Wer Migräne hat, nimmt in der Regel Schmerztabletten. Doch das muss nicht immer sein. Heutzutage gibt es zahlreiche alternative Therapiemethoden. Ein Überblick.
Wer Kopfschmerzen hat, greift in vielen Fällen zuerst zur Schmerztablette. Die Behandlung der Symptome hilft zwar fürs Erste. Der wichtigere Schritt sei aber die Ursachenforschung, sagt der St. Ingberter Physiotherapeut Jörg Becker, der selbst hin und wieder mit Migräne-Patienten zu tun hat. „Um einen ordentlichen Befund zu haben, müssen wir schauen: Wann hat es begonnen, wie ist die Arbeitsplatzbelastung, gibt es Probleme mit Stress, einer Brille, zu wenig Schlaf? Oft sind es triviale Dinge." Dinge, die er zwar nicht direkt abstellen, die die Physiotherapie als standardisierter Teil einer Behandlung aber lindern kann. „Ich als Physiotherapeut habe viele Strukturen, die ich begutachten muss", sagt Becker. Seien es die Kopfgelenke, der Schulter-Nacken-Bereich, die Kiefergelenke oder die Hirnhäute. „All das kann mit einer Migräne zusammenhängen." Häufig reagierten Patienten auch auf Umwelteinflüsse, durch die der Körper gefäßaktive Substanzen freisetzt, die zu einer Entzündungsreaktion im Hirnhautbereich führen. „Medikamente setzen da an. Wir im physiotherapeutischen Bereich versuchen stattdessen, über manuelle Behandlungen zum Ziel zu kommen." Physiotherapeuten kümmern sich um die Muskulatur, die im Kopf alles zusammenhält. Die Kiefermuskulatur sei oft ein Auslöser für Migräne. „Wenn die Patienten knirschen und pressen, dann bringen sie Stress in das Gewebe", sagt Becker. Gesicherte Hinweise, dass Zahnfehlstellungen für Migräne sorgen können, gibt es zwar nicht. Doch in den Bereich des Kiefers fallen auch Zahnspangen, die sich manche Menschen als Ausweg gegen Migräneattacken verschreiben lassen. An Bedeutung in der Therapie gewinne auch die Lymphdrainage im Schädelbereich. „Es gab erste Studien, die belegt haben, dass durch die Lymphdrainage ein Abtransport von Endzündungsmediatoren funktioniert, weil es dadurch zu einer Druckentlastung der Gehirngefäße kommt", sagt Becker.
Ohrläppchen kräftig drücken
Neben den physiotherapeutischen Methoden gibt es viele weitere Möglichkeiten, mit einer Migräne fertig zu werden. Wirksame Mittel findet man etwa in der Naturheilkunde. Mutterkraut, Pestwurz und Weidenrinde sind Kräuter, die die Attacken lindern. Präparate wie Dragees, Tinkturen, oder Säfte gibt es in Apotheken. Bei einer Migräne, die depressive Verstimmungen auslöst, hilft hochdosiertes Johanniskraut. Spannungskopfweh lindert ein Konzentrat aus ebenfalls in der Apotheke erhältlicher Arzneiminze genauso wirksam wie das Schmerzmittel Paracetamol. Der Kieler Kopfschmerzforscher Hartmut Göbel hat das in einer Studie bewiesen. Dafür untersuchte er mehr als 100 Patienten mit der Diagnose Spannungskopfschmerz. Das Ergebnis zeigte, dass ein zehnprozentiges Arzneiminze-Konzentrat einen vergleichbar stark schmerzlindernden Effekt hatte wie die hoch dosierte Einnahme chemisch-synthetischer Schmerzmittel. Arzneiminze nimmt man nicht ein, sondern trägt sie auf die Haut auf. Der dabei entstehende Kühleffekt durch das enthaltene Menthol blockiert die Weiterleitung und Verarbeitung von Schmerzreizen.
