Jedes Jahr Ende Januar geht es bunt zu am Himmel über Château-d’Oex. Dann findet in dem Ort im Schweizer Kanton Waadt das Internationale Ballonfestival statt. Zehn Tage lang fahren 70 und mehr Ballons vor bis zu 40.000 Zuschauern um die Wette.
Am Startplatz fauchen die Gasbrenner, wilde Flammen züngeln in die Höhe. In Château-d’Oex bereiten die Piloten ihre Heißluftballons für den Start zur morgendlichen Fahrt vor. Zunächst wird kalte Luft in den Ballon geblasen, anschließend mit einem Brenner auf 80 bis 100 Grad erwärmt. Erst dann richten sich die knallbunten Ballone auf, und die große Ausfahrt kann beginnen.
Dass Ballone nicht fliegen, sondern fahren, das lernt auch der Laie schnell, denn die Kapitäne der Lüfte bestehen auf die richtige Wortwahl. Mit dem traditionellen Ballonfahrergruß „Gut Land" verabschiedet man sich in Richtung Himmel. Dass man sich eine gute Landung wünscht, liegt daran, dass es beim Starten eigentlich nie Probleme gibt, erklärt Léa Zeberli lachend.
Sie ist eine der Lokalmatadorinnen und gehört zu den wenigen Frauen, die den Sport betreiben. Neben ihr sind nur noch zwei Belgierinnen, eine Litauerin und eine Frau aus Texas im Wettbewerb. Ballonfahren sei ihr Traumjob, sagt Zeberli und das merkt man der 32–jährigen Schweizerin auch an. Gute Laune scheint ihr in den Genen zu liegen, man trifft sie immer mit einem breiten Dauerlächeln an. „Ich bin mit Heißluftballons aufgewachsen", erklärt sie ihre Leidenschaft. Ihr Bruder Stefan ist vierfacher Europameister, sechsfacher Schweizer Meister und steht derzeit auf Nummer eins der Weltrangliste. Schon als Jugendliche war Léa Zeberli Co-Pilotin ihres Bruders. Sie selbst hat schon einen, wie sie schmunzelnd bemerkt, „undankbaren" vierten Platz bei den Schweizer Meisterschaften belegt. Als Berufspilotin ist sie im Winter mit Touristen in Myanmar über Tempellandschaften gefahren. Und im Sommer, in Kenia, den riesigen Gnu-Herden auf Wanderschaft hinterher. So manchem Löwen hat sie dabei auf die Mähne geschaut. Kenia ist das Traumland für Profipiloten, sagt Zeberli. Trotzdem: Das wirkliche Mekka des Ballonsports ist Château-d’Oex. Was Wimbledon für Tennisfreaks und Wembley für Fußballfans, ist die 3.500 Einwohner zählende Gemeinde für die Anhänger das Ballonsports.
Ballonfahren als Traumjob
Spätestens seit 1999, als Bertrand Piccard und Brian Jones von hier aus zur ersten Erdumrundung mit dem Heißluftballon ohne Zwischenlandung starteten, ist das Schweizer Bergdorf in aller Munde bei Ballonfahrern. Die Geschichte dieses Abenteuers und vieler anderer kann man im Ballonmuseum „Espace Ballons" im Zentrum des Ortes erkunden. Das Museum befindet sich im ehemaligen Rathaus und ist, wen wundert’s, das einzige seiner Art im Land. Prunkstück der Ausstellung ist die Kapsel des Breitling Orbiter, die Piccard beim ersten, 1997 noch gescheiterten Versuch einer Weltumrundung, einsetzte.
Beim ältesten Ballonfestival der Welt will jeder Ballonfahrer zumindest einmal dabei sein. Die Fahrer lieben die besonderen thermischen Bedingungen – nur an wenigen Orten der Welt kann man, wie hier, eine Rundfahrt mit dem Ballon unternehmen, also wieder am Ausgangspunkt landen. Aber nicht jeder darf an der Veranstaltung in Château-d’Oex teilnehmen. Die begehrte Starterlaubnis erhält nur, wer Erfahrung im Ballonfahren im Gebirge nachweisen kann. Für Léa Zeberli ist das natürlich kein Problem. Die Schweizer Berge sind ihr Revier. Sie ist aber auch schon weit über die höchsten Gipfel hinausgeflogen. Bei einer Überquerung des Alpenkamms steigt man mehr als 6.000 Meter auf – das geht aber wegen der dafür nötigen besonderen thermischen Bedingungen nur im Winter. Bei einem solchen Trip können auch Passagiere mitfahren – ganz billig ist das Vergnügen allerdings nicht. Den Preis eines Transatlantikflugs – hin und zurück – kostet das Abenteuer schon. Und man muss flexibel sein. Denn gestartet wird nur bei optimalen Bedingungen. Weil sich das Wetter nicht langfristig voraussagen lässt, brauchen potenzielle Mitreisende Geduld –
die lassen sich auf eine Warteliste eintragen, und wenn die Wetterfrösche dann gute Bedingungen für die Fahrt über die Gipfel vorhersagen, müssen sie innerhalb eines Tages anreisen. Schafft man das nicht, freut sich der nächste auf der Warteliste. Für Léa Zeberli jedenfalls gehört eine Alpenüberquerung zu den Top drei der schönsten Ballonreisen der Welt.
