Er ist einer der jungen Wilden, mit denen Handball-Zweitliga-Absteiger HG Saarlouis sich in der Dritten Liga Süd konsolidieren will: Toms Lielais. Der 22 Jahre junge lettische Nationalspieler bringt viel Ehrgeiz mit und träumt von der Bundesliga.
Skriveri, Lettland. Von Saarlouis aus sind es fast 20 Stunden mit dem Auto. Toms Lielais ist geflogen, um rechtzeitig bei seiner Familie zu sein. „Meine Schwester und ich kümmern uns immer um den Weihnachtsbaum", verrät der 22-Jährige. Dafür ging der Handballer mit seiner jüngeren Schwester aber nicht – wie in Deutschland mehrheitlich üblich – zu einem Händler auf einem Parkplatz. Die beiden sind in den Wald gefahren und haben ihren Wunschbaum gefällt. „Das ist unsere Tradition", sagt der Neuzugang von Drittligist HG Saarlouis. Zu der Tradition gehört auch, an Weihnachten viel Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Und Fleisch zu essen. Viel Fleisch. Vor allem lange eingelegtes Schweinefleisch. Und russischen Salat. Dazu gab es Rotwein. Den Verdauungsschnaps dann spätestens an Silvester, als der junge Lette mit seinen Freunden in das neue Jahr reinfeierte. Ebenfalls eine Tradition. „Wir machen dann zusammen Party, aber nicht so heftig. Als Spieler in Deutschland muss man ja diszipliniert sein", sagt Lielais pflichtbewusst.
Was den Genuss angeht, scheint das Saarland für den Handballer der passende Arbeitsplatz zu sein. Die Altstadt hat es dem Neu-Saarlouiser jedenfalls angetan. Nicht nur aus kulinarischen Gründen. „Sie ist nicht zu groß und nicht zu klein. Hier kann man alles machen, was man will. Das gefällt mir sehr gut", sagt der 22-Jährige. Auch mit seiner neuen Mannschaft kommt er gut klar. „Wir sind ein sehr junges Team, das hauptsächlich aus Spielern im Alter zwischen 21 und 27 besteht. Dazu noch ein paar Erfahrene", fasst er zusammen, und er freut sich darüber, „dass alle handballhungrig sind". 2016 wechselte er für ein Jahr zur SG Flensburg-Handewitt, wo er vor allem in der Zweiten Mannschaft zum Einsatz kam. 2017 ging es zum ThSV Eisenach. Zusätzlich war Lielais bis zum Ende der Vorsaison als Leihgabe beim HSV Bad Blankenburg aktiv.
„Als Spieler in Deutschland muss man diszipliniert sein"
Seine Heimat für sein großes Ziel Profi-Handball zu verlassen, fiel ihm nicht schwer. „Ich ging als Schüler schon auf ein spezielles Sportgymnasium, wo ich zehn Mal pro Woche Handball trainieren konnte und habe schon seit ich 14 Jahre alt bin, nicht mehr zu Hause gewohnt", berichtet er. Einzige Herausforderung nach seinem Umzug nach Deutschland war die Sprache. Dafür, dass er erst seit gut zwei Jahren hier lebt, spricht er mittlerweile aber hervorragend Deutsch. In Lettland, erzählt Lielais, gibt es nur Amateurmannschaften, keine Profiteams. „Dort verdienen vielleicht ein paar ältere Spieler etwas Geld, wenn sie vorher in Deutschland gespielt haben", sagt er. Die Talente zieht es früh weg aus ihrer Heimat, die deutschen Top-Ligen sind dabei gerne genommen. Sportlich unterscheiden sich die beiden Handballnationen vor allem im Tempo: „In Deutschland wird dynamischer gespielt und schneller umgeschaltet, in Lettland wird eher aus den Positionen heraus gespielt. Außerdem sind die Fans hier ein bisschen anders", findet er. „Zu einem Ligaspiel in Lettland kommen vielleicht 200, zu wichtigen Spielen mal 600 Leute, in die Stadtgartenhalle kommen um die 1.000 Leute. Und die helfen uns wie ein achter Spieler. Das ist richtig toll." Seinen persönlichen Zuschauerrekord stellte er bei einem Länderspiel in Ungarn mit über 4.000 Fans auf. „Es war nicht ganz so einfach vor so einem Publikum zu spielen. Ich war damals erst 19 oder 20 Jahre alt. Aber es war supergeil", erinnert er sich.
