Der ÖPNV an der Saar steckt in der Krise: Zu wenige Busfahrer, Notfahrpläne, Preiserhöhungen. Die Nachbarländer versuchen es mit günstigen Tarifen, Tram-Alternativen und komplett kostenlosem Nahverkehr.
Weniger Leistung bieten, aber höhere Preise verlangen? Was in anderen Bereichen undenkbar ist, geht im ÖPNV an der Saar. Inmitten eines viermonatigen Notfahrplans, mit dem die Saarbahn unter großen Mühen das Chaos für ihre Kunden einigermaßen zu bändigen versuchte, erhöhte der Verkehrsverbund SaarVV zum Jahresbeginn die Preise um rund 2,3 Prozent. Dass man die Schraube längst überdreht hat, ist an den Reaktionen und den immer stärker werdenden Diskussionen um einen funktionierenden Nahverkehr im Saarland zu erkennen – schließlich erstickt die Region förmlich im Autoverkehr.
Anderswo in der Grenzregion hat man diese Diskussionen schon vor längerer Zeit geführt und die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Luxemburg baut eine Tram, fördert massiv den Fahrradverkehr und schränkt den Zugang für Autos immer stärker ein. In Nancy kostet ein Kinderticket gerade einmal 29 Cent pro Fahrt. In Saarbrücken: zwei Euro. Wer in Straßburg sein Auto in einem Parkhaus abstellt und mit der Straßenbahn in die Innenstadt fährt, bezahlt 4,10 Euro – für den Parkplatz und die Tramfahrt mit bis zu sieben Personen. In Saarbrücken schlicht und ergreifend undenkbar.
Beim wichtigsten ÖPNV-Akteur an der Saar scheint sich eher Galgenhumor breitzumachen. In Saarbrücken gebe es ja eigentlich keine richtigen Staus, man komme mit dem Auto in kürzester Zeit von A nach B, führte der Geschäftsführer der Stadtwerke und der Saarbahn, Peter Edlinger, gerade erst aus. Da trifft er zwar einen wunden Punkt – für viele Beobachter hat sich Saarbrücken dem Auto quasi ausgeliefert –, damit lässt sich aber auch wunderbar begründen, warum man eigentlich keine Anstalten macht, über diejenigen, die auf Bus und Bahn angewiesen sind, hinaus neue Kunden zu gewinnen. Auf die Nachfrage, wie man eine zentrale Rolle im Aufbau eines zukunftssicheren ÖPNV spielen wolle, verweist die Saarbrücker Gesellschaft „wie bisher auf die drei Bereiche ihrer Qualitätsoffensive: Service – Sicherheit – Sauberkeit". Neue Ticketformate wie etwa ein Kulturticket für die Großwabe Saarbrücken werden angekündigt, man wolle die Fahrkartenkontrollen verstärken und das Mitfahren von Sicherheitskräften in Bus und Bahn weiter ausbauen. Zukunftsvisionen? Fehlanzeige.
Konfrontiert mit der von den Grünen im Regionalverband vorgebrachten Feststellung der Bundesregierung, dass die Fahrgastzahlen an den Saarbahn-Haltepunkten entlang der oberen Saar in den Jahren 2004 bis 2017 massiv eingebrochen sind, reagiert man bei der Saarbahn mit dem Vorwurf der Polemik: Allein schon der Begriff „Saarbahn-Haltepunkte" sei „irreführend". Vielmehr handele es sich um Bahnhöfe und Gleise der Deutschen Bahn, die die Saarbahn nutze und wofür sie Stationsentgelte zahle. Den Kunden helfen solche Haarspaltereien wenig weiter. Sie sind von einem komplizierten Wabensystem genervt, das viele Verbindungen verteuert, von der schwierigen Preisermittlung im Internet ganz zu schweigen.
