Als Generalsekretärin hat Annegret Kramp-Karrenbauer die Diskussion um ein neues CDU-Grundsatzprogramm eingeleitet. Als Vorsitzende bringt sie dabei ihre Handschrift ein. FORUM befragt Politikwissenschaftler Uwe Jun zu Erwartungen, Themen und einen neuen Stil der Grundsatzdebatte.
Herr Professor Jun, die CDU arbeitet gerade intensiv an ihrem Grundsatzprogramm. Wozu dient das, und was ist das überhaupt, so etwas wie ein parteiinterner Kompass?
In der Tat, in einem Grundsatzprogramm legt eine Partei ihre grundsätzlichen inhaltlichen Positionen für verschiedene Politikbereiche fest. Es dient einer Partei zur Selbstvergewisserung: Wo stehen wir gerade, welche Antworten zur Lösung gesellschaftlicher Probleme haben wir. All dies muss man innerhalb einer Partei, die derzeit mehr als 400.000 Mitglieder hat, erst einmal bestimmen. Zusätzlich demonstriert ein Grundsatzprogramm auch nach außen, welche Themen, Werte und grundlegenden Positionen eine Partei insgesamt vertritt. Dies sind die wichtigsten Aufgaben eines Grundsatzprogramms.
Nun haben sich die Rahmenbedingungen von 2007, als die CDU ihr aktuelles Grundsatzprogramm verfasst hat, gegenüber heute geändert. Welche Unterschiede sehen Sie?
Man versucht in Grundsatzprogrammen immer die Änderungen der politischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Klar, dass im kommenden Programm Themen bedeutsamer sind, die im aktuellen Programm vielleicht noch keine so große Rolle gespielt haben. Die Partei muss darauf Antworten finden, wie sie sich dazu stellt. Zum Beispiel der Klimawandel, zum Beispiel Sicherheit, Migration und die europäische Integration nach dem Brexit. Die neue Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat ja bereits darauf hingewiesen, dass man sich beispielsweise beim Thema Migration neu verständigen muss.
Auf welche Entwicklungen in der deutschen politischen Landschaft muss denn das Grundsatzprogramm da Rücksicht nehmen? Spielt die AfD eine Rolle?
Es ist ja zunächst kein Wahlprogramm, sondern soll grundlegende Positionen liefern, ist also nicht auf kurzfristige politische Fragen oder den politischen Wettbewerber gerichtet. Aber Sie können es selbstverständlich schon am Thema Migration und Sicherheit erkennen: Die zentralen Themen der AfD sind auch Themen, die derzeit in der gesellschaftlichen Diskussion behandelt werden. Also will die CDU darauf Antworten geben.
Die CDU hat ihr Grundsatzprogramm in den Jahrzehnten zuvor auf Kommissionen und Parteitagen ermittelt. Diesmal ging Annegret Kramp-Karrenbauer auf „Zuhör-Tour". Ist dies Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels und eines Wandels der CDU?
Ja, auch die CDU hat erkannt, dass sie ihre Mitglieder mehr beteiligen sollte. Der Trend zu mehr Partizipation aller Mitglieder ist in allen Parteien erkennbar. Dies war auch das Leitthema von Kramp-Karrenbauer. Das setzt voraus, dass man verschiedene Formen wie die Regionalkonferenz oder die Möglichkeiten online nutzt. Dies alles steht im Trend der Zeit und dient der CDU nun dazu, zu zeigen, dass sie diese Trends erkannt hat; zum anderen, um den Mitgliedern mehr Teilhabe am Gestaltungsprozess zu gewähren, diesem Wunsch also zu entsprechen, der in vielen Teilen der Bevölkerung durchaus vorhanden ist.
Wie prägend ist denn die Person der Parteivorsitzenden für den Prozess der Programmgestaltung?
