Packe leckere Füllung in Teighülle: Das ist ein Prozedere, das universell funktioniert und Köstlichkeiten wie Dumplings, Tortellini und Maultaschen hervorbrachte. Aber bei „DingsDums Dumplings" in Kreuzberg werden so beiläufig auch noch überschüssige Lebensmittel sinnvoll weiterverwendet.
Den „Fischers-Fritz-Award" für die zungenbrecherischste Namensgebung 2018 gewinnt das Betreiber-Trio aus der Wiener Straße. Sprechen Sie unfallfrei drei Mal hintereinander „DingsDums Dumplings" aus. Glückwunsch! So schafft man einen einprägsamen Namen für ein minikleines Lokal, das die Kunst der Teigtaschenfaltung und Befüllung beherrscht und die Wiener Straße seit April 2018 kulinarisch bereichert. Über dem Tresen hängen auf einer Stecktafel Symbole und Namen für die aktuellen Dumplings in allen möglichen Formen und Farben aus. Dreiecke, Halbmonde, Quadrate – alles, was die Welt der Teigtasche hergibt.
In den spätestens wöchentlich wechselnden Dumplings verbergen sich immer wieder neue Füllungen. Wie viel Stück von Hand gefaltet werden, hängt von der Verfügbarkeit der Zutaten ab. Das Besondere an den „DingsDums Dumplings": In ihnen stecken Füllungen aus überschüssigen Lebensmitteln, die sonst in der Tonne gelandet wären. Der Currywurst-Dumpling beispielsweise beherbergt ein Brät aus Premium-Fleisch und ein Apfel-Täschchen Bio-Äpfel von „SirPlus". Mit dem Lebensmittelretter-Supermarkt „SirPlus" kooperiert „DingsDums" von Anfang an. Überschüssige, im Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufene, aber noch perfekt genießbare Bio-Lebensmittel kommen als Füllung in die Teigtasche. Oder krumme und schiefe Kartoffeln von „Querfeld", die bei aller Liebe zum Grünzeug selbst in einem Biomarkt kaum Chancen im freien Verkauf haben. Sie werden zu schmucken „Fried Potatoes" verarbeitet.
„DingsDums Dumplings" ist aus der Nachhaltigkeitsidee heraus entstanden. Die Geschwister Mau Schröder und Jilianne Schröder sowie Anna Wohlrab, alle Ende 20, kannten sich aus der Medienbranche; man war befreundet. Anna Wohlrab wollte beruflich mehr im Nachhaltigkeitsbereich arbeiten, Mau Schröder strebte die Selbstständigkeit an. Seine kochbegeisterte Schwester Jilianne Schröder tauschte kurzerhand das Film-Business gegen die Profi-Küche ein. Die Teigtasche als solche, die in unterschiedlichen Varianten gefärbt und von Hand gefaltet wird, erwies sich als perfekte Verpackung für ständig wechselnde und immer in unterschiedlichen Mengen vorhandene überschüssige Lebensmittel, die in Bio-Qualität gekauft werden. Jilianne Schröder baut gern klassische Gerichte en miniature in die Dumplings ein – Blutwurst mit Äpfeln beispielsweise. Auch ein Nürnberger-Bratwürstchen-mit-Sauerkraut-Innenleben zu einer Joghurt-Wasabi-Creme macht sich als Hausmannskost in Teigtasche prima.
Ab fünf Stück ein Schmankerl gratis
Doch was nützt die tollste Idee, wenn das Ergebnis nach Konzept und Nachhaltigkeit, aber nicht lecker schmeckt? Eben. Gar nichts. Das ist bei „DingsDums Dumplings" nicht zu befürchten: Der Fotograf und ich teilen uns eine Portion mit „einmal alles", allen acht Varianten, die zur Ladenöffnung am Mittag auf der Tafel stehen. Fünf bis sechs Dumplings, die zwischen 1,50 und zwei Euro pro Stück kosten und immer mit einer individuell ausgetüftelten, passenden Soße daherkommen, sind eine Portion für den guten Hunger, weiß Mau Schröder. Ab fünf Stück gibt’s ein Schmankerl dazu: eine schicke, würzig ausgebackene Kartoffelspirale, ein XXL-Kartoffelchip am Spieß. Gut, dass die „Fried Potatoe" nicht einzeln zu bestellen ist. Als Nachbarin, die ständig am Laden vorbeiläuft, würde ich der knusprigen Verlockung gewiss zu oft erliegen. Der mit Lengfisch gefüllte Dumpling erweist sich als zweifellos gesündere Variante. Das zarte, weiße Filet ist in eine schwarze Pyramide gehüllt, die in brauner Butter mit getrockneten Tomaten und Koriander gereicht wird. Das macht sich nicht nur für den Fotografen hübsch. Auch ohne Kamera im Anschlag und in der To-go-Variante sind die Dumplings liebevoll angerichtet, die einzelnen Soßenschälchen sorgfältig beschriftet. Nach dem Transport sollen Dumplings und Tunken schließlich wieder passend zueinanderfinden. „Magst du nicht doch lieber vor Ort essen?", hatte mich Mau Schröder bereits beim ersten Besuch zu überzeugen versucht. Doch der damalige Schnupfenkopf war übermächtig. Ich versprach, die mitgenommenen Dumplings fünf Minuten später unverzüglich auf meinem Sofa zu verspeisen. So geschah es, und ich kann versichern: Sie machen sich auch als Take-away bestens. Ich hatte mir natürlich meine Gedanken über Verpackungsmüll gemacht, doch auch daran hat das Trio gedacht. „Die gesamte Verpackung besteht aus Bagasse. Und die Soßenschälchen sind aus PLA, einem ebenfalls abbaubarem Material", sagt Mau Schröder. Bagasse ist ein zellulosehaltiges „Abfallprodukt" aus der Zuckerrohrfaser, das normalerweise verbrannt wird. An der Optimierung wird stetig weitergeschraubt; sie steckt bei „DingsDums" auch im Detail: Unter dem Herd, auf dem die Dumplings portionsweise erhitzt werden, steht ein kleiner Kühlschrank, aus dem sie tiefgekühlt entnommen werden. Der mannshohe Freezer gegenüber bleibt so meist zu, die Energieverluste geringer. Holzhocker und Tische sind aus heimischer Kiefer selbst gebaut, Sitzkissen sowie die Kochflaschen aus recycelten PET-Flaschen. Für das Konzept gab’s 2018 einen Förderpreis der Initiative „Zu gut für die Tonne" des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft – und die dementsprechende mediale Aufmerksamkeit.
