In der Forschung von Biochemikerin Frances Arnold drehte sich in den vergangenen 30 Jahren alles darum, die Kraft der Evolution nutzbar zu machen. Dafür bekam sie im Dezember den Nobelpreis in Chemie – als erst fünfte Frau in 117 Jahren.
Sie war in Dallas, als der Anruf kam und sie in einem Hotelbett morgens um 4 Uhr aus dem Schlaf riss. „Zuerst war ich erschrocken und dachte, zuhause sei etwas passiert. Als ich dann die ausländische Nummer auf dem Display sah, war ich etwas erstaunt, und als ich hörte, dass ich den Nobelpreis gewonnen hatte, außer mir vor Freude und so aufgeregt, dass ich die Neuigkeit unbedingt mit jemandem teilen wollte, aber ich war allein", erzählt Frances Arnold. Nie hätte sie damit gerechnet, dass sie einmal den bedeutendsten Wissenschaftspreis der Welt erhalten würde. „Ich hatte zwar erfahren, dass ich nominiert worden war, aber das waren Hunderte anderer Wissenschaftler auch, und deshalb erwartete ich den Preis nicht wirklich."
Frances Arnold, Professorin für Chemieingenieurwesen und Biochemie am California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena gilt als Pionierin auf dem Gebiet der „gerichteten" Evolution. Ihr Interesse lag anfangs allerdings ganz woanders, denn eigentlich hatte sie in Princeton Luftfahrttechnik und Maschinenbau studiert und sich der Entwicklung neuer Solarzellen gewidmet. Als sie später an der University of California in Berkeley in Chemieingenieurwesen promovierte, begann sie sich mit der Frage zu beschäftigen, wie man Biotreibstoffe aus natürlichen, nicht fossilen Rohstoffen herstellen könnte und hatte die zündende Idee. „Gesteuerte beziehungsweise ‚gerichtete‘ Evolution war die Lösung zu einem Problem, das unlösbar schien: das Design eines neuen Biomoleküls. Keinem Wissenschaftler war das bisher gelungen. Wenn man Moleküle, wie zum Beispiel Proteine, aufgrund ihrer komplexen Struktur nicht künstlich schaffen kann, wieso nutzten wir dann nicht einfach den Prozess der Evolution, der die gesamte Biologie überhaupt erst geschaffen hat? Menschen steuern die Evolution seit Tausenden von Jahren, aber nun bestand die Möglichkeit, dies auf molekularer Ebene im Reagenzglas zu tun. Mir schien das einleuchtend, und so starteten wir in den späten 1980er-Jahren mit den Versuchen", so Frances Arnold in einem Interview während der Nobelwoche im Dezember 2018 in Stockholm.
Gesagt, getan. In ihrem Labor am Caltech begann sie die Prinzipien der Evolution zu nutzen. Und zwar mithilfe von Enzymen, den Bausteinen des Lebens. Während in der Chemie giftige Schwermetalle, starke Säuren und Lösungsmittel zur Produktion von Katalysatoren eingesetzt werden, was nicht sehr umweltfreundlich ist, konzentrierte sich Arnold auf das Design neuer Enzyme. Man erinnert sich an den Chemieunterricht: Enzyme bestehen aus biologischen Riesenmolekülen und können als Katalysatoren chemische Reaktionen beschleunigen.
„Die größte Herausforderung dabei war, meine Kollegen davon zu überzeugen, dass die Herangehensweise mithilfe der Evolution keineswegs Betrug bedeutete. Meiner Meinung nach lehrt uns die Evolution, worauf es ankommt, sie lehrt uns eine neue Chemie, und sie befähigt uns, Dinge zu tun, die kein Mensch bewerkstelligen kann", so Arnold.
„Gerichtete" Evolution
Ihr erstes Versuchsenzym war Subtilisin, das in Wasserlösungen Milchprotein (Kasein) spalten kann. Sie wollte das Enzym nun so verändern, dass es dies auch in dem organischen Lösungsmittel Dimethylformamid (DMF) schafft. Dazu änderte Arnold mittels Mutationen den genetischen Bauplan des Subtilisins, verteilte die veränderte DNA auf Bakterien, die nun diverse mutierte Varianten erzeugten. Sie testete, welche Enzymvarianten das Kasein in der DMF-Lösung am schnellsten spalteten und wiederholte den Mutationsprozess mit dieser Version. In der dritten Enzymgeneration fand sie eine Variante, die in dem Lösungsmittel 256-mal schneller arbeitete als das Ursprungsenzym. Zehn verschiedene Mutationen in der Gensequenz hatten zu diesem Ergebnis geführt. Frances Arnold war die Erste, der 1993 die „gerichtete" Evolution von Enzymen gelang. Weltweit werden heute unter Anwendung dieser Methode Arzneimittel, Biokraftstoffe und „grünere" Chemikalien hergestellt. Varianten des Subtilisins werden als Waschmittelzusatz genutzt.
Für ihre Forschung erhielt Arnold zahlreiche Auszeichnungen, darunter als erste Frau den internationalen Innovationspreis „Millennium Technology Prize", und sie wurde als erste amerikanische Wissenschaftlerin gleich in alle drei Nationalakademien der USA gewählt: in die National Academy of Engineering, die National Academy of Medicine und die National Academy of Sciences. 2014 erhielt sie einen Platz in der National Inventors Hall of Fame. In ihrem Privatleben lief es für die Mutter von drei Söhnen nicht immer so glatt wie in der Forschung. Ihr erster Mann, Biochemiker James Bailey, starb an Krebs, der zweite, Astrophysiker Andrew Lange, beging Selbstmord, sie selbst erkrankte 2005 an Brustkrebs, und 2016 kam ihr jüngster Sohn bei einem Unfall ums Leben. Er war erst 18.
Das Kapitel „gerichtete" Evolution ist für Frances Arnold auch nach Erhalt des Nobelpreises noch lange nicht beendet. In ihrem neuen Forschungsprojekt geht es darum, wie man Neuheiten entwickelt. „Wie entwickelt man etwas, das sich in der Welt der Biologie nicht finden lässt? Wo ein Enzym die Reaktion einer Bindung katalysiert, die in der Biologie eigentlich gar nicht existiert? Wir dachten immer, dass dies ein schwer lösbares Problem wäre, bis ich herausfand, dass es mithilfe der Evolution tatsächlich leicht zu lösen ist", erklärt sie.
Den Nobelpreis teilte sich Frances Arnold zu 50 Prozent mit dem US-Biologen George Smith, dem es gelang, beliebige DNA-Sequenzen für Peptide in einen Bakteriophagen einzubauen (Phagen-Display) und dem britischen Biochemiker Gregory Winter, der die Techniken seines Kollegen George Smith weiterentwickelte.
„Es gibt so viele brillante Wissenschaftlerinnen in der Chemie, und ich bin mir sicher, dass in Zukunft mehr Frauen den Nobelpreis erhalten werden", so Arnold. In den letzten 117 Jahren waren 175 der 180 Nobelpreisträger in Chemie Männer.