Die britische Premierministerin rackert sich ab, um ihr Abkommen für den EU-Austritt doch noch im Parlament in London durchzubringen. Doch es scheint beinahe aussichtslos.
Die Brexit-Saga will kein Ende nehmen. Eigentlich wollte die britische Premierministerin Theresa May ihren Deal schon vom Parlament abgesegnet haben, doch der Widerstand selbst in der eigenen Partei ist zu groß. Deshalb verschob May Anfang Dezember die für den 11. Dezember geplante Abstimmung zunächst auf unbestimmte Zeit. Stattdessen wollte sie ihr Glück noch einmal in Brüssel versuchen und einige Punkte im Brexit-Vertrag nachverhandeln.
Die britische Premierministerin wollte rechtliche und politische Zusicherungen erreichen, die ihr helfen sollten, das Brexit-Abkommen durchs Parlament zu bringen. Das Problem: Die Abgeordneten der Regierungsfraktion sind heillos darüber zerstritten, wie der Brexit aussehen soll. Seit der Neuwahl im vergangenen Jahr sind sie zudem auf die Unterstützung der nordirisch-protestantischen DUP angewiesen. Premierministerin May hat es versäumt, ihre Partei und das Land frühzeitig darauf vorzubereiten, dass der EU-Austritt nicht ohne schmerzhafte Kompromisse zu haben ist.
Sie hat die widerstreitenden Gruppen stets mit sich gegenseitig ausschließenden Maximalversprechungen bei der Stange gehalten. Damit konnte sie zwar ein Auseinanderbrechen ihrer fragilen Regierungsmehrheit verhindern, doch diese Strategie rächt sich jetzt. Viele Abgeordnete fühlen sich von May hintergangen, weil sie ihnen nun ein Abkommen vorsetzt, dass ganz anders aussieht als die vollmundigen Versprechungen der vergangenen beiden Jahre.
Knackpunkt ist vor allem die als Backstop bezeichnete Garantie, dass es keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland geben soll. Die Regelung sieht vor, dass Großbritannien im Notfall als Ganzes in der Zollunion bleiben soll, bis eine andere Lösung gefunden wird. Die Brexit-Hardliner in Mays konservativer Partei fürchten, dass das Land durch den Backstop dauerhaft im Orbit der EU gehalten könnte.
Doch die EU machte schnell klar, dass man am Vertragstext des Austrittsabkommens selbst keine Änderungen mehr vornehmen will. Eine zeitliche Befristung für die Garantie-Regelung wie von vielen in London gefordert, lehnt die EU ohnehin strikt ab. Die britische Provinz Nordirland war von 1969 bis 1998 Schauplatz eines blutigen Konflikts zwischen katholischen Republikanern und protestantischen Unionisten. Die Republikaner fordern eine Vereinigung mit der Republik Irland im Süden. Die Unionisten wollen um jeden Preis Teil des Vereinigten Königreichs bleiben. Bei den Auseinandersetzungen kamen mehr als 3.600 Menschen ums Leben. Zehntausende wurden traumatisiert.
Zur Beendigung des Konflikts mit dem Karfreitagsabkommen im Jahr 1998 trug wesentlich die Aufhebung von Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland bei. Die politische Trennung der Insel ist damit kaum noch spürbar. Möglich war das nur durch die Mitgliedschaft Großbritanniens und Irlands in der Europäischen Zollunion und dem Binnenmarkt. Doch aus beiden wollen die Briten nun austreten. Aus Sicht vieler Katholiken wäre das Karfreitagsabkommen mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen am Ende.
Die Labour-Partei hofft auf Neuwahlen
Spätestens im Januar muss die Premierministerin ihren Brexit-Deal dem Parlament vorlegen. Einen ersten Versuch am 11. Dezember brach sie wie erwähnt im letzten Moment ab, weil sich eine deutliche Niederlage abzeichnete. Das darauffolgende Misstrauensvotum in ihrer Fraktion überstand sie zwar, aber 117 von 317 ihrer eigenen Abgeordneten entzogen ihr das Vertrauen. Diese Stimmen werden May höchstwahrscheinlich auch beim nächsten Versuch fehlen, denn die radikalen Forderungen der Brexit-Hardliner wird sie nicht erfüllen können.
Einzige Möglichkeit, ihren Deal zu retten wäre, ausreichend Hilfe in der Labour-Fraktion zu mobilisieren. Doch Labour-Chef Jeremy Corbyn hat das so gut wie ausgeschlossen, er spekuliert auf Neuwahlen. May könnte versuchen, Corbyn zu umgehen und direkt um die EU-freundlichen Labour-Hinterbänkler werben. Doch dafür müsste sie eine viel engere Anbindung an die EU in Aussicht stellen als bisher geplant. Brexit-Sprecher der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer, forderte nach Mays vergeblicher Brüssel-Reise noch vor Weihnachten eine Abstimmung zu dem Abkommen, die aber ausblieb.
Kommt May mit ihrem Deal nicht durch, könnte die Opposition ihre Regierungsmehrheit mit einem Misstrauensvotum im Parlament auf die Probe stellen. Es gilt als unwahrscheinlich, aber nicht als ausgeschlossen, dass einige Rebellen in der Tory-Partei oder der DUP aufspringen würden. Dann könnte es zu einer Neuwahl kommen. Möglich wäre auch, dass sich May doch noch auf ein zweites Brexit-Referendum einlässt, wie viele EU-freundliche Abgeordnete fordern. Bislang gibt es aber auch dafür im Parlament keine Mehrheit. Umstritten ist vor allem, welche Fragen den Briten vorgelegt werden könnten.