Der Name verpflichtet: Philipp Vogel bürstete im „Orania" die Pekingente gegen den Strich und interpretierte sie als „Xberg Duck" zeitgemäß leicht. Das Resultat: ein neuer Kreuzberger Klassiker.
Die „Xberg Duck", die „Kreuzberger Ente", ist ein waschechter Multikulti-Hybrid, so wie es sich für den Stadtteil gehört: eine reinrassige, biozertifizierte „Pekingente", aufgewachsen in Irland. Zubereitet von einem deutschen Küchenchef, der zwei Jahre lang in Peking und Shanghai lebte und kochte, serviert am Oranienplatz, mitten in SO36. Philipp Vogel und sein Team hatten den ungewöhnlich interpretierten Vogel, der selbst chinesische Gäste in Erstaunen versetzt, vor gut einem Jahr eigentlich als Vorweihnachtsspecial auf die Karte gesetzt. Doch nicht nur der große, birnenförmige Ofen kam, sah und siegte, sondern auch sein Inhalt – eine Spielart der originalen Pekingente, die in Kreuzberg in vier Gängen, gegen den Strich gebürstet, aufgetischt wird.
„Sehr, sehr heiß! Bloß nicht anfassen!", wird der Fotograf in der offenen Küche gewarnt, als er sich anschickt, sich und die Kamera in die beinah mannshohe Edelstahl-„Tonne" zu versenken. Darin hängen acht bis neun Enten, die bei 230 bis 250 Grad Celsius gegrillt werden. Zunächst war die Ente auf der Karte eine Witzelei. „Wir wollten voriges Jahr im Winter Gänse machen", erzählt Philipp Vogel. „Meine Jungs haben mich nur gefragt: ‚Ja, wo denn?‘" Die offene Küche im Restaurant ist zwar groß genug für den täglichen „Mannschaftssport" mit fünf Köchen parallel auf ihren Posten. Aber für einen Extra-Herd zum Gänse-Braten gibt es keinen Platz. „Wir haben rumgealbert: Ach, dann machen wir Pekingente." Schließlich hatte Philipp Vogel während der Expo in Shanghai zwei Jahre in China gelebt und auch bei „Da Dong", dem „Pekingenten-König", genauer hingeschaut.
Spezieller Ofen aus China
Dass daraus allerdings einmal eine eigenständige Kreuzberger Spielart werden würde, war nicht abzusehen. Für einen 1,20-Meter-Ofen ist in der „Orania"-Küche eigentlich auch nicht genug Platz, und die Köche tänzeln oft genug um die silbrige „Tonne" hinten links herum. Grund: ein interkulturelles Versehen beim Bestellprozess. Geordert war ein 80-Zentimeter-Ofen. Als der kam, waren Überraschung und Durchmesser jedoch größer als erwartet. „80 Zentimeter waren’s nur im Deckel." Zurückschicken nach China kam nicht infrage. Zunächst war das Trumm wie geplant nur in der Vorweihnachtszeit aufgestellt und verschwand dann im Lager. „Aber schon im Januar, Februar haben so viele Leute nach der Ente gefragt, dass wir den Ofen gleich wieder aufgebaut haben."
Seither gibt’s Ente durchgängig. Auch im Sommer, auch bei 35 Grad. „Es kommen noch um 21 Uhr Leute und bestellen die Ente", beobachtete Vogel. „Wir machen bis zu 20 Stück an einem Abend." Natürlich brät zwischendrin immer wieder eine Bratwurst in einer Pfanne auf dem Herd oder es werden Süßkartoffel-Pommes als Snack an die Bar geschickt. Denn es gibt auch eine ganz normale Abendkarte. Die „Xberg Duck", die täglich ab 18.30 Uhr für zwei Personen serviert wird, ist nicht für jeden Gast und jeden Anlass geeignet. Hotelgästen reichen abends ein oder zwei À-la-carte-Gerichte, und auch die machen im „Orania" kulinarischen Spaß. Aber, ohne jede Frage: Rollt der Servierwagen an einen Tisch, ist das jedes Mal auch für die entenfreien Restaurantgäste ein Hingucker.
Dann greift Floor Miltenburg zu Tranchiermesser und -gabel und zelebriert die ganz große Servierkunst-Show. Wo wird heutzutage ein ganzer Vogel am Tisch genüsslich vorgeführt und live seiner kostbarsten Teile, der knusprigen Haut, entkleidet? Bei einer klassischen Pekingente bleiben Haut und Fleisch vereint, die dünnen Scheiben werden mit Gurke, Knoblauch und Hoisin-Soße in kleine Pfannkuchen gewickelt und aus der Hand verspeist. Die Karkasse kommt während des Essens zurück in die Küche; aus ihr wird eine Suppe als Highlight zum Abschluss des Mahls bereitet.
