Im Museum Spandovia Sacra in der Spandauer Altstadt herrscht weihnachtliche Stimmung. Seit neun Jahren schon findet in dem Museum eine Krippenausstellung statt. Die Lehrerin Marlies Kluge-Cwojdzinski und ihr Mann, Pfarrer Jörg Kluge, trugen in über 30 Jahren mehr als 400 Krippen zusammen. Einen Bruchteil der Sammlung zeigen sie bis zum 2. Februar.
An den Wänden hängen Adventskalender der umfangreichen Kollektion von Ingrid Andriessen-Beck aus Spandau. Sie hat Dutzende für die aktuelle Schau zur Verfügung gestellt. Der Fokus liegt in diesem Jahr auf Motiven mit dem Weihnachtsmann. Zuvor zeigte sie schon christliche Motive oder Stadtansichten.
Die 50 ausgestellten Exemplare sind nur ein kleiner Teil der prächtigen Sammlung. Zu Hause bei Ingrid Andriessen-Beck schlummern in einer Schublade unter ihrem Bett noch einmal mehr als 150 kleine und große Kalender mit den charakteristischen Türchen zum Öffnen.
„Meinen ersten Adventskalender bekam ich, als ich noch nicht in der Lage war, die Kläppchen selbstständig zu öffnen. Meine Mutter hatte alle aufgehoben, die ich im Laufe der Jahre geschenkt bekam. Ich erbte die Sammlung gewissermaßen", erzählt Ingrid Andriessen-Beck.
Geboren in Berlin-Neukölln, aufgewachsen in Köpenick, nennt die 66-Jährige auch DDR-Kalender mit christlichen Motiven ihr Eigen. Sie wurden bis 1953 produziert. Der Wartburg Verlag, 1946 von Max Keßler in Jena gegründet, produzierte religiöse Adventskalender. Die Firma fühlte sich der reformatorischen Tradition Luthers verpflichtet und war einer der wenigen Privatverlage der DDR. Der Wartburg Verlag existiert bis heute unter dem Dach der Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig.
In der DDR-Verfassung war die Religionsfreiheit verankert, und bis in die frühen 50er-Jahre verhielt sich der atheistische Staat gegenüber den Kirchen neutral. Im Sommer 1952 jedoch wurde der „Aufbau des Sozialismus" verkündet. Seither blies ein rauerer Wind den Christen ins Gesicht, das galt auch für ihre religiösen Symbole wie Adventskalender. Schon der lateinische Begriff Adventus (Ankunft) war den Regierenden verdächtig. Die Adventszeit gilt als Vorbereitungszeit für die Geburt Christi. So sollten nach 1953, dem Jahr des Volksaufstandes am 17. Juni, die Kinder zwischen Greifswald und Suhl lieber technische Motive, Panzer und Flugzeuge hinter den Fensterchen in der Vorweihnachtszeit entdecken.
Eine evangelische Erfindung
Ingrid Andriessen-Beck hat ihre Sammlung akribisch katalogisiert. Dabei half ihr das Museum für Europäische Kulturen in Berlin-Dahlem. Dort wird eine der größten Adventskalender-Kollektionen der Welt aufbewahrt. Die Wahl-Spandauerin ist von Haus aus Biologin, da liegt ihr das Systematisieren quasi im Blut. Eine eigene Abteilung in der Sammlung bilden Kalender mit Stadtansichten. Neben den Münchner Zwiebeltürmen der Frauenkirche entdeckt man eine Zille-Zeichnung mit drallen Berlinerinnen vor dem uralten Restaurant „Zum Nußbaum" in Berlin-Mitte. Das Exemplar mit dem Hochzeitsturm in Darmstadt ist Ingrid Andriessen-Becks Lieblingsobjekt. Es ist praktischerweise demontiert, sodass man sich über die Anordnung von Türchen und Bildern dahinter informieren kann. Viele dieser Weihnachtsuhren, wie man sie im 19. Jahrhundert auch nannte, bekommt Ingrid Andriessen-Beck geschenkt. Am liebsten sind ihr die ganz alten oder die kuriosen, etwa in Form einer Parkscheibe. Allen ist gemeinsam, dass sie den Kindern das Warten erträglicher machen bis zur Bescherung am Heiligen Abend.
Die Sammlerin ist tief eingestiegen in die Entstehungsgeschichte des Advents-Accessoires: „Die Vorläufer waren aufgerollte Zettelchen mit Bibel-Sprüchen und Psalmen. Die Kinder sollten sie auswendig lernen und zu Weihnachten vortragen."
Zu ihrer Kollektion gehört ein sehr altes Exemplar mit einer erzgebirgischen Pyramide und vielen Figuren mit Noten hinter den Kläppchen. Zum Fest konnte man die „Rückwand" abtrennen und hatte ein Notenblatt mit den gängigen Liedern. Der Adventskalender als evangelische Erfindung setzte sich erst nach und nach in katholischen Landstrichen durch. „Heute kennt man ihn auch in Dänemark, Frankreich, Österreich und der Schweiz."
