Dietmar Gettner betreibt im brandenburgischen Ketzin/Havel seit 2009 Deutschlands erstes Männerhaus – eine Zufluchtsstätte für Männer, die von ihren Partnerinnen misshandelt wurden. Staatliche Zuschüsse bekommt er keine. Häusliche Gewalt gegen Männer, ob psychisch oder körperlich, ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema.
Früher ist Dietmar Gettner zur See gefahren. Kapitän auf einem Ostseeschiff war er, in seinem Flur hängt als Andenken immer noch ein Rettungsring. Doch der ist mehr als nur eine schöne Erinnerung an vergangene Zeiten. Er ist auch ein Symbol für das, was Gettner heute macht. Seit 2009 betreibt er das Gewaltschutzhaus in Ketzin/Havel – Deutschlands erstes Männerhaus. Dorthin kommen Männer, die von ihren Partnerinnen misshandelt wurden.
Die Bewohner kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Da ist der Zahnarzt aus München, der von seiner Ehefrau geschlagen wurde, bis er irgendwann nicht mehr weiter wusste. Oder der Abteilungsleiter von Mercedes-Benz, der ebenfalls Stress mit seiner Gattin hatte, bis sie eines Tages die Polizei rief und den Beamten erzählte, er habe sie angegriffen, obwohl er ihr niemals etwas zuleide getan hatte. „Ich habe Schicksale wie aus einem billigen Roman erlebt", sagt Dietmar Gettner, der einst selbst Opfer einer gewalttätigen Frau geworden ist, die ihn erst psychisch, später auch körperlich malträtierte. Dann schildert er die Geschichte eines anderen Gasts, von dem seine Frau täglich verlangt hatte, dass sie ihm einen bläst, weil sie der Ansicht war, das Sperma würde ihr guttun. Wenn er jedoch nicht wollte oder konnte, dann verprügelte sie ihn.
Die gängige Meinung zum Thema häusliche Gewalt lautet: Der Mann ist der Täter, die Frau in der Rolle des Opfers. Die Beispiele aus Ketzin zeigen jedoch, dass diese Schwarz-Weiß-Malerei an der Realität vorbeigeht. Auch wenn Frauen noch immer deutlich häufiger von häuslicher Gewalt heimgesucht werden, ist es doch kein ausschließlich weibliches Problem. Offizielle Statistiken darüber, wie viele Männer betroffen sind, gibt es zwar keine, aber einige Anhaltspunkte – so zählte allein die Thüringer Polizei im Jahr 2017 bei Einsätzen häuslicher Gewalt über 500 männliche Opfer. Dietmar Gettner geht sogar noch einen Schritt weiter. Er behauptet: „In 30 Prozent aller Fälle sind es inzwischen die Frauen, die gewalttätig werden."
„Schicksale wie aus einem billigen Roman"
Gesellschaftlich wird das Thema immer noch tabuisiert, weil es vorherrschenden Rollenbildern widerspricht. Und womöglich ist es im Zuge der #MeToo-Debatte sogar noch schwieriger geworden, das Thema der häuslichen Gewalt gegen Männer zu vermitteln. Denn auch wenn es dort vorrangig um sexuelle Belästigung ging, so schienen sich doch eben jene Rollenbilder – die Frau als Opfer, der Mann als Täter – dadurch wieder einmal zu bestätigen. „Wenn eine Frau ihren Mann ohrfeigt, dann wird das längst nicht als so schlimm wahrgenommen, als wenn es andersherum wäre. Das wird bagatellisiert", meint Gettner.
Entsprechend hoch ist die Dunkelziffer. Viele Männer würden zögern, zur Polizei zu gehen, weil sie Angst hätten, dass man sie dort nur auslacht, so Gettner. Die Sorge sei nicht unberechtigt. Ihm ist ein Fall bekannt, bei dem ein Mann von den Polizisten wieder weggeschickt wurde – er würde ja wohl allein mit seiner Frau fertig werden. So etwas ist laut Gettner besonders fatal: „Es hat die betroffenen Männer viel Kraft gekostet, sich zu überwinden und zur Polizei zu gehen. Und dann werden sie dort auf der Wache ein zweites Mal gedemütigt."
