Europa kommt bei dringenden Reformen nicht voran. Das deutsch-französische Verhältnis ist derzeit schwierig: Kanzlerin Angela Merkel in ihrer politischen Schlussphase könnte jetzt die Initialzündung liefern, so der europapolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Christian Petry. Doch es drohen neue Schwierigkeiten – diesmal aus Frankreich.
Herr Petry, der Elysée-Vertrag soll den Bund zwischen Frankreich und Deutschland rechtlich erneuern. Wo waren in den Verhandlungen die größten Knackpunkte?
Da ging es weniger um die Knackpunkte zwischen Deutschland und Frankreich, beide Länder sind sich ja in den Grundsätzen einig. Vielmehr sind es die beiden sehr unterschiedlichen parlamentarischen Kulturen, die sich da bei den Verhandlungen zum Parlamentsabkommen zum Elysée-Vertrag begegnet sind. Die Rechte des deutschen Parlaments sind sehr viel stärker als die des französischen Parlamentes. Und da dann bei den Verhandlungen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, war nicht ganz so einfach. Das deutsche Parlament debattiert einen Umstand, beschließt dann die Lösung und beauftragt anschließend die Regierung diese umzusetzen. In Frankreich ist es umgekehrt, die Regierung legt dem Parlament die Lösung einer Aufgabe vor und die Abgeordneten beschließen das dann. Das ist ein nicht ganz unerheblicher Unterschied in der Zusammenarbeit. Vor allem, wenn man ein neues Abkommen mit dieser Tragweite verabreden will.
Die unterschiedliche Arbeitsauffassung der beiden Parlamente ist aber nicht der Hauptgrund für das derzeit etwas schwierige Verhältnis Deutschland-Frankreich.
Nein, das bei Weitem nicht. Denn die Bundeskanzlerin hat den französischen Präsidenten Macron nach dessen Sorbonne-Rede zu den dringend nötigen Reformen in Europa recht lange warten lassen. Aber nun kommt auch Deutschland Macron entgegen, es bewegt sich etwas, wenn auch langsam. Da gibt es zum Beispiel die Einigung im Finanzbereich, Stichwort Eurozonen-Budget. Da gibt es aber auch noch Punkte, die in der Sorbonne-Rede von Macron gefordert wurden, wo wir noch eine Weile streiten werden.
Aber insgesamt scheint ja Frankreichs Staatspräsident Macron ein Gemüt wie ein Schaukelpferd zu haben. Trotz der Warterei auf eine deutsche Reaktion hat er nie die Contenance verloren.
Das war in weiten Zügen schon richtig peinlich für Deutschland. Da spricht ein französischer Staatspräsident pro-europäisch, macht uns eine Offerte nach der anderen und die Kanzlerin ist mit sich selbst beschäftigt. In den sechs Monaten der Regierungsbildung, vom Spätsommer 2017 bis zum Frühling 2018, hat praktisch keine deutsche Europapolitik stattgefunden. Dann stand die Regierung endlich, jetzt hätte es losgehen sollen, und schon waren wir wieder mit uns selbst beschäftigt. Die Seehofer-Sommerfestspiele haben europapolitisch weiter alles gelähmt. Darum bin ich jetzt froh, dass sich dann Finanzminister Olaf Scholz federführend der Sache angenommen hat.
Nun kommt aber noch erschwerend hinzu, dass Deutschland eine Kanzlerin auf Abruf hat, kommen damit auch wieder die europäischen Reformen jetzt wieder ins Stottern?
Derzeit habe ich im Gegenteil das Gefühl, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade nochmal richtig aufspielt und alles auf die EU-Karte setzt. Jetzt, wo klar ist, dass ihre Regierungszeit überschaubar geworden ist und sie auch die Last des Parteivorsitzes abgeworfen hat, macht die Kanzlerin auf der europäischen Bühne geradezu einen befreiten Eindruck. Vielleicht will sie sich ja auch noch einen festen Eintrag im europäischen Geschichtsbuch sichern. Ich weiß es nicht, aber meine Hoffnung ist natürlich, dass sich das zuerst auf die deutsch-französischen Beziehungen positiv auswirkt. Alles, was sich im Verhältnis zu unserem westlichen Nachbarn positiv auswirkt, hilft schließlich auch immer dem Rest Europas. Doch wie das im Leben so ist: Nun kommt Deutschland endlich in Bewegung, da zeichnen sich über Frankreichs politischem Himmel dunkle Wolken ab. Staatspräsident Macron musste erste Reformen bereits wieder zurücknehmen, und ganz offenbar verliert er immer mehr an Rückhalt in der eigenen Bevölkerung. Jetzt stottert der Motor nicht mehr auf der deutschen, sondern auf der französischen Seite und das ausgerechnet fünf Monate vor der für uns alle sehr wichtigen Europawahl.