Nur in Polen ist die Weihnachtsuhr unbekannt. Aber das ändert sich gerade. Ingrid Andriessen-Beck wurde nach Drezdenko eingeladen, wo ihr Urahn Karl Ludwig Hencke im 19. Jahrhundert Asteroide entdeckt hatte. Er wurde mit einem Denkmal geehrt, und sie durfte es enthüllen. Bei der Gelegenheit nahm sie Kontakt zu einer Schule auf und bastelte mit den Kindern Adventskalender. Das ist zur Tradition geworden. Jedes Jahr fertigen die jungen Polen eigene Weihnachtsuhren. Sie sollen in den nächsten Jahren im Museum Spandovia Sacra ausgestellt werden. Erst kürzlich eröffnete sie im Museum in Drezdenko eine eigene Ausstellung.
Die Heilige Familie mit Personal und Tieren
Marlies Kluge-Cwojdzinski wirkt mit ihren Krippen aus aller Welt schon wie ein Stammgast im Museum Spandovia Sacra. Schon zum neunten Mal ist die Heilige Familie mit mehr oder weniger großem Personalaufgebot zu sehen. Titel der bisherigen Ausstellungen lauteten: „Krippenwelten von Sardinien über Afrika nach Südamerika" oder „Krippen – Kunst und Kitsch", auch Objekte aus Ton waren schon zu sehen.
Manche Exemplare bestehen ganz puristisch nur aus Maria, Josef und dem Kind. Andere dagegen fahren das gesamte zur Verfügung stehende Personal auf, also Verkündigungsengel auf dem Feld bei den Hirten mit ihren Herden; die Heiligen Drei Könige mit ihren Geschenken und den Kamelen.
200 Figuren für eine Neapolitaner Krippe
All das reicht manch einem noch nicht: Die Neapolitaner erfinden jedes Jahr neue Figuren für ihre berühmten Weihnachtskrippen. Sogar Johann Wolfgang Goethe bewunderte sie schon auf seiner italienischen Reise. Zu den zahlreichen Figuren, es können bis zu 200 für eine einzige Krippe sein, gehören Prominente aus Showbiz, Sport und Politik. In der berühmten Krippenschnitzer-Straße San Gregorio Armeno in der Altstadt Neapels kann man sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel als Figur für die Weihnachtsdeko erwerben.
Die Schönste kommt aus Polen
Als eine der allerschönsten der Sammlung kann man die elegant-glitzernde blaugoldene Krippe aus Krakau bewundern mit der beachtlichen Höhe von 50 Zentimetern. Das ist kein schlichter Stall wie in Bethlehem. Mit etwas Fantasie sind in der schimmernden Fassade die drei Türme von St. Thomas, einer Kirche in Krakau, zu erkennen. In den Bögen bevölkern winzige Figuren das Bauwerk aus Stanniolpapier.
Die Tradition begann vor gut 100 Jahren. Maurer waren im Winter arbeitslos. Sie begannen, aus Stanniolpapier aufwendige Gebäude zu basteln, Krippen to go quasi, denn mit ihnen zogen sie von Haus zu Haus. Als Vorbild dienten den Bauherren die Kirchen ihrer jeweiligen Heimatstadt.
In einer anderen berühmten polnischen Tradition stehen die aufwendig verzierten Eier. Ein Straußenei, mit zartem Pinsel bemalt, zeigt Maria, wie sie ihr Kind ins Stroh legt. Bei unseren Nachbarn im Osten ist es Brauch, in jeder Kirche zu Christi Geburt eine Krippe aufzustellen.
Exotische Krippen
Für uns Mitteleuropäer ist die Sache klar: Josef ist immer ein bisschen beleidigt, weil die junge Mutter nur noch Augen für ihr Kind hat. Die Hirten kommen zusammen mit ihren Schafen plus Ochs und Esel vom Feld in den Stall. Die drei Magier aus dem Morgenland tragen immer rote, grüne und blaue Umhänge.
Aber wie sieht das Weihnachtsspektakel in fernen Ländern aus? In Teneriffa spielt Josef Gitarre, und Maria spinnt Wolle. Die kleinen, einfach geformten Figuren aus Ton wirken geradezu rührend auf die Betrachter. Eher ausgelassen geht es an Weihnachten in Bolivien zu. Eine Blockkrippe aus glasierter Keramik vereint die lachende Heilige Familie in einer einzigen großen Figur.
Äthiopier haben Stoff zu zauberhaften, abstrakten Figürchen gewickelt. Aber es steckt noch mehr dahinter. Ein beiliegender Text berichtet über die Kleidung in dem ostafrikanischen Land. Wir erfahren, dass Maria ein gewebtes Umschlagtuch trägt, Teil des Festgewandes der Frauen.
Und wer seine Krippe lieber in den Garten stellt: Es gibt die Heilige Familie sogar in wetterfestem Kunststein – romanischen Kathedralfiguren nachempfunden. Wie früher der Tannenbaum in der Wohnung, bleibt auch diese Ausstellung bis zum 2. Februar stehen.