt zum Hotel rauf, auf den Dächern der gepanzerten Fahrzeuge jeweils ein kleines Blaulicht. Im Berliner Regierungsviertel ein vertrautes Bild. Die Wagen kommen zum Stehen, aus dem hinteren springen zwei Männer mit Knopf im Ohr. Erst gut zehn Sekunden später öffnet sich die Beifahrertür des mittleren Fahrzeuges, eine recht zierliche, junge Frau im dunklen Anzug steigt aus, auch sie mit Knopf im Ohr. Ihr prüfender Blick geht über den Hotelvorplatz, dann die Fassade hoch, ob auch alle Fenster geschlossen sind. Erst dann öffnet sie die hintere, rechte Tür der schwarzen Limousine, es entsteigt ein wie immer gut gelaunter Frank-Walter Steinmeier. Der Bundespräsident wird gleich einen internationalen Kongress eröffnen. Die Personenschützerin geht schräg rechts vom Bundespräsidenten voran, es folgen seine Referentin, der Büroleiter und fast unscheinbar rechts und links dahinter die beiden anderen Bodyguards des Bundespräsidenten. Arbeitsalltag für Frank-Walter Steinmeier und seine BKA-Personenschützer. Bevor das Oberhaupt der Bundesrepublik auch nur einen Schritt getan hat, haben seine Bewacher schon sehr viele hinter sich.
Sonntagabend, eine riesige Villa in der Pücklerstraße im noblen Berliner Ortsteil Dahlem, die private Residenz des Bundespräsidenten. In einem der unteren Räume, ebenerdig zum Garten nach hinten raus, ist die Stabsstelle der Personenschützer untergebracht, die 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag besetzt ist. Sonntags ist Kommandowechsel, die eine Mannschaft geht in die Ruhephase, die andere übernimmt. Vor Beginn der neuen Woche wird der Terminkalender von Frank-Walter Steinmeier durchgegangen. Dann wird geklärt, was ansteht, was auf die Beamten, die direkt „am Mann" ihren Dienst in dieser Woche verrichten, zukommt. Die Planung der Besuche ist allerdings schon längst abgeschlossen. Dafür zuständig ist das Vorkommando, sozusagen die Planungstruppe. Die befindet sich völlig unscheinbar in einem Hochhaus direkt an der Spree in den oberen Etagen des Gebäudes, nahe der Kreuzberger Oberbaumbrücke. Dort sitzt das BKA Vorkommando und plant die Aktivitäten ihrer Schutzpersonen. Wenn beispielsweise Bundespräsident Steinmeier zu einer Ausstellungseröffnung eingeladen wird, schaut sich das Vorkommando die Räume im Vorfeld genau an, registriert Kellereingänge, große Fensterflächen oder einen unüberschaubaren Garten. Dies wird in einer Lageskizze genau festgehalten. Ganz wichtig sind An- und Abfahrt, wo die Fahrzeuge geparkt werden, und wie man im Ernstfall den Bundespräsidenten auf dem schnellsten Weg wieder zurück in das gepanzerte Fahrzeug und damit in Sicherheit bekommt.
Das alles geschieht im Geheimen, die Gastgeber bekommen den Besuch vom Vorkommando meist erst mit, wenn sie direkt angesprochen werden. Eine Bestätigung, dass das Staatsoberhaupt tatsächlich zur Eröffnung kommt, gibt es aus Sicherheitsgründen selbstverständlich nicht und eine genaue Ankunftszeit, wann er denn kommen sollte, schon mal gar nicht. Wer einen Repräsentanten der sogenannten Schutzklasse 1 zur Party einlädt, muss mit solchen Unwägbarkeiten leben.
Der Secret Service setzt auch auf Optik
Für die Personenschützer beginnt so ein Arbeitstag meist morgens gegen 6 Uhr, die ersten Termine werden bereits gegen 8 Uhr angefahren. Tagsüber ist der Dienst überschaubar, außer natürlich bei Staatsbesuchen. Erst gegen Nachmittag steigt dann bei den BKA-Leuten langsam der Adrenalinspiegel, wenn es vermehrt zu Terminen außerhalb des Regierungsviertels geht, also in fremdes Terrain. Schon die Anfahrt im Berliner Straßenverkehr kann zum Spießrutenlauf werden, wenn die gepanzerte Blaulichtkolonne im Dauerstau der Hauptstadt stecken zu bleiben droht. Stillstand der Staatskolonne geht aber nicht, da muss dann auch schon mal die Berliner Polizei aushelfen und die in Frage kommende Kreuzung frei räumen.