Wie reagieren denn die anderen EU-Partner auf die Erneuerung des Parlamentsabkommens zum Elysée-Vertrag?
Wir Parlamentarier aus Frankreich und Deutschland wünschen uns, dass dieser Vertrag von den anderen EU-Partnern als ein positives Signal aufgenommen wird. Wenn zwei so unterschiedliche Kulturen und Volkswirtschaften wie Deutschland und Frankreich sich noch enger aneinanderbinden, dann heißt das ja auch weitere Stabilität für die anderen. Diese Einigung soll aber auch als Signal an die anderen verstanden werden, doch mit mehr Einigungswillen in zukünftige Verhandlungen auf europäischer Ebene zu gehen. Mein Blick geht da gerade in Richtung Osteuropa.
In wenigen Wochen kommt mit dem Brexit die nächste schwere Belastungsprobe auf Europa zu. Wem standen die Briten eigentlich näher, den Franzosen oder uns Deutschen?
Das kann ich so gar nicht beantworten. Die Briten standen dem ganzen EU-Projekt ja von Anfang an sehr kritisch gegenüber, sie sind ja überhaupt erst 1972 der Wirtschaftsgemeinschaft beigetreten. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits Deutschland und Frankreich der Motor der damaligen EWG. In der Folgezeit war die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens eher holprig. Viele EU-Vorhaben und Ideen wurden von der Insel kritisch begleitet.
Wer hat Schuld am Brexit, an dieser nationalen Kurzschlusshandlung?
Na, ich weiß gar nicht, ob das tatsächlich eine nationale Kurzschlusshandlung war. Das würde ja eine tiefe Beleidigung voraussetzen. An die kann ich mich aber nicht erinnern. Sicher gab es da auf beiden Seiten in den ganzen Jahren eine Reihe von Missverständnissen, und ganz offensichtlich fühlte man sich jenseits des Ärmelkanals manchmal auch nicht richtig ernst genommen. Was mich aber heute am meisten ärgert, die Brexiteers haben ihre Argumentation auf Lügen aufgebaut. Alle vermeintlich schlagenden Argumente für den Brexit wurden teilweise schon am nächsten Tag schwarz auf weiß widerlegt. Trotzdem hat man eine ganze Kampagne darauf aufgebaut und obendrein auch noch knapp gewonnen. Für mich steht damit der Brexit als Mahnung an alle anderen Europäer, welche katastrophalen Auswirkungen Populismus haben kann."
Der anstehende Brexit schweißt also Frankreich und Deutschland eher zusammen, sichtbares Zeichen ist die Einrichtung einer deutsch-französischen Parlamentarischen Versammlung. Was bedeutet das?
Diese Versammlung setzt sich aus jeweils 50 Mitgliedern der Nationalversammlung und 50 Abgeordneten des Deutschen Bundestags zusammen. Sie hat zur Aufgabe, sozusagen den kleinen Grenzverkehr über die Straße und Schiene hinaus auszuweiten und zu regeln. Das heißt, die Grenze wird zwischen den französischen Départements und Bundesländern noch weiter verschwinden. In der Praxis wird es zukünftig wesentlich einfacher, Sprachunterricht auf beiden Seiten anzubieten. Das Personal in den Kindergärten oder Schulen zwischen beiden Ländern kann leichter ausgetauscht werden. Das geht aber dann auch bis hin zur gemeinsamen Planung von Gewerbegebieten. Also Planungsverfahren, die bislang auf höchster Ebene, teilweise übers Kanzleramt laufen mussten, werden zukünftig einfacher werden. Das ist sozusagen ein Quantensprung in der gemeinsamen Verwaltung für die Menschen in dieser Grenzregion.