Es mag sich um einen Einzelfall handeln, doch dahinter verbirgt sich ein grundsätzliches Problem: Wenn nicht einmal die Polizei weiß, wie sie in einem solchen Fall helfen kann, dann liegt das auch daran, dass es schlicht zu wenige Anlaufstellen gibt. In Deutschland mangelt es bislang an entsprechenden Angeboten – die von Ketzin aus nächstgelegenen befinden sich in Sachsen sowie in Oldenburg, wobei dort jeweils nur wenige Plätze für Ortsansässige zur Verfügung stehen. Auch deswegen ist die Einrichtung in Brandenburg für viele so etwas wie die letzte Zuflucht, der letzte Rettungsanker. Zudem gibt es zurzeit lediglich in Sachsen eine staatliche Förderung für Projekte für von Beziehungsgewalt betroffene Männer – in allen anderen Bundesländern gibt es entsprechende öffentliche Mittel nur für Frauen. Auch Dietmar Gettner bekommt keinerlei Unterstützung durch öffentliche Stellen. Im Gegenteil: Immer wieder gab es in der Vergangenheit Gegenwind aus der Gemeinde.
Die Angst davor, ausgelacht zu werden
Seit zehn Jahren existiert die Einrichtung kurz außerhalb des Berliner Autobahnrings. Die Adresse steht für jedermann ersichtlich offen im Internet, sie ist nicht wie bei Frauenhäusern geheim. „Wir haben hier nicht das Problem, dass die Frauen ihren Männern nachstellen. Ich glaube, viele Frauen wollten ihre Männer eher loswerden", sagt Gettner. Rund 80 Männer aus ganz Deutschland haben seitdem dort Unterkunft gefunden. Manche bleiben nur für wenige Tage, andere jahrelang; ein ehemaliger Bewohner ist sogar dort verstorben. Mittlerweile betreibt Gettner das Gewaltschutzhaus komplett allein – mit einem ehemaligen Partner, mit dem er die Einrichtung einst ins Leben gerufen hatte, hat er sich längst verkracht. Ursprünglich waren zudem weitere Standorte vorgesehen, unter anderem in Güstrow und an der Nordsee, doch auch diese Pläne haben sich zerschlagen. Auch für das Haus in Brandenburg muss Gettner aufgrund seiner Gesundheit kürzertreten. Er ist jetzt fast 75 Jahre alt, zu einer geplanten Erweiterung ist er seit einer Operation körperlich kaum noch in der Lage. „Mittlerweile kann ich nur noch Notfälle aufnehmen. Allen anderen muss ich leider sagen, dass sie sich lieber eine Pension nehmen sollen. Das schmerzt jedes Mal aufs Neue."
Derzeit leben fünf Bewohner in Ketzin. Am Tag unseres Besuchs lässt sich jedoch kein Einziger von ihnen blicken. „Nehmen Sie es nicht persönlich", meint Gettner. „Als ich ihnen erklärt habe, dass die Presse vorbeischaut, haben sie sich gleich abgemeldet." Einige Medien hätten in der Vergangenheit derart dramatisierend berichtet, dass die Bewohner nun erst recht zurückhaltend reagieren.
Viele schämen sich, ihre Geschichte offen zu erzählen. Selbst in der geschützten Atmosphäre des Männerschutzhauses würde es oft eine ganze Weile dauern, bis sie anfangen zu reden, sagt Gettner. Er versucht derweil, den Betroffenen das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Die Zimmer sind zwar spartanisch, gleichwohl liebevoll eingerichtet – sogar an Kuscheltiere für die Kinder hat er gedacht. Im Gemeinschaftsraum sorgt ein Billardtisch für Zerstreuung, oft kochen die Bewohner auch zusammen. Gettner sagt: „Sie versuchen, von hier aus ihr Leben so gut es geht weiterzuleben, arbeiten zu gehen oder eine neue Wohnung zu finden." Dass die Einrichtung so weit ab vom Schuss liegt, mit entsprechend schlechter Verkehrsanbindung – am Wochenende fährt der Bus nur zwei oder drei Mal am Tag – macht die Sache allerdings nicht leichter.
Kaum Lobby für männliche Opfer
Auf dem ehemaligen Bauernhof wohnen außerdem noch ein Hund, Hühner und einige Pferde. „Für die Bewohner ist es sehr wichtig, dass die Tiere da sind. Das ist zum einen Ablenkung und hilft ihnen zum anderen dabei, Verantwortung zu übernehmen. Das ist fast schon eine Art Therapie", sagt Dietmar Gettner. Gleichzeitig werde ihm durch die Tiere aber auch jeden Tag aufs Neue vor Augen geführt, welch geringe Lobby die männlichen Opfer von häuslicher Gewalt haben. Traurig sagt er: „Die bittere Erkenntnis ist doch, dass wenn wir einen Bauernhof für misshandelte Tiere hätten, die Spenden nur so sprudeln würden. Für geschlagene Männer interessiert sich dagegen niemand."