Überhaupt: Moderne, kontaktlose Ticketing-Lösungen, wie sie in anderen Städten und Regionen die Voraussetzung für attraktive Angebote bilden, sind hierzulande unbekannt. Man hat einen altbewährten Fahrschein auf Papier zu erwerben. Wer dann nach zwei oder drei Wochen merkt, dass er mit einer Monatskarte besser gefahren wäre, hat leider Pech gehabt. Und wenn der Filius am zweiten Tag das teure Monatsticket verschlampt, braucht er halt ein neues. Zum alten Preis, versteht sich.
Nancy: Günstige Tarife, aber technisch nicht ausgereift
In Nancy kostet ein Einzelticket weniger als einen Euro, dazu wird das Ganze gedeckelt: Sobald 33,95 Euro erreicht sind, fährt man für den Rest des Monats kostenlos, bei Jugendlichen ist der „Plafond" bereits bei 9,70 Euro erreicht. Trotz dieser sehr günstigen Preise ist der 2001 in Nancy eingeführte Duo-Trolleybus leider alles andere als ein Erfolg: Die Kapazitäten der Wagen sind bescheiden, die Geschwindigkeit im Stadtgebiet teils auf Fußgängerniveau, und das niedrige Gewicht führt zu Sicherheitsproblemen. Nancy hat eines der langsamsten und kostenintensivsten Transportsysteme Frankreichs, die Benutzerzahlen sind rückläufig. Immer stärker drängt sich hier die Frage auf, wie lange die Stadt dieses System in dieser Form noch weiterführen kann.
Metz denkt groß
Nicht gekleckert sondern geklotzt hat man in Metz. In den letzten Jahrzehnten litt Metz immer stärker unter den enormen Pendlerströmen. Zur Abhilfe entschied man sich für das Busway-System „Mettis", zwei Linien mit Dieselhybridbussen, die aussehen wie eine Straßenbahn und in eigenen Betontrassen rollen. Rund 200 Millionen Euro wurden in dieses ÖPNV-Projekt investiert, das zu den größten Frankreichs zählt und von Beginn an auf hohe Unterstützung durch die Bürger zählen konnte. Wie Nancy lockt auch Metz mit sehr günstigen Tarifen: Erwachsene können für 1,25 Euro fahren, Monatsabonnements für Kinder, Jugendliche und junge Leute kosten 25,50 Euro – das heißt, in Metz ist man im Vergleich zum Saarland für die Hälfte des Geldes unterwegs. Knapp fünf Jahre nach Eröffnung kann Mettis als Erfolg betrachtet werden: Die Nutzerzahlen sind auf Kurs. Nach zehn Jahren will man bei 35.000 Passagieren angelangt sein, dieser Wert wird schon jetzt fast erreicht. Mit dem Busway-System ist man in Metz sehr zufrieden, es bietet die Vorteile einer Tram zu deutlich niedrigeren Kosten. Zudem hat es das ÖPNV-Projekt im Zusammenspiel mit anderen Leuchtturmprojekten wie dem Centre Pompidou-Metz geschafft, Metz neue Dynamik und Lebensqualität einzuhauchen und der Stadt ein positiveres Image zu verleihen. Kein Wunder, dass die dritte Linie bereits in Planung ist.
Der Maßstab: Straßburg
Ebenfalls stolz auf ihren ÖPNV darf mit Fug und Recht die größte Stadt der Region sein, Straßburg. Seit 1994 hat man hier ein inzwischen fast 50 Kilometer langes Netz angelegt, das einen entscheidenden Beitrag zur Neugestaltung der Stadt leistete: Der Durchgangsverkehr wurde aus der Innenstadt weitgehend verbannt, auch die Zahl der Parkplätze massiv reduziert. Erschlossen wird die Altstadt nun vor allem durch die ebenso schnelle wie futuristische Tram, die als eine der schönsten weltweit gilt und durch architektonisch elegante Stationen perfekt ergänzt wird. Hinzu kommt: Die Tram ist kaum zu hören. Rasengleise sorgen für geringe Geräuschentwicklung und eine ästhetische Einbindung ins Stadtbild. Die Buslinien dienen in erster Linie als Zubringerlinien zur Straßenbahn. Ergebnis: Der Stadtkern hat von der Tram enorm profitiert. Die ursprünglichen Prognosen wurden weit übertroffen, sodass der Betrieb trotz sehr günstiger Tickets praktisch kostendeckend ist – und mittlerweile über die Grenze nach Deutschland bis vor das Rathaus von Kehl fährt.
