Notbremse nach dem Skandal. Mit der folgenreichen Echo-Vergabe an den als antisemitisch kritisierten Rap von Kollegah und Farid Bang ist die Glamour-Gala am Ende.
Campino steht auf der Bühne und spricht das an, was im Vorfeld der Veranstaltung schon seit Wochen die Gemüter erhitzt hat. Wo hört die künstlerische Freiheit auf, wo ist die Grenze? Er kenne sich als Sänger der Toten Hosen mit Provokation aus, sie könne konstruktiv sein, sagte er in seiner Dankesrede für den Echo in der Kategorie Rock National. Die Adressaten sind klar: Es geht um die Rapper Kollegah und Farid Bang und ihre als antisemitisch kritisierte Liedzeile. Doch Campino geht es um mehr. „Wenn es um frauenverachtende, homophobe, rechtsextreme und antisemitische Beleidigungen geht", sei für ihn die Grenze überschritten, erklärt er. Großer Applaus und Standing Ovations im Publikum. „Wann ist die moralische Schmerzgrenze erreicht?", fragt Campino. Die Debatte sei wichtig und nötig.
Und dann das: Kollegah und Farid Bang gewinnen tatsächlich den Echo. „Das ist ja fast schon wie ein Trostpreis nach Campino", sagt Farid Bang zum Preis für das Album „Jung, Brutal, Gutaussehend 3" und gießt kräftig Öl ins Feuer. Campino habe sich als moralische Instanz aufgespielt, das gebühre einem so großen Musiker nicht, sagt Kollegah. Unter lauten Buh-Rufen und Pfiffen aus dem Publikum zeigt er eine Karikatur des Toten-Hosen-Sängers mit Heiligenschein, die er zu einem wohltätigen Zweck versteigern wolle. Schon im Vorfeld hatte es heftige Kritik an der Textzeile „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen" aus dem Lied „0815" der beiden Musiker gegeben.
Die Resonanz auf die Echo-Verleihung hatten aber sowohl die beiden umstrittenen Musiker als auch der Veranstalter unterschätzt. Zu den heftigsten Kritikern gehörte auch der deutsche Außenminister Heiko Maas. „Antisemitische Provokationen haben keine Preise verdient, sie sind einfach widerwärtig", twitterte Maas am folgenden Tag. Dass am Holocaustgedenktag ein solcher Preis verliehen werde, sei beschämend.
In der Folge gaben zahlreiche Musiker ihre früher erhaltenen Echos unter Protest zurück – darunter Stardirigent Daniel Barenboim und Sänger Marius Müller-Westernhagen. Ein Echo-Sponsor sprang bereits im Vorfeld ab. Kurze Zeit später beendete die Bertelsmann Music Group die Zusammenarbeit mit den beiden Rappern und trennte sich von ihnen.
Späte Einsicht oder doch nur Kalkül?
Zwei Wochen nach der umstrittenen Veranstaltung kam dann das Aus für den Echo selbst. Den Musikpreis wird es nach dem Eklat künftig nicht mehr geben, teilte der Bundesverband Musikindustrie in Berlin mit. Die Marke Echo sei so stark beschädigt worden, dass ein vollständiger Neuanfang notwendig sei, hieß es in der Mitteilung des Verbandes. Das ziehe auch eine Neuaufstellung beim Echo Klassik und beim Echo Jazz nach sich. Deutschland brauche als drittgrößter Musikmarkt der Welt „zur genre- und generationsübergreifenden Auszeichnung von Künstlerinnen und Künstlern" weiterhin „Musikpreise mit Leuchtturm-Charakter". Man wolle jedoch keinesfalls, dass dieser Musikpreis als Plattform für Antisemitismus, Frauenverachtung, Homophobie oder Gewaltverharmlosung wahrgenommen werde. Der Deutsche Musikpreis wurde seit dem Jahr 1992 verliehen. Die Gewinner wurden überwiegend auf Grundlage ihrer verkauften Alben ermittelt.
Gangster-Rapper Kollegah hat sich ein halbes Jahr später von Textzeilen über Auschwitz und den Holocaust auf seinem Album „Jung, brutal, gutaussehend 3" distanziert. Anfang Oktober sagte Kollegah im Interview mit dem Magazin „Stern": „Ich werde so etwas nie wieder benutzen. Wir haben eingesehen, dass das echt verletzend sein kann." Und weiter: „Ich habe nach dem Besuch von Auschwitz großen Respekt davor", erklärte der Musiker, der mit bürgerlichem Namen Felix Blume heißt. Der Besuch habe ihn sehr verändert, sei eine „aufwühlende, klärende Erfahrung" gewesen. „Wenn du mit eigenen Augen siehst, wie dort fabrikmäßig Menschen vergast wurden, vergisst du das nie." Man werde „vorsichtiger und respektvoller". Er stehe „für Toleranz und gegen alle Vorurteile rassistischer oder religiöser Art", sagte der 34-Jährige. „Die Zeit der Provokation ist vielleicht erst mal vorbei." Er mache sich sehr viele Gedanken darüber, ob in seinen Songs etwas rassistisch verstanden werden könne.
Ob das späte Einsicht oder Schadensbegrenzung aufgrund der andauernden Kritik ist, bleibt abzuwarten. Einen Monat zuvor war das Album auf die Liste jugendgefährdender Medien gesetzt worden. Bereits im April hatte es allerdings schon Platin-Status erreicht, sich – trotz oder wegen des Skandals – mehr als 200.000 Mal verkauft. Dass sich monatelang keine Behörde veranlasst sah, das Album zu überprüfen, bleibt ohnehin mysteriös. Schließlich sind beide Rapper einschlägig bekannt: Schon die beiden Vorgänger-Alben „JBG" und „JBG 2" landeten auf dem Index der Bundesprüfstelle.