Annegret Kramp-Karrenbauer hat den Prozess ja bereits als Generalsekretärin angestoßen und führt ihn jetzt als Parteivorsitzende weiter. Sie kann und wird darauf Einfluss nehmen, weil sie weiß, dass das Grundsatzprogramm sie in gewisser Weise – angesichts der verschriftlichten Werte und Positionen der Partei – bindet. Im Regierungshandeln wäre eine Regierungschefin, ein Regierungschef da natürlich freier, dies auszugestalten. Aber die derzeitige Parteivorsitzende müsste die festgehaltenen grundlegenden Positionen selbst vertreten. Daher ist es auch entscheidend, wie wichtig die Parteiführung den Prozess zur Gestaltung eines Grundsatzprogrammes nimmt – Frau Merkel hat dem eine etwas geringere Relevanz zugeschrieben. Von Frau Kramp-Karrenbauer hört man, dass sie sich stärker einbringt. Das hängt auch mit dem Wunsch in der CDU zusammen, dass man sich neu aufstellen, modernisieren und profilieren möchte. Eine Parteivorsitzende kann dies zur eigenen Profilierung nutzen. Der Führungsstil von Annegret Kramp-Karrenbauer ist in mancher Hinsicht dem von Angela Merkel zwar ähnlich, doch gewinne ich von außen den Eindruck, dass sie ihre eigenen Vorstellungen mit einbringt, ohne dominieren zu wollen.
Es gibt ja in der Diskussion um die deutschen Volksparteien die entscheidende Frage, ob es sie noch gibt und ob sie noch zeitgemäß sind. Wird das neue Grundsatzprogramm erneut versuchen, möglichst viele Bevölkerungsgruppen anzusprechen?
Diesen Selbstanspruch hat die CDU. Aber wir können sagen, dass der Typus Volkspartei erodiert. Was ist eine Volkspartei? Sie besitzt eine breite, heterogene Wähler- und Mitgliedschaft, die viele, möglichst alle sozialen Gruppen umfasst, ist in der Gesellschaft breit verankert und spricht ebensolche heterogenen Wählerschichten an. Somit ist es auch Aufgabe des Grundsatzprogramms, vielen Gruppen ein breites programmatisches Angebot zu unterbreiten. Die CDU wird versuchen, dieses Angebot sicherzustellen, um die Integration unterschiedlichster sozialer Gruppen wieder mehr zu gewährleisten. Denn Volksparteien gelang diese Integration, das Hinwirken auf ein gemeinsames Ziel, zuletzt immer weniger. Das Grundsatzprogramm bietet also die Chance für die CDU, neu aufzuzeigen, was ihrer Meinung nach unsere Gesellschaft zusammenhält.
Auch die andere – ehemals – große Volkspartei SPD erneuert sich laut eigener Aussage, aber sind dort Fortschritte zu erkennen?
Wenn, dann nur sehr langsame. Nun ist ein Erneuerungsprozess immer eher langfristig zu organisieren, er kann nicht von heute auf morgen beschlossen, durchgeführt und abgeschlossen werden. Ich sehe in der SPD bislang jedoch kaum Fortschritte, sie wirkt eher von der aktuellen Politik getrieben. Das Debattencamp vor einigen Wochen war ein Lichtblick im Erneuerungsprozess, doch ist daraus bislang wenig gefolgt.
Was würden sie beiden Parteien hinsichtlich ihrer Neugestaltung raten?
Für beide Parteien ist es wichtig, ihre gesellschaftliche Anbindung zu stärken und ihre Attraktivität zu steigern. Mehr Teilhabe- und Mitwirkungsmöglichkeiten zu schaffen ist ganz zentral. Potenziellen Mitgliedern sind die Mitgestaltung und die Durchsetzung ihrer persönlichen Ansichten in den Parteien ein zentrales Anliegen. Man darf aber eins auch nicht vergessen: Parteien sind Ausdruck der Gesellschaft. Ihnen beizutreten ist derzeit gesamtgesellschaftlich nicht gerade in Mode. Hier Impulse dagegenzusetzen ist kein leichtes Unterfangen.