Regisseur M. Night Shyamalan verknüpft seinen neuen Thriller „Glass" mit zwei seiner älteren Werke. Das ist eine waghalsige Idee, aus der ein spannender und sehr ungewöhnlicher Film geworden ist.
Wer richtig Ärger haben möchte, verrät das Ende eines Shyamalan-Filmes. Selbstverständlich ist es unter Kino-Fans niemals nett, von irgendeinem Film zu petzen, wer nun mal der Mörder ist, ob Liebende sich in einem Happy-End in den Armen liegen oder wie der Action-Held die Welt rettet. Bei einem Werk vom Regisseur M. Night Shyamalan jedoch ist es unverzeihlich, den finalen Clou auch nur minimal anzudeuten. Denn alle Leinwand-Geschichten des US-Filmemachers indischer Herkunft führen den Zuschauer so geschickt in eine falsche Richtung, dass er in den letzten wenigen Minuten völlig verblüfft auf die Leinwand schaut, während in seinem Geist der Film erneut und in einer völlig anderen Interpretation in Sekundenschnelle abläuft. Ob nun „The Sixth Sense" (1999), „The Village – Das Dorf" (2004) oder „The Visit" (2015): Shyamalans Filme sind wie Spaziergänge durch dichten Nebel. Man geht nur in kleinen Schritten und weiß nie, was zu sehen sein wird, sollte der Nebel sich lichten. Nun präsentiert Shyamalan seinen neuen Film „Glass". Es ist nicht ganz leicht, etwas über die Handlung zu schreiben, ohne auch nur einen Hauch des Plots anzudeuten. Als ob Shyamalans Filme nicht ohnehin schon knifflig genug sind, erhält „Glass" nämlich noch eine Sonderstellung: Der Film ist inhaltlich verknüpft mit Shyamalans Erfolgen „Unbreakable – Unzerbrechlich" (2000) und „Split" (2017).
Auf freiem Fuß: Die Bestie übernimmt die Kontrolle
Die Geschichte: Kevin (James McAvoy) konnte am Ende von „Split" der Polizei entkommen und ist noch immer auf freiem Fuß. Der junge Mann mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung vereint mehrere Charaktere in sich, von denen eine namenlose Bestie die Kontrolle über Kevin übernommen hat. Mit in die Handlung von „Glass" verstrickt ist auch das junge Mädchen Casey (Anya Taylor-Joy), die in „Split" als einzige Gefangene die Begegnung der Bestie überlebt hat. In „Glass" nun wird Kevin verfolgt von David (Bruce Willis). Er hat am Ende von „Unbreakable" erkannt, dass er unverletzlich und daher eine Art tragischer Superheld ist. Und dann ist da noch der im Rollstuhl sitzende Mr. Glass (Samuel L. Jackson). Er war in „Unbreakable" der Schurke, der zahlreiche Menschen opferte, um die einzigartige Eigenschaft von David zu offenbaren.
„Glass" beginnt als klassischer Grusel-Thriller. David verfolgt jeden einzelnen Schritt von Kevins übermenschlichem Wesen, der Bestie. Die Zusammenstöße von Gejagtem und Jäger drohen zu eskalieren, die Handlung gewinnt erheblich an Fahrt. Gleichzeitig scheint aus dem Verborgenen heraus der geheimnisvolle Mr. Glass die Fäden des grausamen Spektakels in seinen Händen zu halten – und je weiter das Filmende rückt, desto mehr wird den Zuschauern klar: Mr. Glass verbirgt Geheimnisse, die Kevin und David zum Verhängnis werden.
Zugegeben: Die Handlung erscheint ein wenig kompliziert. Neugierige können aber beruhigt sein. Ein großes Vorwissen ist für den Genuss von „Glass" nicht nötig. Cineasten aber werden in den Charakteren viele Details erkennen und zu interpretieren versuchen.
Am Ende ist der Zuschauer verblüfft
Dass Shyamalan mit „Glass" seine Erfolge „Unbreakable" und „Split" miteinander verbindet und die drei Werke als Trilogie präsentiert, ist eine originelle Idee. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass „Glass" auch gut ist, denn Shyamalan hat durchaus schon mit seinen Filmen enttäuscht. „Das Mädchen aus dem Wasser" (2006) zum Beispiel floppte, während „After Earth" (2013) wegen seiner Scientology-Motive von der Kritik zerfetzt wurde. „Glass" jedoch hält, was die hohen Erwartungen versprechen. Nachdem die drei unterschiedlichen Männer allerhand verzwickte Wege gegangen sind, sitzen sie schließlich in einer Klinik in einem Hochsicherheitstrakt an Stühlen gefesselt. Eine Psychiaterin will herausfinden, durch welche Geheimnisse ihre ungewöhnlichen Patienten miteinander verbunden sind. Hätte sie es doch gelassen – ihr wäre ein großer Schreck erspart geblieben. Viele Filmzuschauer jedoch dürften am Ende wieder in ihrem Kinosessel sitzen und völlig verblüfft sein. Worüber genau? Das darf hier keinesfalls auch nur angedeutet werden, denn das gäbe richtig Ärger.