Die Überquerung der Alpen ist die Königsdisziplin für Ballonfahrer. Wenn man dann nach vier bis fünf Stunden in eisiger Höhe irgendwo in der Po-Ebene landet, wird gehörig gefeiert. Eine „Ballontaufe" wartet aber auf jeden Passagier nach seiner ersten Fahrt. Dabei verpflichtet sich der Neuling, im Zusammenhang mit einem Ballon nie mehr vom „Fliegen" zu sprechen. Dann wird ihm eine Haarsträhne angesengt, um ihn daran zu erinnern, dass er an Bord eines Ballons mit Feuer hantieren muss. Und schließlich wird mit Champagner angestoßen, weil das ein besonders edles Getränk ist und früher nur Adelige Ballonfahren durften. Deswegen wird auch jeder Ballonnovize symbolisch in den Adelsstand erhoben. Léa Zeberli kennt noch eine andere Geschichte, die erklärt, warum zur Ballontaufe Champagner dazugehört. Die ersten Ballonfahrer hätten immer eine Flasche davon dabei gehabt, um die Bauern zu besänftigen, auf deren Wiesen sie landeten. Viele Menschen konnten in den Pionierzeiten der Ballonfahrt nicht einschätzen, was es mit diesem feuerspeienden Gefährt auf sich hatte, das vor ihrer Tür landete. So manche Ballonbesatzung wurde damals mit Mistgabeln und Dreschflegeln in Empfang genommen. Zur Beruhigung und als Friedensangebot war edler Champagner da genau das richtige Getränk. Etwas Leckeres nach der Landung braucht auch Léa Zeberli. Das Zusammenlegen der Ballonhülle macht auch der immer gut gelaunten Ballonfahrerin keinen Spaß. Lachend bezeichnet sie das Einpacken nach dem Flug als „die einzige negative Erfahrung", die sie je beim Ballonfahren hatte. Nach den großartigen Erlebnissen in der Luft ist dann schnödes Falten, Rollen und Stopfen zugegebenermaßen ein Antiklimax. Während des Ballonfestivals im Winter sei das Ganze nicht ganz so schlimm, versichert Zeberli. Denn wenn Schnee liegt, kann der Ballon wenigstens nicht dreckig werden, und man muss beim Zusammenrollen der teuren Hülle nicht so aufpassen.
In 6.000 Metern Höhe über die Alpen
Es ist die einmalige Bergnatur, die die Ballonfahrer nach Château-d’Oex lockt – wenn das verschneite Tal tief unter einem liegt und der Ballon knapp an hohen Gipfeln vorbeifährt. Es fühlt sich ein wenig an wie ein Spaziergang durch die Luft. Man ist langsam unterwegs, hat genügend Zeit, die Landschaft zu genießen. Ruhig und friedlich ist es hier oben. Zumindest solange Léa Zeberli nicht den Brenner bedient. Dann faucht es kurz durchs stille Tal. Die Luft im Ballon muss immer warmgehalten werden, andernfalls geht es gemächlich zurück in Richtung Erdboden. Und das will Zeberli vermeiden, so lange es geht. Sie schwärmt: „Für mich war es schon immer ein Freiheitsgefühl, sobald ich den Boden verlassen habe." Auch die Besucher der Ballonwoche können in die Lüfte entschweben. Wer will, bucht sich in einem der Ballons einfach als Passagier ein. Besonders spektakulär ist es, wenn alle Ballons gleichzeitig in der Luft sind. Denn dann scheint es, als hätte ein Künstler den strahlend blauen Winterhimmel mit kunterbunten Farbklecksen verziert. Und vielleicht geht es einem als Mitfahrer nach dem ersten Flug durch den Schweizer Wintertraum wie Léa Zeberli, aus der die Begeisterung heraussprudelt: „Ich möchte die ganze Welt von oben sehen", sagt sie mit breitem Lachen.