Die Enten kommen aus Irland
Diese Reihenfolge hat Philipp Vogel kurzerhand umsortiert; weniger wegen der typisch deutschen Speisenfolge, sondern vielmehr wegen der inneren Dramaturgie der vier Gänge. Kein Problem, wir sind ja in „Xberg". Da werden Traditionen ohnehin auf den Kopf gestellt und gegebene Verhältnisse hinterfragt. Passt also, das mit dem einzelnen Dim Sum in einer Dashi von der Karkasse zum Start. Der Dumpling ist ein mit Keule und Leber gefülltes Enten-Kraftpaket, gegen das Popeyes Spinat ganz schön alt aussieht. Ob der intensive Geschmack der Rasse geschuldet ist? Im „Orania" verwandeln sich ausschließlich irische Enten der Rasse „Pekingente" in „Xberg Ducks". „Wir kaufen die dort, weil es einfach die besten sind." Das Fleisch ist für die Züchter ein Nebenprodukt: „Die verkaufen eigentlich hauptsächlich die Federn", erfahren wir. Das Original hat einen in der Küche geschätzten Vorteil: ordentlich Fett am Leib, damit der Twist zur besonders knusprigen Haut gelingt. Landet die geschlachtete Pekingente in Kreuzberg, wird sie im „Orania" in Fond gekocht, abgetropft und einen Tag getrocknet, bevor sie am Haken in den Ofen kommt.
Versteht sich also, dass mit den Enten „umschichtig" gearbeitet wird. Mit einem einzigen Vogel würde nur die herkömmliche Reihenfolge funktionieren. Während wir den Enten-Dashi bis zur Neige auslöffeln, können wir Koch Kevin von Werthen vom Chef’s Table aus beim Vorbereiten der Zutaten für unseren zweiten Gang zuschauen. Aus einem Einweckglas entnimmt er die mit Chili, Sesamöl und einem Tick Zucker eingelegten Gurken, die das knackige, angeschärfte Gegengewicht zu Soße, Haut und Pfannkuchen bilden. Erst als die Schälchen und Platten mit den Zutaten zum Do-it-yourself-Duck-Wickeln auf unserem Tisch stehen, kommt das Highlight: die nach besonders feiner, kaiserlicher Art dünn abgeschnittene, extrakrosse Haut. Das Brustfleisch wird erst im dritten Gang und zwar in Pfeffersoße serviert. Ein sich lasziv auf seiner Platte räkelnder Pak Choi setzt mit einem Topping von grünem Apfel und roter Shiso-Kresse frische grüne Akzente – mehr ein gewärmter Salat als gedünstetes Gemüse. Spätestens jetzt sind wir fest davon überzeugt, dass ein Enten-Viergang-Menü eine kleine, leichte Sache ist.
Das ist es überraschenderweise tatsächlich. Die Gänge sind allesamt so dimensioniert und ausbalanciert, dass genügend Raum bleibt, für das, was kommt. Sonst würde wohl keiner, noch nicht einmal im nachtaktiven Kreuzberg, auf die Idee kommen, am späten Abend mit einem Enten-Menü zu starten. Auch der 2016er-Schiefer Riesling von Nik Weis trägt seinen erfreulichen Teil zum leichtfüßigen und im „Orania" sowieso jederzeit zwanglosen Genuss bei. Der Moselaner vom St. Urbans-Hof führt terroirbedingt leichten Rauch und Salz im Unterbau mit sich, verführt obenauf jedoch mit beinah tropischen Früchten. Er erweist sich als standhafter, jedoch mit Eleganz an die asiatische Aromatik anpassungsfähiger Begleiter.
Das gesamte Menü gibt’s für 52 Euro pro Person
Diese Beharrlichkeit braucht er, als im vierten, abschließenden Gang die im „Fried Rice" kleingezupfte Entenkeule auf den Plan tritt. „Dit Been", auf gut Berlinerisch und nicht auf Mandarin, sowie dessen Begleiter Wasserkastanie und Reischip werden von einem Eigelb getoppt, das nach dem Anpieken die Einzelbestandteile cremig miteinander verbindet. Das ist ein Schälchen ziemlich kraftvolles Glück zum Ausklang.
Selbst wenn beim letzten Gang ziemlich „jebalinat" und lokalkoloriert wird, trifft der „dinglishe" Name „Xberg Duck" eher den Charakter dieser Ente gewordenen Kreuzberg-Peking-Connection: ein Gericht, das seine fernöstlich weltläufige Herkunft nicht verleugnet und am Oranienplatz, mitten im neu-hippen wie alt-rebellischen Kreuzberg, funktioniert. In dem zunächst nicht unumstrittenen Mini-Luxushotel „Orania", das sich mit Konzerten, Bar und seiner angehobenen, aber in Qualität und Preisen durchaus kreuzbergverträglichen Gastronomie sowohl bei Reisenden wie auch bei Nachbarn etabliert hat. So gibt’s „nüscht zu meckern" gegen den portemonnaieverträglichen Menü-Preis von 52 Euro pro Person.
Und da selbst die schönste, leichteste Kreuzberger Ente chinesisch korrekt ohne süßes Rausschmeißerchen serviert wird, stellen wir zufrieden fest: Es ist noch Platz in uns für ein Tamarinden-Dessert mit fluffiger Vanilleespuma, lustigen Tapioka-Perlen und crunchigem Cru de Cacao on top. Na gut, geteilt durch zwei. Denn auf einen Absacker aus der wohlsortierten Spirituosenabteilung, zubereitet von den ausgefuchsten Mixologen am Bartresen, würden wir zum wirklich endgültigen Abschluss ohnehin nie verzichten wollen.