Die Diskussion um die Bahn könne nur durch Kurskorrekturen der Bundesregierung gelöst werden, sagt Matthias Gastel. Er ist bahnpolitischer Sprecher der Grünen und Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages.
Herr Gastel, die Deutsche Bahn hat einen Maßnahmenkatalog vorgelegt, um sich selbst aus der Misere zu fahren. Reichen die Maßnahmen aus?
Ich muss sagen, das mit den Gesprächen zwischen Bundesregierung und DB-Vorstand ist ein ziemlich seltsames Vorgehen. Die Bundesregierung fordert von der Bahn Vorschläge mit Fristsetzung. Bis zum heutigen Tag hat die Regierung jedoch keinen eigenen Vorschlag vorgelegt, geschweige denn eine Kurskorrektur in der Verkehrspolitik zugunsten der Bahn eingeschlagen. Die Bahn ist im hundertprozentigen Eigentum des Bundes, daher kann der Bund sich nicht einfach hinstellen und sagen: „Seht zu, wie ihr besser werdet." Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen, die von der Bundesregierung geschaffen wurden, können weder die Deutsche Bahn noch andere Bahnunternehmen in Deutschland erfolgreich agieren. Die Wettbewerbsbedingungen gegenüber den anderen Anbietern – Auto, Flugzeug, Lkw – und gleichzeitig die Infrastruktur der Bahn sind so schlecht, dass es ohne deutliche Kurskorrekturen in der Politik nicht geht.
Aber was sagen Sie zum Maßnahmenkatalog?
Mit dem bin ich nicht zufrieden. Es handelt sich dabei um alte Vorschläge der Deutschen Bahn, die wieder aufgewärmt wurden. Zum Beispiel die Feststellung, dass sie mehr Personal braucht. Das ist keine Neuigkeit. Da musste die Bahn auch nicht erst durch den Druck der Regierung drauf gestoßen werden. Sie hat auch letztes Jahr schon viele Tausend Stellen zusätzlich besetzt und bereits verlauten lassen, dass sie dies auch in diesem Jahr machen wird. So zu tun, als wäre das etwas Neues, ist dreist.
Die Deutsche Bahn braucht aber dazu mehr Investitionen in Züge, Service, Personal. Eine bessere Infrastruktur und die Chancen der Digitalisierung brauchen alle Bahnunternehmen. Woher diese kommen sollen, ist bis jetzt (zum Redaktionsschluss) noch offen. Was hat denn am meisten gelitten in den vergangenen Jahrzehnten?
Es ist in den letzten 30 Jahren massiv Infrastruktur zurückgebaut worden, Weichen, Gleise, Güteranschlüsse. Jetzt stellt man fest, dass sich auf dieser geschrumpften Infrastruktur kein Bahnverkehr zuverlässig fahren lässt; das geforderte Wachstum lässt sich nicht realisieren. Und besonders die Knotenpunkte, etwa Frankfurt, Mannheim oder Köln, sind massive Engpässe. Diese Engpässe haben wir aber auch auf den Strecken und an den Grenzübergängen. Wir haben eine Schieneninfrastruktur, die heute teilweise lückenhafter ist als die vor dem Zweiten Weltkrieg. Dagegen wurden die Straßen ausgebaut, seit 1992 wurde das Netz um 40 Prozent in der Länge ausgeweitet, während im selben Zeitraum das Schienennetz um 20 Prozent geschrumpft ist. Und jetzt erwartet die Bundesregierung von der Deutschen Bahn Vorschläge, wie sie unter diesen Umständen besser, schneller, pünktlicher fahren möchte? Nicht die Bahn entscheidet über die Infrastruktur, sondern der Bund. Er ist für den Ausbau zuständig, die Bahn führt den Ausbau aus. Aber ohne konkrete politische Beschlüsse wird es keine Kurskorrektur geben.
Wie sieht denn der Kurs der Bundesregierung für Schiene und Straße aus? Was sagt Ihnen die Haushaltsplanung dazu?
Dort sieht man nur Stagnation bei der Schiene und massiven Mittelzuwachs beim Aus- und Neubau der Straße. Mittelfristig ergibt sich auch kein anderes Bild, sogar ein leichtes Schrumpfen bei den Mittelzuweisungen für die Schiene, weitere Aufwüchse bei der Straße. Eine Verkehrspolitik, die gescheitert ist: 2018 hatten wir das Jahr der Verkehrsstaus in Deutschland. Noch nie gab es so viele und so lange Staus auf Deutschlands Straßen. Der Verkehrssektor leistet seinen Beitrag zum Klimaschutz nicht. Die Treibhausemissionen steigen dort statt zu sinken. Die Bahn dagegen wird immer unpünktlicher. Der Zustand der Verkehrsinfrastruktur wird immer maroder. Und dann kommt die Bundesregierung daher und sagt, sie wolle ihre Verkehrspolitik fortsetzen. Stattdessen müsste sie das Ruder herumreißen, die Investitionen zugunsten der Schiene umleiten, die sprudelnden Lkw-Mautgewinne nicht nur für neue Straßen, sondern auch in Schienenwege investieren. Das sind immerhin jährlich acht Milliarden Euro. Die fließen derzeit nur in den Straßenbau. So wird es uns auch nicht gelingen, weitere Fahrverbote in den Städten zu verhindern.
