Im neuen Elysée-Vertrag soll erstmals die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Grenzregion erleichtert werden. Christophe Arend ist Mitglied der Arbeitsgruppe und Abgeordneter der Pariser Nationalversammlung. Laut ihm soll vor allem die Bürokratie entschlackt werden.
Die Fliehkräfte in Europa sind groß. Nun sollen der deutsch-französischen Zusammenarbeit als Motor in Europa neue Flügel verliehen werden. Läuft alles planmäßig, wird am 22. Januar der überarbeitete Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und Frankreich, eine Art Elysée 2.0, von den Regierungen in Berlin und Paris unterzeichnet. Die Ratifizierung durch die französische Nationalversammlung und den Bundestag dürfte nur Formsache sein. Auf rund acht Seiten beabsichtigen die beiden Partner die Freundschaft im Sinne Europas weiter zu vertiefen und gemeinsame Projekte noch stärker voranzubringen. Ganz neu ist nach 56 Jahren das zweite Dokument im überarbeiteten Elysée-Vertrag. Die deutsch-französischen Grenzregionen sollen bei der Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen beiden Nationen ein gehöriges Mitspracherecht erhalten. Ob dieses Dokument im Januar schon unterschriftsreif ist oder ob es nachgereicht wird, steht noch in den Sternen. Daran gearbeitet wird derzeit mit Hochdruck auf beiden Seiten.
Warum Elysée 2.0 der deutsch-französischen Zusammenarbeit und vor allem auch Europa mehr Nachdruck verleihen kann, darüber sprach FORUM mit Dr. Christophe Arend aus Petite Rosselle. Der zuvor als Zahnarzt tätige Arend ist seit 2017 Abgeordneter der französischen Nationalversammlung aus dem Wahlkreis Moselle und Präsident der Freundschaftsgruppe Frankreich-Deutschland. Er gehört der Partei La République en Marche (LREM) an. Seine politische Laufbahn startete er als Mitglied des Stadtrats in Forbach 2014.
Monsieur Arend, warum brauchen wir eigentlich einen neuen Freundschaftsvertrag?
Der Vertrag beschreibt eine Vision, wie die Zusammenarbeit beider Nationen in den nächsten 50 bis 60 Jahren aussehen soll. Was dort steht, bestimmen die beiden nationalen Regierungen. Seit 1963 war es also an der Zeit, neue Gegebenheiten mit einzuarbeiten. Entscheidend wird aber das zweite Dokument im Elysées 2.0 sein. Dort werden erstmalig grenzüberschreitende Aspekte konkret definiert, die die Zusammenarbeit in den deutsch-französischen Grenzregionen im Alltag erleichtern. Es geht beispielsweise um so wichtige Themen wie Mobilität, Bildung inklusive Zweisprachigkeit, nachhaltige Entwicklung, Wirtschaftsrecht und Arbeitsmarkt. Das sind Bereiche und Themengebiete, die die Menschen in den Grenzräumen jeden Tag aufs Neue erleben. Hier können wir Europa erlebbarer machen, sodass am Ende des Tages die Bürger von den Vorteilen Europas überzeugt sind. Anders ausgedrückt heißt das, den Bürgern mehr Lust auf Europa zu machen. Daran müssen wir alle jeden Tag aufs Neue arbeiten.
Dann müssen Sie aber noch viel Überzeugungsarbeit leisten, denn die Stimmung pro Europa ist nicht gerade zum Besten bestellt.
Leider haben Sie Recht, Europa gilt als Sündenbock, wenn etwas schiefläuft. Steigen die Lebensmittelpreise, ist Europa schuld. Sind die Straßen kaputt, ist Europa schuld. Geht die Arbeitslosigkeit nach oben, ist Europa schuld. Das Europa-Bashing muss aufhören. Wir als Politiker müssen im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern besser aufklären und stärker die Vorteile betonen. Wir sollten das Feld nicht tatenlos den Populisten und Europaskeptikern überlassen insbesondere im Hinblick auf die Europawahlen. Und wo geht das besser als in unserer Grenzregion zwischen dem Saarland, Lothringen und Luxemburg?