Erschienene Artikel kommen in die „Hall of Fame", einem Buch, das zum Durchblättern ausliegt. Ein Nachbar kennt das Spiel mit den Medien ebenfalls. Der Fotograf fragt ihn, ob er ausnahmsweise aufstehen und ihn aus seiner Ecke fotografieren lassen würde. Das geschieht schnell in dem winzigen Gastraum mit den vier Tischen. Eine Totale ist kaum darin zu fotografieren. „Du Armer, du musst immer leiden. Du bist immer da, wenn eine Führung oder so etwas ist", sagt Mau Schröder. Dafür gibt’s den einen oder anderen Extra-Dumpling für Langmut und aktive Unterstützung der kulinarischen Nachhaltigkeitsidee, der sich auch Projekte wie „Restlos Glücklich", „SirPlus" oder der „Original Unverpackt"-Laden wenige Häuser weiter verschrieben haben. „Wir machen Nachhaltigkeit für den Mainstream", sagt Mau Schröder. „Wir wollen die Leute nicht mit der Nase permanent darauf stoßen. Der Genuss steht klar im Vordergrund." Zweifellos, denn auch die Mante (türkische Teigtaschen; Anm. der Red.) mit Rind und Knoblauch sind köstlich. Die drei kleinen, schwarzen, austernförmigen Racker, die sich auf einer Knoblauch-Joghurt-Soße mit einer roten Tomaten-Chili-Sumach-Butter ausbreiten, machen uns das Teilen schwer. Die winterlichen türkischen Teigtäschchen mit Krawumms sind der Favorit des Fotografen. Wir teilen fair – er bekommt zwei Mante und ich stattdessen ein bisschen mehr vom Kalbsbries-Dumpling, bei dem auch Sellerie- und Pilzstückchen in die Füllung kommen. Das rote Dreieck ist auf eine Soße aus brauner Butter mit Sahne und Portwein gebettet. Das Innenleben ist cremig, mild und fein abgestimmt – dieses Täschchen ist spontan einer meiner Favoriten.
Österreich grüßt zum Dessert
Der angebratene Currywurst-Wan-Tan darf beinahe schon als Klassiker gelten. Die selbst gemachte Currysoße enthält neben Tomaten und Apfelmus auch Cola, wie Jilianne Schröder verrät, als sie einen Moment Zeit findet, aus der abgetrennten Küche herauszukommen. Wie sie die stimmigen Soßen zu den ständig wechselnden Dumplings entwirft? „Du musst eigentlich nur überlegen, was du zu Hause im Kühlschrank hast und was du damit machen würdest." Ganz gleich, ob Asiatisches mit Sojasoße, Frühlingszwiebeln und Sesam, Currysoße oder Joghurt-Dip dabei herauskommt: Die Soßen wirken für den Gaumen so grundlegend vertraut wie die Dumplings selbst. Essen in Teighülle – gekocht, gebacken, gedämpft oder gebraten – ist eine im Geschmacksgedächtnis universell verankerte Angelegenheit. Tortellini, Piroggen, Samosas, Momos, Dim Sum, Mante oder Maultaschen zeugen überall auf der Welt von der Kunst, Essbares delikat in Teighülle zu verpacken. Österreich grüßt in diesem Sinne zum Dessert mit einem Mini-Apfelstrudel in Dumpling-Gestalt und mit einer zimtigen Soße. Ich hätte sogar noch einen zweiten genommen. Aber nach eineinhalb Stunden sind die Apfel-„DingsDumse" ausverkauft. Was weg ist, ist weg. Was da ist, kann nicht nur gut bei Caterings vor Ort zubereitet, sondern auch als handgemachtes Convenience-Produkt mitgenommen werden: Die tiefgekühlten Dumplings werden auch außer Haus verkauft. Das nächste Ziel ist damit klar: der Verkauf im Supermarkt. So kann sich der Kreislauf schließen: Frische Produkte, die vor dem Verfall und Wegwerfen bewahrt wurden, verwandeln sich in ein neues, haltbares Produkt, das verkauft werden kann. Bis es so weit ist, freue ich mich einfach weiter über die „DingsDums Dumplings"-Basisstation in der Nachbarschaft.