Die Foto-Manufaktur Adox in Bad Saarow bei Berlin ist weltbekannt. Hier entstehen begehrte Materialien für die analoge und die Schwarz-Weiß-Fotografie. Auch Magnum-Fotografen arbeiten mit Adox-Produkten.
Der Besucher erreicht das Büro von Mirko Böddecker in der alten Produktionshalle durch lange Gänge, vorbei an diversen Fotomaterialien und kleinen mobilen Laboratorien. In seinem Büro fasziniert auf den ersten Blick ein großes Schwarz-Weiß-Foto. Es ist ein Bild des Magnum-Fotografen Gilles Peress. „Das Motiv aus seiner Beirut-Serie hat er auf Adox MCC Papier vergrößert, und wir durften es an unserem Stand auf der Photokina 2016 ausstellen", erklärt Böddecker. Er ist der Geschäftsführer der Adox Fotowerke GmbH. An die Tradition des Unternehmens erinnert eine kleine Ausstellung in einer Vitrine: eine Adox Rollfilm-Kamera 6x9, ein Agfa-Plakat und eine Sammlung alter Filme, darunter der berühmte Schwarz-Weiß-Film Adox KB 14.
Auf analoge Fotografie hat Mirko Böddecker seine Unternehmungen aufgebaut. Er begann mit einer Vertriebsgesellschaft von Fotomaterialien, der Fotoimpex, die er 1992 mit dem Startkapital aus seiner Zivildienst-Abfindung gründete. Die Gesellschaft residierte in einem Ladengeschäft in der Alten Schönhauser Straße. Böddecker vertraute auf die klassische Fotografie als zukünftiges Nischenprodukt. Gegen den Trend zur digitalen Fotografie erwies sich die Firma als so erfolgreich, dass sie 2003 die verschwundene Marke Adox komplett mit Lizenzen, Rezepturen und Technologien übernehmen konnte.
Was war aus Adox geworden? 1860 in Frankfurt am Main von Carl Schleussner gegründet war sie die erste fotochemische Fabrik der Welt. Über vier Generationen wurde das Unternehmen als Familienbetrieb geführt. Adox steht für Aktiengesellschaft Doktor C. Schleussner. Durch den Sitz in Frankfurt ergab sich eine ganz spezielle Zusammenarbeit: die mit Wilhelm Conrad Röntgen. Die Schleussner-Fotowerke wurden zum Erstentwickler von Röntgenfilmen für die Medizin. In den 1950er-Jahren expandierte die Firma und errichtete in Neu-Isenburg neue Produktionsanlagen zur Herstellung von Fotomaterialien. Hier entstanden weltweit geschätzte Spitzenprodukte. Auch das Produktionssegment Röntgenfilm blieb bis zuletzt stark und bildete 1962 auch die Grundlage für den Aufkauf der angeschlagenen Firma Adox durch den US-amerikanischen Marktführer in diesem Bereich, Dupont: Die Amerikaner wollten nur die Röntgen-Sparte. Den ganzen „Rest", alle Rezepte und Patente zur Herstellung von Filmen und Papieren, verkauften sie an die jugoslawische Firma Fotokemika Efke in Zagreb. Damit verschwand auch der Name. Die Fotokemika produzierte noch einige Zeit Efke-Schwarz-Weiß-Filme, musste aber mit dem Erstarken der Digitalfotografie 2003 selber Insolvenz anmelden.
Und so konnte Fotoimpex das, was einmal Adox hieß, übernehmen. Mirko Böddecker wollte wieder Filme, Papiere und Materialien in der traditionellen Adox-Qualität herstellen. Also kaufte er mit Unterstützung der Investitionsbank Brandenburg und mithilfe einer Landesbürgschaft die Wäscherei eines ehemaligen Militärkrankenhauses in Bad Saarow und richtete dort seine eigene Manufaktur ein. Fotoimpex begann, kleine, dem Markt angepasste Filmmengen und Papiere in höchster Qualität zu produzieren. Es gelang der Firma, sich perfekt auf die Ansprüche der analogen Liebhaber und Enthusiasten an Qualität und Produktverfügbarkeit anzupassen.
Maschinen aus der Agfa-Konkursmasse
Man muss wie Mirko Böddecker für das Thema analoge Fotografie brennen, Optimist und Visionär gleichzeitig sein. Er nutzte die wirtschaftlichen Einbrüche anderer Produzenten als Chance. Selbst die von ehemaligen Weltmarktführern wie Agfa: Schritt für Schritt übernahm die Adox Teile, Maschinen und Produktionsmittel aus der Agfa-Konkursmasse. Und als die bekannte Schweizer Foto-Firma llford 2013 Insolvenz anmeldete, ergatterten die Bad Saarower eine der auf dem Markt heißbegehrten Gießmaschinen – das Herzstück für die Großproduktion von Fotopapieren. Eine Viertelmillion Schweizer Franken blätterten sie dafür auf den Tisch. Mit gutem Grund: Die Maschine eröffnet dem Unternehmen die Möglichkeit zur eigenen Produktion und macht es so unabhängig von Zulieferern.