Etwas experimenteller ist dieser Tipp: Manche Therapeuten schwören bei Migräne-Patienten auf eine Ohr-Akupressur. Diese Behandlungsmethode kommt aus der traditionellen chinesischen und der japanischen Medizin. Bei Migräne sollte man das rechte Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger nehmen und etwa eine bis drei Minuten kräftig drücken. Wissenschaftlich erwiesen ist diese Methode aber nicht, bei der bestimmte Druckpunkte sich auf unterschiedliche Bereiche des Körpers auswirken sollen. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert die Akupunktur. Laut der „Deutschen Akupunkturstudie" soll das Setzen von feinen Nadeln in spezielle Körperpunkte bei Migräne-Patienten ebenso wirksam sein wie die Einnahme von Betablockern oder Antiepileptika. „Wer an der Wirkung der Akupunktur immer noch zweifelt, hat die Literatur nicht gelesen oder sie nicht verstanden", sagte gar der Lehrbeauftragter für Akupunktur und für Allgemeinmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Wolfram Stör, bei einem Kongress des Zentralverbands der Ärzte für Naturheilverfahren und Regulationsmedizin im vergangenen Jahr. Bei jedem zweiten mit Akupunktur behandelten Migräne-Patienten habe sich die Anzahl der Anfälle halbiert. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für Akupunktur-Sitzungen in Höhe von bis zu 70 Euro aber noch nicht. Ebenfalls aus China kommt die Massagetechnik Gua Sha. Wer sie schon einmal erlebt hat, beschreibt sie als schmerzhaft, aber effektiv. Mit einem Hilfsmittel schabt der Therapeut die oberste Hautschicht ab. Auf diese Weise soll gestaute Energie abgeleitet werden. Die Wirksamkeit ist allerdings wissenschaftlich nicht belegt.
Auf die Auswirkungen einer Hypnose auf Migränepatienten gibt es ebenfalls keine Studien. Einige Ärzte bieten diese Form der Behandlung dennoch an. Auch bei der Psychophonie liegen noch keine Studien bezüglich der Wirksamkeit bei Migräne vor. Das Kunstwort aus „Psyche" und „Phon", also „Klang" beschreibt ein Therapieverfahren, das neben Krankheiten wie Schlafstörungen und Depressionen auch Migräne bekämpfen soll. Bei der Psychophonie wird eine Hirnstrommessung außerhalb der Migräne-Phase in einen Computer eingelesen. Der Computer wandelt diese elektrischen Ströme in hörbare Klänge um. Der Patient bekommt eine Aufnahme dieser Töne, die er regelmäßig hören soll. Ziel ist es, dem Gehirn Entspannung zu ermöglichen, da die Gehirnerregungsmuster durch die Töne hörbar werden sollen.
Massagetechnik aus China
Wer mit Tönen nicht so viel anfangen kann, könnte es mit einer Kneipp-Therapie versuchen. Wassertreten, Wechselbäder – bei Kopfschmerzen ist Kneippen nichts Ungewöhnliches. Der Priester Sebastian Kneipp erfand das Verfahren der wechselhaften Wirkung von kaltem und warmem Wasser im 19. Jahrhundert. Allerdings gibt es auch hierzu keine wissenschaftlichen Studien, die beweisen, dass Kneippen tatsächlich gegen Migräne hilft. Apropos warm und kalt: Ein kleiner Kälteschock soll ebenfalls gut geeignet sein, um eine Migräne klein zu halten. Ein Kühlpad oder einfach zerstoßene Eiswürfel in einem Stofftuch auf der Stirn, Schläfe oder dem Nacken können wahre Wunder wirken, ebenso wie der Versuch, kaltes Wasser über die Handgelenke laufen zu lassen. Doch kalt ist nicht gleich kalt. Ein Wannenbad bei Körpertemperatur fühlt sich angenehm lauwarm an. 15 Minuten in der Wanne entspannen lindert die Kopfschmerzen. Bei manchen Migräne-Patienten helfen sogar Saunabesuche – allerdings sollte man das nicht bei einer akuten Attacke versuchen. Wissenschaftler vermuten, dass die ausgleichende Wirkung des Saunierens eine positive Rolle für die Prophylaxe auf das vegetative Nervensystem spielen könnte.
Wenn strömendes Wasser hilft – warum dann nicht einfach elektrischen Strom probieren? Das dachten sich Therapeuten, die vor mehr als 100 Jahren die Idee hatten, den Nacken und andere Körperteile zur Migräne-Behandlung elektrisch zu stimulieren. Heute existieren Strombehandlungen in Form von „transkutaner elektrischer Nervenstimulation" oder „punktueller transkutaner elektrischer Nervenstimulation". Beide Verfahren funktionieren mithilfe von Hautelektroden. Der Strom fließt darüber durch die Haut und stimuliert die Nerven. Laut wissenschaftlichen Studien bringt die Elektrostimulation aber nur bei einigen Patienten zeitweise Besserung.
Wichtig bei Migräne ist letztlich, mehrere Faktoren zu beachten und an unterschiedlichen Stellschrauben zu drehen. Neben den unterschiedlichen Behandlungsmethoden hilft auch eine Prävention, etwa durch eine gesunde, ausgeglichene Ernährung und Entspannungsverfahren, wie Yoga oder autogenes Training. Wer unter Migräne leidet, sollte am besten auf Nikotin und Alkohol verzichten. Stattdessen sollte man viel Wasser trinken, in Ruhe essen und Fertigprodukte meiden.