Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist sichtlich bemüht, sich von ihrer Vorgängerin Angela Merkel abzusetzen: Bei den anstehenden Wahlkämpfen soll diese keine größere Rolle mehr spielen. In kürzester Zeit hat AKK die Zügel der Partei in die Hand genommen.
Der Abschied von der Macht erfolgt schleichend und leise, jedenfalls im Falle von Angela Merkel. Und es sind gerade die Kleinigkeiten, an denen das sichtbar wird. Bei der CDU-Klausurtagung Mitte Januar in einem großen Tagungshotel am Templiner See in Potsdam war sie auf einmal nicht mehr die Hauptperson. Nicht sie war ständig umringt und belagert, sondern die neue Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Parteiintern nur AKK genannt, rannte sie durch die Lobby, machte hier letzte Absprachen mit dem Parteivorstand, da ein Interview, dort ein Presse-Statement. Ex-Parteichefin – und immerhin Kanzlerin – Merkel hatte derweil die Muße, an einem Stehtisch ihren Tee zu genießen. Schließlich gesellte sich Manfred Weber dazu, Unions-Spitzenkandidat für die Europawahl. Aber auch er blieb nicht lange, Weber ist jetzt gefragt, musste ebenfalls zum Statement. Zurück blieb die Kanzlerin, allein am Tisch mit der Tasse Tee.
Dieser sichtbare Eindruck von „weniger wichtig" wurde zudem von ihrer Nachfolgerin als Parteivorsitzende mit recht deutlichen Worten untermauert. Kramp-Karrenbauer stellte es den wahlkämpfenden CDU-Kreisverbänden frei, ob diese nun mit persönlicher Kanzlerinnen-Unterstützung um Wählerstimmen werben wollen oder nicht. Dabei unterstrich AKK sogar, sie habe absolut Verständnis dafür, wenn diese Unterstützung aus dem Kanzleramt nur sehr, sehr zurückhaltend abgerufen werde. Ihr Argument: Gerade die Landesverbände in Ostdeutschland wollten verhindern, dass bundespolitische Themen die Landtagswahlkämpfe überlagern. Annegret Kramp-Karrenbauer weiß, wovon sie spricht. Ihren letzten Landtagswahlkampf an der Saar im Winter 2017 führte sie zur Hochzeit der Flüchtlingskrise und unter dem Kanzlerin-Slogan „Wir schaffen das". Sie selbst „habe Merkel damals ganz bewusst nur zu einer einzigen Kundgebung ins Saarland eingeladen", und war am Ende erfolgreich. Damit legt dann Kramp-Karrenbauer auch gleich den Finger in die immer noch offene Wunde der CDU: der Flüchtlingssommer 2015.
Flüchtlingskrise wird aufgearbeitet
Bundeskanzlerin Merkel lehnte und lehnt weiterhin jegliche Diskussion über diese Monate und gemachte Fehler kategorisch ab. Merkel will, so wörtlich, nicht ihre Zeit damit „verplempern". Annegret Kramp-Karrenbauer offenbar schon. So hat sie nun für die kommenden Wochen sogenannte Werkstattgespräche angekündigt, wo parteiintern alle gemachten Fehler von damals auf den Tisch kommen sollen. Noch im Herbst hatten Zeitungen von einem offenen Aufstand gegen Merkel geschrieben, doch inzwischen hat ein neuer, offenerer Stil in der CDU Einzug gehalten.
Die Ergebnisse dieser Werkstattgespräche jedenfalls könnten für einige der Merkel-Vertrauten durchaus unangenehm ausfallen, nicht zuletzt für Peter Altmaier. Altmaier war in der kritischen Zeit Kanzleramtsminister und damit Geheimdienstkoordinator. Obwohl es schon im Frühjahr 2015 Hinweise auf eine bevorstehende Flüchtlingswelle gab, wurde vonseiten der Regierung nichts zur Vorbereitung unternommen. Im Sommer war dann die Überraschung bei der Bundesregierung groß und gipfelte in den berühmt gewordenen Worten der Kanzlerin „Wir schaffen das". Dass nun ausgerechnet die von Merkel als Nachfolgerin vorbereitete Kramp-Karrenbauer diese Umstände aufklären will, hat einen guten Grund: Damit soll vor allem der rechte Flügel in der Partei beruhigt werden und eben die CDU-Freunde in Ostdeutschland, wo in diesem Jahr drei Landtagswahlen anstehen.
Welche Rolle die Kanzlerin bei dieser Aufklärungsoffensive spielen soll, ist offenbar noch nicht ganz geklärt – oder soll nicht verraten werden. Kramp-Karrenbauer erklärte jüngst auf einer Pressekonferenz, die Details des Formats und die Teilnehmer seien „noch offen". Aber ganz so scheint das dann doch nicht zu sein, denn dem frisch gebackenen Generalsekretär Paul Ziemiak unterlief in besagter Pressekonferenz offensichtlich der kleine Fehler, auf die Nachfrage, ob Merkel also nicht an den Werkstattgesprächen teilnehme, merklich zu nicken. AKK, leicht irritiert, wiederholte dann, dass die Teilnehmerfrage noch nicht geklärt ist.
Laut Umfragen scheint der neuen CDU-Vorsitzenden die Absetzung von ihrer politischen Ziehmutter bislang gut zu gelingen. Laut Umfragen rangiert Annegret Kramp-Karrenbauer ganz weit vorn in der Beliebtheit. Dabei scheint sie nun auch die Herzen der Vorstände eines großen deutschen Verlagshauses im Sturm genommen zu haben.
Es läuft also gerade wie geschmiert für die neue CDU-Chefin. Nächste Klippe: die Europawahl am 26. Mai. Jedes Ergebnis von über 30 Prozent für die Union wird allgemein schon als Erfolg gewertet. Werden es über 35 Prozent, könnte das als klare Trendwende verstanden werden. Bei einem solchen Ergebnis könnte sogar der richtige Zeitpunkt für den nächsten AKK-Paukenschlag gekommen sein. Bundeskanzlerin Merkel könnte ihr Amt niederlegen und es Kramp-Karrenbauer quasi antragen.
Für Angela Merkel wäre es eine geordnete Amtsübergabe, was in 70 Jahren Bundesrepublik bislang keinem Kanzler gelungen ist. Annegret Kramp-Karrenbauer hätte genug Vorbereitungszeit und könnte für die Union mit einem Kanzlerbonus in den Wahlkampf für die Bundestagswahl 2021 gehen. Obendrein könnte die CDU im kommenden Sommer mit neuem Schwung aus dem Kanzleramt in die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen gehen. Die mögliche Bundeskanzlerin Kramp-Karrenbauer hätte ja mit dem umstrittenen Flüchtlingssommer 2015 direkt nichts zu tun gehabt und könnte sich weiter deutlich davon distanzieren. Damit wäre, so hoffen nicht wenige in der CDU, dem Hauptgegner AfD, erheblich der Wind aus den Segeln genommen.