Schon bevor er Lettland verlassen hat, wurde Lielais in die Nationalmannschaft berufen. Da war er gerade einmal 17 Jahre alt, und sein Team bestritt ein Turnier in Deutschland. Allerdings gehörte er anfangs nur zum Kader und kam nicht zum Zug. „Ich will jetzt nicht sagen, ich wäre nur Tourist gewesen. Aber wir hatten damals einen neuen Trainer, und ich kam leider nicht zum Einsatz", erinnert er sich und grinst. Mittlerweile ist er fester Bestandteil der lettischen Nationalmannschaft. Deren Kapitän ist in Saarlouis übrigens kein Unbekannter: Ingars Dude war zwischen 2010 und 2013 Kreisläufer und Publikumsliebling bei der HG zu Zweitligazeiten. Aktuell steht Dude beim französischen Zweitligisten Limoges unter Vertrag. „Ich habe direkt mit ihm gesprochen und ihn über Saarlouis ausgefragt. Ich habe ihn einfach alles gefragt, damit ich weiß, auf was ich mich einlasse", verrät Lielais und ergänzt voller Respekt: „Ingars ist für mich ein Vorbild. Er hat diesen Spirit, immer besser werden zu wollen, und das hat er auch geschafft. So muss man arbeiten."
Dass Toms Lielais selbst so schnell so gut wurde, liegt an seinem großen Ehrgeiz. Dass er überhaupt Handball spielt, war hingegen unausweichlich. „In der Region, wo ich herkomme, hat man keine andere Chance, dort ist Handball die Nummer eins. Du musst einfach Handball spielen", verrät er und lacht. „Dazu kommt, dass meine Mama Handballtrainerin ist. Also hatte ich gleich auf zwei Arten keine Chance, mir eine andere Sportart auszusuchen und habe mit sechs Jahren mit Handball angefangen. Auch meine kleine Schwester spielt Handball." Allgemein ist Basketball die liebste Sportart der Letten. Gefolgt von Eishockey und Fußball. Trotzdem hat Toms Lielais als Handball-Nationalspieler in seinem Heimatland eine gewisse Bekanntheit erlangt. „Die wissen schon, was ich so mache und dass ich in Deutschland spiele, aber ich bin kein Star", sagt er und man merkt, dass ihm diese Rolle auch nicht zu Gesicht stehen würde. „Ich mag es auch nicht, wenn einer zu mir sagt, ich sei der Beste oder so. So etwas gibt es in meinem Kopf nicht. Handball ist Arbeit. Und dafür musst du was machen und nicht denken, du seist ein toller Spieler", stellt der 22-Jährige klar und bestätigt damit die Einschätzung seines neuen Vereinstrainers Philipp Kessler: „Menschlich ist er ein ganz feiner Kerl. Er ist ein sehr trainingsfleißiger und disziplinierter junger Spieler, der viel nachfragt und versucht, die Ratschläge anzunehmen", attestiert der HG-Coach. Die Stärke von Lielais ist vor allem sein fester Wurf. „Er hat aber auch noch Entwicklungspotenzial im Bereich der Eins-gegen-eins-Situationen, im Einsetzen seiner Mitspieler auf Außen und am Kreis und bei der Variabilität im Abschluss", benennt Kessler die Schwachstellen. „In der Abwehrarbeit muss er noch etwas zulegen."
„Werden besser aus der Winterpause kommen"
Arbeit ist für Toms Lielais kein Fremdwort. „Es ist normal, dass man bei dem, was man macht, immer besser werden will", lautet seine Grundeinstellung. Dabei ist Toms Lielais kein Profi, sondern arbeitet mehrmals in der Woche in der Spätschicht bei Globus und absolviert ein Marketing-Fernstudium an einer lettischen Universität. „Ich kann nicht einfach den ganzen Tag nichts machen außer auf das Training warten. Außerdem will ich nach meiner Handball-Karriere als Manager arbeiten", sagt er zielsicher. Beenden möchte er seine Karriere allerdings nicht, bevor er sein großes Handball-Ziel erreicht hat. „Ich will Profi werden und in der Ersten Liga spielen. Deshalb bin ich nach Deutschland gekommen", verrät er. „Sonst hätte ich auch bei meinen Freunden in Lettland bleiben und dort Handball spielen können. Außerdem will ich mit der Nationalmannschaft an einem großen internationalen Turnier teilnehmen." Vorher stehen viele kleine Ziele auf seiner Agenda – einige davon sind die sportliche und persönliche Weiterentwicklung sowie stabile Leistungen mit der HG Saarlouis. Dass sich hierfür nach einer Niederlagen-Serie vor Weihnachten noch einiges ändern muss, ist ihm bewusst: „Wie werden besser aus der Winterpause kommen. Wir werden eine andere Mannschaft sein mit einem anderen Toms, und dann machen wir alles besser", ist er sich sicher.