Luxemburg setzt auf Multimodalität
So weit wie Straßburg ist Luxemburg noch nicht. Dort ertrinkt man angesichts von 185.000 Pendlern weiterhin im Verkehr. Aber man hat längst erkannt, dass es so nicht weitergehen kann − und steuert nun massiv um. 2018 wurde neben einem neuen Bahnhof und einem ersten Abschnitt der neuen Straßenbahn sogar eine Standseilbahn eingeweiht. Die Straßenbahn wird von Nordost bis in den Süden der Stadt führen, jede Menge „Park&Ride"-Plätze bieten und das Rückgrat des neuen Verkehrskonzepts bilden. Multimodalität ist das Gebot der Stunde: Bereits die erste Linie verknüpft die verschiedenen Mobilitätsformen – per pedes, Rad, Bus, Auto und sogar Flugzeug. Erleichtert wird dies durch einen einheitlichen Preis für sämtliche Verkehrsmittel. Mit einem Ticket lässt sich alles nutzen, die Tageskarte für das ganze Land kostet vier Euro. Allerdings ist das neue Konzept noch nicht frei von Kinderkrankheiten, wie gerade Buspendler aus dem Saarland erfahren mussten.
Wie in Straßburg soll auch hier das neue Verkehrskonzept die Grundlage für eine urbane Umgestaltung bilden, um mehr Nachhaltigkeit und vor allem eine höhere Lebensqualität zu bieten. In Luxemburg weiß man, dass die Lebensqualität inzwischen zum entscheidenden Faktor für wirtschaftliche Prosperität geworden ist. Und François Bausch, Minister für Mobilität und öffentliche Arbeiten, ist sich sicher: „Mit einer falschen Verkehrspolitik kann man die Zukunft komplett verspielen." (Interview S. 40)
Autoland Saarland
Und das Saarland? Hier wäre man offensichtlich schon zufrieden, wenn sich das bescheidene Niveau nicht weiter verschlechtern würde. Die Grünen haben einen kurzfristigen Zehn-Punkte-Plan präsentiert, der statt Wabensystem einen Luftlinientarif vorschlägt, dazu die längst überfällige Einführung von Handy- und Onlinetickets, eine Mobilitätsgarantie, mehr Barrierefreiheit und vor allem die Mitnahme von Fahrrädern oder sicheres Parken an Bahnhöfen. Die Regierung steht mit ihrem Verkehrsentwicklungsplan kurz vor dem Abschluss. Ob das der große Wurf wird, wenn Verkehrsministerin Anke Rehlinger schon vorab klarstellt, dass die „Kosten-Nutzen-Betrachtung eine entscheidende Rolle" spielt? Immerhin hat Rehlinger die Idee eines Saarland-Abo-Tickets präsentiert, mit dem Nutzer für 39 Euro im Monat durch das ganze Land fahren könnten – aber erst nach neun Uhr.
Die Nachbarländer denken größer. Ein Weg für das Saarland kann sein, in der Kosten-Nutzen-Rechnung die Gesamtkosten zu betrachten, die die hierzulande auf die Spitze getriebene Bevorzugung des Individualverkehrs mit sich bringt. Wer sieht, wie unsere Nachbarn Akzente setzen, kann nur hoffen, dass eine autofixierte Gesellschaft, in der der Bundesverkehrsminister glaubt, eine Forderung nach Tempo 130 auf den Autobahnen sei „gegen den Menschenverstand", erkennt, was moderne Mobilität wirklich heißen kann.