Skizzieren Sie doch mal, wie Ihre Vorstellungen aussehen würden.
Investitionen für die Schiene müssen hochgefahren, die Investitionen für neue Straßen zurückgefahren werden. Natürlich wollen wir die Mittel für den Straßenunterhalt auf diesem Niveau halten. Damit das, was vorhanden ist, auch erhalten und saniert wird. Aber wir sehen nicht den Bedarf für einen massiven Straßenneubau, deswegen würden wir das Ruder herumreißen und in die Schiene investieren: Leistungsfähigkeit steigern, die Schienenknotenpunkte ausbauen, den Deutschlandtakt realisieren. Das heißt: Wir definieren Knotenbahnhöfe mit guten Umsteigemöglichkeiten und leistungsfähigen Bahnhöfen. Dort würden Fahrgäste, aus jeder Richtung kommend, mit nur kurzen Umsteigezeiten in jede Richtung wieder abfahren können. Das ist auch eine alte Idee von uns, die aber mittlerweile von allen Fraktionen im Bundestag, auch von der Deutschen Bahn und der Bundesregierung, unterstützt wird. Aber es ist kein einziger Cent im Haushalt dafür vorgesehen. Dann brauchen wir andere Wettbewerbsbedingungen.
Welche denn?
Wenn Sie beispielsweise nicht mit dem eigenen Wagen von Karlsruhe nach Paris wollen, haben Sie die Wahl zwischen Flieger oder Bahn. Wenn Sie mit der Bahn fahren, zahlen Sie 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Ihr Ticket. Beim Flugzeugticket zahlen sie null Prozent. Wie soll denn unter diesen Bedingungen die Bahn in Konkurrenz zu anderen Verkehrsmitteln bestehen? Nehmen Sie die Dieselsubventionen. Das sind viele Milliarden an Einnahmeausfällen, die der Bund jedes Jahr hinnimmt. Wir aber haben so viele Probleme mit dem Diesel, dass wir schnell zu alternativen Antrieben kommen müssen. Es ist immer die Rede von Technologieoffenheit seitens der Regierung, aber wenn man den Diesel geringer besteuert als den Benziner, ist das alles andere als technologische Offenheit. Ich könnte diese Liste noch fortsetzen.
Bitte, nur zu.
Für jeden Kilometer, den die Züge auf den Gleisen in Deutschland zurücklegen, bezahlt die Bahn eine Trassenmaut an die DB Netz AG; für jeden Halt im Bahnhof muss sie zahlen. Beides wird auf die Ticketpreise umgelegt. Viele Lkw dagegen sind immer noch mautfrei, also diejenigen zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen. Für diejenigen ab 7,5 Tonnen ist noch längst nicht jede Straße bemautet. Warum also muss die Bahn für das gesamte Netz zahlen, wenn nur ein Teil der Lkw für einen Teil des Straßennetzes Maut zahlt? Wir wollen, dass die Bahn besser wird, attraktiver wird, weil sie Chancen bietet, die kein anderes Verkehrsmittel bieten kann – hinsichtlich Umweltschutz oder Service. Wer während der Fahrt dösen will, kann dösen; wer arbeiten will, kann arbeiten. Wenn die Bahn besser organisiert wäre, höhere Leistungsfähigkeit aufweisen würde, wäre sie das Verkehrsmittel der ersten Wahl.
Gibt es denn Beispiele rund um Deutschland, wo die Bahn einen besseren Ruf hat?
Ja, in der Schweiz und in Österreich. Dort ist die Infrastruktur erheblich besser ausgestattet. Beide Länder investieren pro Jahr und Kopf viel mehr in ihr Schienennetz.
Nun ist die Bahn ein Langstrecken-Verkehrsmittel. Welche Alternativen sehen Sie denn für den alltäglichen Weg zur Arbeit oder zum Supermarkt?
Auch das Fahrradwegesystem und Wege für die Fußgänger müssen besser ausgebaut werden. Dazu gehört, dass endlich sogenannte Elektro-Kleinstfahrzeuge in Deutschland zugelassen werden. Also Elektro-Tretroller, die man auch zusammenklappen und im Bus oder in der Bahn mitnehmen kann. So können wir beispielsweise Alternativangebote für Kurzstrecken bis fünf Kilometer aufzeigen. Vor allem in den Städten. Städte mit weniger Autoverkehr gestalten sich lebenswerter: weniger Park- und Autoverkehrsflächen bedeuten weniger Lärm. Wir wollen aber nicht auf Autos verzichten. Unser Ziel ist es, Mobilität mit deutlich weniger Autos zu schaffen und die Autos, die noch gebraucht werden, mit anderen Antrieben auszustatten. Sprich, nicht weniger Mobilität, sondern andere Mobilität. Ganz vorne ist da das batterieelektrische Auto, weil es das größte Angebot gibt und weil eine Lade-Infrastruktur in Deutschland verhältnismäßig einfach auszubauen ist. Auch das Reichweitenproblem ist hier nicht das zentrale Thema. Im Durchschnitt fährt der Deutsche nur 40 Kilometer mit dem Auto pro Tag.