So geht es dann bis spät abends von Termin zu Termin. Zwei, drei Personenschützer kleben direkt am Präsidenten dran, der Rest sitzt oder steht draußen und sichert den Rückzug. Das heißt für die Betroffenen, höchste Aufmerksamkeit in ein leeres Treppenhaus oder zugigen Flurdurchgang. In dieser Situation dürfen sich die Beamten dann nicht irgendwie mit ihrem Smartphone ablenken oder gar den Sportteil lesen, sondern über Stunden höchst aufmerksam sein. „Da kann einem dann schon mal die Zeit lang werden", sagt ein ehemaliger BKA-Personenschützer. Damit es nicht zu eintönig wird, wechseln bei solchen Terminen die Bodyguards regelmäßig ihre Positionen. Auf Dauer nicht weniger nervig ist die Ungewissheit, wie lange der Arbeitstag heute wieder dauern wird. Eine junge Personenschützerin, die wir wegen ihrer notwendigen Anonymität Victoria Heldt nennen, bringt das Dilemma im FORUM-Interview auf den Punkt: „Personenschützer müssen sich mit der Situation abfinden, dass sie im Dienst ein fremdbestimmtes Leben führe. Die Schutzperson gibt den Takt vor." (das ganze Interview auf der nächsten Seite). Da kann das Warten dann auch schon mal bis weit nach Mitternacht gehen.
Andererseits kann der Job aber auch hochgradig spannend sein, zum Beispiel beim Besuch eines US-Präsidenten. Dann steht der Besuchsort Kopf und das BKA gleich mit. Das ist dann sozusagen die Olympiade der Personenschützer. Der Besuch eines US-Präsidenten hat die höchste Sicherheitsstufe überhaupt, genau wie zum Beispiel der des israelischen oder türkischen Präsidenten. Das besondere bei der US-Variante ist, dass in dem Augenblick, wenn der US-Präsident auftaucht, die deutsche Souveränität auf dem eigenen Staatsgebiet endet. Der Secret Service des Weißen Hauses übernimmt dann das Kommando. Die BKA-Personenschützer werden zu Zaungästen im eigenen Haus und versuchen, doch noch irgendwie ihren Job zu machen. Eine rechtliche Grundlage für diese vorübergehende Aufhebung des Territorialrechts gibt es nicht, es gilt der Grundsatz: „Das ist nun mal so", so ein altgedienter BKA-Mann. Das führt dann auch regelmäßig zu Ärger. So sperrten einst beim Besuch von George W. Bush die Amerikaner kurzfristig den kompletten Frankfurter Flughafen. 150 Starts und Landungen fielen aus, das BKA war machtlos. Drei Jahre später legte der Secret Service die Bahnlinie Rostock – Stralsund lahm, Georg W. Bush war zum Wildschweinessen an der Ostseeküste. Das BKA durfte noch die Zufahrtsstraßen bewachen. Aber dafür ist die „Show" ihrer US-Kollegen spektakulär, was daran liegt, dass die Amerikaner beim Personenschutz auf martialisches Auftreten setzen. Fast durchweg handelt es sich bei den US-Personenschützern um durchtrainierte Zwei-Meter-Hünen, die schon mal 150 Kilo auf die Waage bringen. Für alle gut sichtbar, wird das M 16 Sturmgewehr lässig spazieren geführt. Wenn es die Lage im Luftraum erlaubt, donnern dann kurz vor dem Auftritt des US-Präsidenten, sozusagen als luftiger Gruß, noch zwei bis drei Apache-Kampfhubschrauber übers Feld. Damit hat dann auch der Letzte begriffen, wer hier jetzt das Sagen hat. Diese Form von Personenschutz ist genau das Gegenteil dessen, was sich die BKA-Sicherungsgruppe auf die Fahne geschrieben hat. Ein gelungener Einsatz ist der, wo nichts passiert ist und die Personenschützer nicht weiter aufgefallen sind.