Das Saarland und Lothringen können aber doch keine Außenpolitik machen.
Die übergreifenden Themen wie eine gemeinsame Außenpolitik oder Verteidigung sind damit auch nicht gemeint. Aber die Menschen in den Grenzräumen haben konkrete Anliegen. So gibt es zum Beispiel in Deutschland ein Jahr lang Arbeitslosengeld, in Frankreich zwei. Administrative Hürden gibt es beim Arbeitsrecht. In der Berufsausbildung könnte vieles weiter verbessert werden. Wir haben als deutsche und französische Parlamentarier deshalb ein Positionspapier erarbeitet, das künftig die Bedeutung der Grenzregionen mit diesen konkreten Fragestellungen stärker berücksichtigt. Genauer gesagt geht es um die Eurodistrikte, also Zweckverbände. Das sind zwischen Deutschland und Frankreich in erster Linie Saar-Moselle, Straßburg-Ortenau und Pamina mit den Teilräumen Südpfalz, Baden und Elsass. Diese Eurodistrikte sollen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit insbesondere zwischen den Kommunen weiter verbessern und erweitern, eine Art Experimentierfeld zwischen Deutschen und Franzosen. So könnten bei Saar-Moselle auch weitere Kommunen hinzukommen.
Deutsch-französischer Motor für Europa – was sagen die anderen Europäer?
Franzosen und Deutsche haben kein Monopol für die europäische Zusammenarbeit. Aber wir können als Modell für andere Grenzregionen in Europa fungieren. Immerhin leben in europäischen Grenzregionen über 30 Prozent der Bevölkerung. Wenn wir alle bürokratischen Hemmnisse beseitigen würden, läge das Bruttoinlandsprodukt nach Berechnungen von Fachleuten der EU in beiden Ländern um rund acht Prozent höher. Schon 20 Prozent Erleichterung brächten eine Erhöhung von rund zwei Prozent.
Hört sich gut an, aber politisch gesehen ist man sich ja noch nicht einmal in Grand Est einig. Wie empfinden Sie das Vorpreschen des Elsass in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Deutschland?
Darüber waren wir in Lothringen nicht „amused", wie das Elsass mit einem Vertrag einfach vorgeprescht ist. Die Reihenfolge stimmt nicht. Erst sollte der Elysée-Vertrag 2.0 unterschrieben und ratifiziert werden, dann erst können die Regionen folgen. Außerdem sollte es um die Weiterentwicklung Europas gehen und nicht um Passagen wie „der Wunsch des Elsass ist es, …". Das Elsass hat kein Monopol auf die deutsch-französische Zusammenarbeit, zumal wir auf diesem Gebiet in Lothringen und dem Saarland im Umgang miteinander sehr viel praktische Erfahrung haben. Das habe ich den entsprechenden Personen, auch unserem Staatspräsidenten Emanuel Macron, im Übrigen so mitgeteilt.
Welche Impulse erwarten Sie vom Saarland, das im kommenden Jahr den Vorsitz in der Großregion übernimmt?
Wir sollten zuallererst den Namen Großregion – auf Französisch Grande Région – ändern. Paris versteht nämlich unter Grande Région immer Grand Est und kann das Vorgehen des Elsass gar nicht richtig nachvollziehen. Ich gehe davon aus, dass unter dem Vorsitz des Saarlandes einiges zugunsten Europas vorangebracht werden kann. Die deutsch-französische Zusammenarbeit und Europa sind für das Saarland und Lothringen einfach viel zu wichtig.
Wer wacht eigentlich über die Einhaltung des Freundschaftsvertrags?
Es wird künftig eine deutsch-französische Versammlung – eine assemblée franco-allemande – geben. Je 50 Abgeordnete aus beiden Ländern sind proportional zu den Parteien in dieser Versammlung vertreten. Sie wacht über die Umsetzung des so wichtigen zweiten Dokuments von Elysée 2.0 und soll die Weiterentwicklung der deutsch-französischen Freundschaft vorantreiben. Sie wird drei- bis viermal pro Jahr tagen; die Vorsitzenden sind die jeweiligen Präsidenten des Bundestags und der Nationalversammlung.