Veraltet, zu wenige Waggons, zu viele Nutzer: Der öffentliche Nahverkehr in Berlin platzt aus allen Nähten. Nun liegen Investitions- und Ausbaupläne in Milliardenhöhe auf dem Tisch.
Jeder Berlin-Besucher ist begeistert: Wie gut das funktioniert in so einer großen Stadt! Mit der U- oder S-Bahn kommt man überall hin. Keiner braucht zu warten am Bahnsteig, die Züge kommen ja alle drei Minuten. Es gibt Busse, die für den Preis einer Nahverkehrskarte alle öffentlichen Sehenswürdigkeiten abfahren – und dann auch noch die Tram, die vor allem im Osten verkehrt und bei manch älterem Gast Nostalgiegefühle auslöst. Nach Potsdam kommt man mit der Regio, Cottbus, Brandenburg, Frankfurt/Oder – alles keine Entfernungen. „Also, warum schaffst Du eigentlich Dein Auto nicht ab?", hört man die Besucher fragen. Und tatsächlich: Viele haben es getan. Lebt man allerdings schon länger in dieser großen Stadt, erlebt man den öffentlichen Nahverkehr – von Berlinern schnöde „die Öffis" genannt – von einer anderen Seite. Morgens um halb 8 in der U-Bahn – der Wagen ist brechend voll, der Geruch beim Einsteigen manchmal ätzend und gewartet hat man statt der versprochenen drei doch wieder 15 oder 20 Minuten. Strecken sind gesperrt, man muss sich mühsam zum Ersatzverkehr durchkämpfen. Busse kommen lange Zeit gar nicht, und dann auf einmal stehen da zwei oder drei der gleichen Linie. Die S-Bahn klappert und ächzt über den Ring – fällt etwas Schnee, ist es ganz aus. Und oft genug wird der Fahrgast „um Verständnis gebeten", weil eine Signalanlage ausgefallen ist, eine Betriebsstörung vorliegt oder ein Schwan auf den Gleisen steht. Kurzzüge, Streckenstilllegungen, endlose Wartezeiten – warum hat man noch mal das Auto abgeschafft?
Morgens in der U-Bahn: ätzend
Die BVG ist nicht zu beneiden. Mit jährlich mehr als einer Milliarde Fahrgästen ist sie der größte kommunale Verkehrsbetrieb in Deutschland. Aber auf den Gleisen sind zum Teil noch U-Bahn-Wagen unterwegs, die aus dem Jahre 1979 stammen. Im Schnitt sind sie 30 Jahre alt. Bis zu fünf Prozent der 1.244 BVG-Waggons müssen morgens aus dem Verkehr gezogen werden, weil sie über Nacht so mit Graffitis besprüht wurden, dass sie nicht mehr fahren können. Die Entfernung der Farbe kostet insgesamt rund zehn Millionen Euro pro Jahr. Bei den Straßenbahnen fehlen Fahrer, weil zu viele abgewandert sind – die Bezahlung (1.600 Euro netto) ist ihnen zu schlecht. Busfahrer leiden unter Stress, weil sie regelmäßig auf überfüllten Straßen im Stau stehen und sich anschließend von schlecht gelaunten Passagieren beschimpfen lassen müssen, weil sie zu spät kommen.
Jetzt hat der rot-rot-grüne Senat beschlossen, in den nächsten 15 Jahren rund 28 Milliarden Euro für den Ausbau und die Modernisierung des öffentlichen Personennahverkehrs ÖPNV auszugeben. Das wäre eine Verdoppelung der bisherigen Investitionen. Die Pläne reichen bis ins Jahr 2035.
Der Entwurf für den ÖPNV sieht den Ausbau des Straßenbahnnetzes um voraussichtlich 85 Kilometer vor. Bis 2035 sollen bis zu 477 Trams im Einsatz sein – das wären 40 Prozent mehr als heute. Die Busflotte soll bis 2030 komplett elektrisch fahren. Auf den wichtigsten U-Bahnstrecken plant die Verkehrsverwaltung eine Verkürzung des Takts auf etwa drei Minuten. Die überalterte U-Bahnflotte wird bis 2035 runderneuert und um ein Drittel auf 1.650 Waggons erweitert. Und die Verlängerung von U-Bahnstrecken zum künftigen Wirtschafts- und Forschungszentrum am City-Flughafen Tegel (U6), zum Flughafen BER (U7) und ins Märkische Viertel (U8) wird zurzeit in Machbarkeitsstudien erkundet.
Auch die S-Bahn, die ja nicht zur BVG selbst gehört, bekommt im Rahmen der ÖPNV-Aufstockung ordentlich etwas ab: Für sie wird nun ein landeseigener Fahrzeugpool aufgebaut, der allein über drei Milliarden Euro kostet. Bis 2033 werden mindestens 600 neue S-Bahn-Wagen gekauft, die ersten sollen 2026 rollen. Speziell auf dem Berliner S-Bahn-Ring werden schon ab 2021 innerhalb von zwei Jahren neue S-Bahn-Züge in Dienst gestellt.
Schnelle Taktzeiten mit fahrerlosen U-Bahnen
Noch sind das nur Pläne oder Machbarkeitsstudien. Aber da sind die Berliner ja Leid gewohnt und rechnen schon fast damit, dass alles noch viel länger dauern wird als angekündigt. Und noch ist auch nicht klar, ob das neue Netz, sollte es einmal wirklich fertig sein, den Bedarf decken kann. Berlin hatte Ende der 1930er-Jahre ein öffentliches Nahverkehrsnetz, das auf die Bedürfnisse von gut vier Millionen Einwohnern ausgerichtet war – das ist lange vorbei. Nach den jüngsten Bevölkerungsprognosen wird Berlin in den kommenden zehn Jahren die Vier-Millionen-Marke knacken. Rechnet man die Touristen hinzu, die Berlin jährlich besuchen, ist der Schienenverkehr am Ende seiner Kapazitäten angelangt.
Die Investitionen in Netze und Fahrzeuge sind dabei das eine. Etwas anderes sind technologische Innovationen: Schnelle Taktzeiten brauchen fahrerlose Bahnen. Busse, die nur im Stau stehen, entlasten den Verkehr nicht – es braucht neue Formen der Verkehrsregulierung; Überlegungen gehen beispielsweise in Richtung von Fahrspuren, die von GPS-Anlagen gesteuert und bei Bedarf zugunsten der Öffis gesperrt werden.
Und bei alledem wird es entscheidend darauf ankommen, wie der öffentliche Nahverkehr angenommen wird. Die Neu-Berliner freuen sich noch über das wunderbare Nahverkehrssystem. Damit das so bleibt, darf sie die BVG nicht enttäuschen. Denn davon, dass die Menschen sich auf den ÖPNV verlassen können, hängt viel von der Zukunft der Städte ab.