Der „Archetypus eines behinderten Genies" – so bezeichnete sich Stephen Hawking selbst einmal. Mit seinen Theorien über die Geheimnisse des Weltalls fesselte er Forscher und Laien zugleich. Er starb am 14. März.
Er war ein Popstar der Wissenschaft. Am 14. März verstarb der britische Astrophysiker Stephen Hawking im Alter von 76 Jahren in seinem Haus in Cambridge. Hawking litt seit mehr als einem halben Jahrhundert an der unheilbaren Muskel- und Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose). „Ich habe keine Angst vor dem Tod", sagte er. Aber er habe auch keine Eile damit, zu sterben. Hawking saß seit vielen Jahren im Rollstuhl und war fast völlig bewegungsunfähig. Schon lange konnte er sich nur noch mühsam mithilfe eines Computers verständigen. Zuletzt nahmen seine Kräfte immer mehr ab.
Er gehört zu den größten Wissenschaftlern, die auf der Erde gelebt haben. Die Fachwelt schätzte Hawking wegen seiner Theorien zum Ursprung des Kosmos und zu Schwarzen Löchern. „Ich möchte das Universum ganz und gar verstehen", sagte er. „Ich möchte wissen, warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert." Sein 1988 erschienenes Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit" machte ihn auch bei Laien populär. Auch sein Humor war legendär. Er tauchte als Figur und Stimme bei den „Simpsons" und „Futurama" auf und spielte sich selbst in einer Episode von „Star Trek" und der Comedy-Serie „Big Bang Theory".
Hawking wurde am 8. Januar 1942, dem 300. Todestag des Gelehrten Galileo Galilei, in Oxford geboren. Er starb am Geburtstag des Physik-Genies Albert Einstein (14. März 1879) und am inoffiziellen Pi-Tag. Pi (ca. 3,14) ist in der Mathematik eine Konstante, die das Verhältnis des Umfangs eines Kreises zum Durchmesser definiert.
Hawking erkrankte bereits als Physikstudent an ALS, Ärzte sagten ihm nur noch wenige Jahre Lebenszeit voraus. Seit 1968 war er auf den Rollstuhl angewiesen. Doch die Krankheit schritt bei ihm sehr langsam voran und konnte seinen Aufstieg in der Wissenschaft nicht aufhalten: 1979 wurde er Professor für Mathematik in Cambridge, mehr als 30 Jahre lang hatte er dort den renommierten Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik inne – und stand damit in der direkten Nachfolge von Isaac Newton.
Das Privatleben kam trotz seiner Karriere nicht zu kurz. Hawking war zweimal verheiratet und hatte drei Kinder. 30 Jahre lang war er mit seiner Jugendliebe verheiratet, doch die Ehe scheiterte. Später bezeichnete sie ihn als einen „Haustyrannen". 1995 heiratete Hawking seine Pflegerin, die Ehe dauerte elf Jahre. Er bekannte einmal, dass Frauen für ihn das größte Rätsel seien.
Trotz Gesundheitsproblemen lief das Gehirn des Genies stets auf Hochtouren. Neue Theorien entwickelte Hawking zu Schwarzen Löchern und dem Urknall: Die monströsen Schwarzen Löcher im All sind demnach keine Endstationen. Zwar saugen sie durch ihre enorme Schwerkraft alles ein, was ihnen zu nahe kommt, und lassen nicht einmal das Licht entkommen. Hawking konnte aber in der Theorie zeigen, dass Schwarze Löcher langsam verdampfen –
eine Folge der Quantenphysik. Das Verdampfen dauere extrem lange. Die dabei entstehende Hawking-Strahlung ließ sich daher bisher nicht nachweisen. Andernfalls hätte er womöglich längst einen Nobelpreis erhalten.
Beerdigt bei Isaac Newton und Charles Darwin
Bereits als Doktorand hatte Hawking 1965 zusammen mit dem Briten Roger Penrose zudem einen wichtigen mathematischen Beleg für die Urknalltheorie geliefert. Die Idee vom Urknall war damals noch umstritten, unter anderem, weil in dieser mathematischen „Singularität" die Naturgesetze nicht mehr gelten und so eine Art Schöpfungsakt notwendig zu werden schien. Er beschäftigte sich mit Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie und konnte zeigen, dass sie einen Anfang des Universums voraussagte. „Ein Ergebnis, das die Kirche interessiert zur Kenntnis nahm", wie Hawking in seiner Autobiografie „Meine kurze Geschichte" schrieb. Später zeigte er jedoch, dass der Anfang des Universums nicht zwangsläufig in einer Singularität gelegen haben muss.
Zudem versuchte Hawking über Jahrzehnte, die Relativitätstheorie mit der Quantenphysik zu vereinen und auf diese Weise eine Art „Weltformel" zu finden – in der Sprache der Physiker eine „Große Vereinheitlichte Theorie", die alle Bereiche des Universums beschreiben kann, vom Mikro- bis zum Makrokosmos. Stephen Hawking war eine Art Lichtgestalt der Wissenschaft und schreckte nicht davor zurück, zu populären Ideen wie Zeitreisen und Außerirdischen Stellung zu nehmen.
In seinen letzten Jahren trat Hawking immer wieder als Mahner auf. Intelligente Roboter, Klimaerwärmung, Atomkrieg und durch Gentechnik hergestellte Viren könnten die Erde gefährden, warnte er. Seine Botschaft: Die Menschheit müsse sich Ausweichmöglichkeiten im All schaffen, falls es zu einer hausgemachten Katastrophe kommen sollte. Gemeinsam mit dem russischen Milliardär Jurij Milner plante er, eine Armee nur etwa briefmarkengroßer Raumschiffe auf eine 20-jährige Reise zum Sternsystem Alpha Centauri zu schicken. Hawking war überzeugt: „Früher oder später müssen wir zu den Sternen schauen." Zweieinhalb Wochen nach seinem Tod nahmen Familie, Freunde und Kollegen bei einer Trauerfeier in der Kirche Great St. Mary’s in der Universitätsstadt Cambridge Abschied von dem Astrophysiker. In der Kirche waren auch seine drei erwachsenen Kinder Lucy, Timothy und Robert. Hawking war Atheist und hat nie an ein Leben nach dem Tod geglaubt. Die Überreste Hawkings wurden am 15. Juni in der Westminster Abbey in London beigesetzt. Seine letzte Ruhestätte soll dort in der Nähe des Universalgelehrten Isaac Newton und des Naturforschers Charles Darwin sein. Sein Tod ändert nichts an seiner Popularität – im Gegenteil. Bis Ende November ist sein Buch „Kurze Antworten auf große Fragen" auf Platz eins der deutschen Bestseller-Listen.