Fotoimpex etablierte sich zunehmend als starke Marke auf dem klassischen Fotomarkt. Und die Enthusiasten der analogen Fotografie wurden immer mehr. Sie verzeichnete bei Adox Steigerungsraten von bis zu 20 Prozent. Mit Folgen: 2017/2018 fiel die Entscheidung, die Kapazitäten am Standort Bad Saarow durch einen Neubau zu verdoppeln. Mit dem Anbau umfasst die zukünftige Produktionsfläche rund 1.500 Quadratmeter – ein Investitionsvolumen von rund einer Million Euro.
Mirko Böddecker zeigt die fast fertiggestellten Hallen im Anbau, weist auf Standorte hin, an denen weitere Maschinen wie Film- und Papierschneidemaschinen, Fotofehlersuchmaschinen oder Schneidetische positioniert werden. Auch historische Maschinen, regelrechte Sammlerstücke, gehören zum Inventar. Wie eine Schneidemaschine von 1930 aus Leipzig. Deren alte Aufschrift bittet den Bediener: „Es wird hilfreich ersucht, die Maschine sehr rein zu halten."
Für die massiven Gerätschaften sind speziell verstärkte Fußböden nötig – auch für den fünfeinhalb Tonnen schweren Gießtisch aus der Agfa-Insolvenz, der bereits seinen Platz gefunden hat. Er musste mit einem Kran über das offene Dach hereingehoben werden. Ein neu entwickeltes Rohrleitungssystem quer durchs ganze Produktionsgebäude wird demnächst die lichtempfindliche Emulsion aus Kesseln zu den Maschinen transportieren. Eine ingenieurtechnische Meisterleistung, denn im Gegensatz zu anderen Firmen sind dadurch die Emulsionsverluste um 30 Prozent geringer.
Und dann ist da noch die „Großdunkelkammer": Auf 200 Quadratmetern werden die mit der Emulsion beschichteten Papiere und Filme geschnitten und konfektioniert. Wie in der heimischen Dunkelkammer ist Tageslicht absolut tabu, um die lichtempfindliche Schicht auf den Fotomaterialien nicht zu beeinflussen. An der Schneidemaschine, an der das beschichtete Fotopapier auf einer großen Rolle ankommt und für die Konfektionierung zugeschnitten wird, geht es um Millimeter, im Dunklen. Eine Infrarotkamera kontrolliert, und ein Schneide-Programm dirigiert, wie der Mitarbeiter das Papier für den Schnittvorgang zu legen hat. Dazu erhält er Anweisungen über einen Lautsprecher. Etwas gespenstisch, aber durchaus hilfreich ertönt es dann aus dem Off: „… etwas nach rechts". Das Programm erkennt exakt, wann das Papier in den Koordinaten liegt – erst dann kann der Mitarbeiter den Schneidevorgang auslösen.
Herzstück sind die dunklen Forschungslabore
Fast ebenso finster ist es in den Forschungslaboren, einem Herzstück von Adox. Seit zehn Jahren werden in hochspezialisierter Umgebung optimale Emulsionen für Papiere und Filme entwickelt. Da geht es um die Gradation, also harte oder weiche Kontraste, um Feinkörnigkeit und Empfindlichkeit. Die Laboranten Nina und Matthias wiederholen einen Prozess unter jeweils neu angepassten Bedingungen: die Emulsion waschen, reifen, Proben ziehen, messen – und bei noch nicht optimalem Ergebnis wieder von vorn beginnen. Mit in Mü-Größenordnungen geänderten Lösungsanteilen. Gerade geht es darum, ein ehemals sehr beliebtes Fotopapier „neu zu erfinden": Das Forte Polywarmton-Papier aus Ungarn genoss wegen seiner Brillanz Weltruf. Durch die Insolvenz des Herstellers Agfa Forte war es eigentlich vom Markt; jetzt befindet sich genau dieses Papier auf Basis der Originalrezepturen in Bad Saarow im Endstadium des Re-Engineering. Wenn so ein Schritt vollzogen ist, feiern nicht nur die Hersteller: Schon fragen Fotografen ungeduldig online nach, wann es so weit ist.
Profi-Fotografen erkennen an den Bildeigenschaften, den Tonwert- und Schattendifferenzierungen die Unterschiede der Adox-Produkte gegenüber denen anderer Hersteller. Eine besondere Nachfrage gibt es nach hochauflösenden, also sehr detailgenauen Filmen oder nach allem, was Leute mit eigener Dunkelkammer suchen: Papier- und Filmentwickler, Stopp- und Fixierbäder. Drei Viertel der Kunden bestellen online. Die anderen kommen persönlich in den immer noch bestehenden Fotoimpex-Shop in Berlin-Mitte. So wie Call Henkel, die gerade aus der Ladentür auf die Alte Schönhauser Straße 32b tritt. Die seit sieben Jahren in Berlin lebende Amerikanerin und Hobbyfotografin schwört auf die Adox-Chemie. Aber auch weltbekannte Profis arbeiten mit dem Material aus Bad Saarow.
Sie schätzen, wie Jim Rakete, Adox-Chef Mirko Bödekker: „Er ist ein Leuchtturm der Schwarz-Weiß-Fotografie in Deutschland. Wer ihn einmal erlebt hat, muss neidlos eingestehen, dass die Originalfotografie mit Negativ und Print nie einen besseren Botschafter hatte. Vermutlich hat er Armeen junger Fotografen in die Dunkelkammer geschickt, meistens sind sie strahlend wieder herausgekommen."