Der Eishockey-Bundesligist spielt eine ganz schwache Saison. Der angeschlagene Interimstrainer knöpft sich seine Führungsspieler vor, doch die Talfahrt geht weiter.
Die Geschichte von Max und Moritz hat kein Happy End. Ihr siebter Streich, bei dem sie Löcher in Getreidesäcke schneiden, führt zum Tod der beiden Lausbuben. Dass ihr Club dem Tode geweiht ist, befürchten die Fans der Eisbären Berlin zwar nicht. Aber die aktuell tiefe Krise veranlasste Fans zumindest, ein Plakat mit einem leicht abgewandelten Zitat aus Wilhelm Tells Bilderbuchgeschichte zu präsentieren: „Oh weh, oh weh, wenn ich auf das Ende seh!"
Zu sehen war das Spruchband beim Heimspiel gegen die Adler Mannheim, das der Rekordmeister der Deutschen Eishockey Liga (DEL) klar mit 0:7 verlor. Es war nicht nur die fünfte Niederlage in Folge für die Eisbären, es war eine Vorführung. Jedem, der die schwachen Saisonleistungen vor allem mit fehlendem Glück und den vielen Verletzungssorgen zu erklären versucht hatte, wurde auf brutale Weise die Augen geöffnet.
Seit dem „absoluten Tiefpunkt", wie Stefan Ustorf, früherer Kapitän und heutiger Leiter der Spielerentwicklung, das Spiel gegen Mannheim nannte, läuft es nicht viel besser. Am Sonntag kassierten die Eisbären durch das enttäuschende 0:1 gegen die Augsburger Panther ihre dritte Heimpleite in Folge. Selbst Platz zehn, der die Qualifikation für die Pre-Play-offs bedeutet, ist in dieser Form in Gefahr. „Jeder einzelne muss sich selbst hinterfragen", sagte Ustorf.
Das gilt vor allem für Stéphane Richer. Der Sportdirektor ist als Interimstrainer eingesprungen, als der Club den glücklosen Clément Jodoin entlassen hat. Nach anderthalb Monaten lässt sich sagen: Diese Personalentscheidung war ein Fehler. Die Berliner agieren noch verunsicherter und planloser als noch unter Jodoin, der mittlerweile bei Meister Red Bull München als Co-Trainer angeheuert hat und vom Titel träumen darf. Seinem Ex-Club droht währenddessen das frühe Saisonaus.
„Wenn man keine Tore schießt, kann man nicht gewinnen", urteilte Richer nach dem Null-Tore-Auftritt seines Teams gegen Augsburg. Nach der Last-Minute-Niederlage bei den Grizzlys Wolfsburg (2:3) hatte der Kanadier mit reichlich Sarkasmus reagiert: „Es ist ein bisschen das Bild unserer Saison: Wir finden einen Weg, Punkte zu verschenken und das Spiel zu verlieren."
Richter schwer unter Druck
Vor allem spielerisch bleibt das Team, das gemessen an den Personalkosten einen Spitzenplatz in der DEL belegen müsste, fast alles schuldig. Einzig Torhüter Kevin Poulin (28) präsentiert sich Woche für Woche in Normalform, doch ob der Kanadier über die Saison hinaus in Berlin bleibt, ist offen. „Es wird insgesamt auf die Angebote ankommen", sagte Poulin vieldeutig. Die schwachen Leistungen seiner Vorderleute erhöhen sicher nicht die Chance auf einen Verbleib des Publikumslieblings.
Normalerweise würde in so einer Situation der Trainer wackeln, der Sportdirektor könnte dann für eine Entlassung sorgen. Allerdings werden bei den Eisbären beide Positionen in Personalunion von Richer ausgeübt. Wahrscheinlich würde der Sportdirektor Richer den Trainer Richer tatsächlich lieber heute als morgen von seinen Aufgaben entbinden – wenn er denn einen Mann in der Hinterhand hätte, der es mit großer Wahrscheinlichkeit besser machen würde.
Richer hat in den vergangenen Wochen vor allem versucht, taktische Defizite zu beheben. Der Ertrag? Sehr überschaubar. Viele Fans haben die Geduld verloren. „Schmeißt den Trainer doch mal raus!", hallte es nach dem Spiel gegen Mannheim in der Arena.
Richer ist die negative Stimmung natürlich nicht verborgen geblieben. „Ich bin ein Kämpfer, ich habe mein ganzes Leben lang gekämpft, und das erwarte ich auch von der Mannschaft", sagte der frühere Abwehrspieler – und rückte erstmals ein Stück von seinen Spielern ab. Er sei „sehr enttäuscht und sauer", vor allem mit den jüngsten Auftritten seiner Führungsspieler war Richer alles andere als einverstanden. Und das verkündete er auch öffentlich: „Von den alten Spielern habe ich mehr erwartet. Ich erwarte von ihnen, dass sie den jungen Spielern den Weg zeigen, aber sie machen die Fehler."
Einer dieser Spieler ist Frank Hördler. Der 34-Jährige, der die Glanzzeit der Eisbären mit sieben Meisterschaften in neun Jahren maßgeblich mitgeprägt hat, zeigt sich einsichtig. „Wir müssen schauen, dass wir als erfahrene Spieler mehr in die Bresche springen", sagte Hördler. Auf dem Eis und vor allem in der Kabine, in der es zuletzt mächtig gekracht haben soll. Doch das findet Ustorf normal und sogar richtig: „Irgendjemand muss anfangen, Verantwortung zu übernehmen. Es muss ein Zeichen kommen aus dieser Kabine heraus."
Dass die Personalsorgen die Situation mit verursacht haben, ist unstrittig. Neun Spieler fehlten zwischenzeitlich verletzt. Der erst 17-jährige Nino Kinder bekam eine Spiellizenz für die Profimannschaft. Gegen Wolfsburg überzeugten die jungen Abwehrspieler Maximilian Adams (20), der ein Tor erzielte, und Eric Mik (18). „Es war eine gute Leistung unserer jungen Spieler", lobte Richer hinterher: „Wenn ich sehe, wie Eric Mik in der Verteidigung gespielt hat: Er ist 18 Jahre alt und hat das komplette Spiel sehr solide gespielt."
Entscheider sitzen in den USA
Den Unterschied ausmachen können die Talente aber natürlich noch nicht. Ein Ausländer mit Qualität gibt der Markt offenbar nicht her. „Und selbst wenn wir noch einen Ausländer holen, wird der uns zwar weiterhelfen", sagt Richer, „aber es wäre eben nur ein einziger Spieler." Mit diesem Satz verrät der Trainer und Sportdirektor viel über die missglückte Personalplanung, nicht nur in dieser Saison. Es ist nicht damit getan, an ein oder zwei Stellschrauben im Kader zu drehen. Der Erfolg der vergangenen Saison (Vizemeister) hat die Probleme nur überdeckt. Bei den Eisbären steht im Sommer ein größerer Umbruch bevor.
Das Problem ist nur: Die Entscheider sitzen nicht in Berlin, sondern in den USA. Für die Anschutz Entertainment Group zieht der frühere NHL-Superstar Luc Robitaille bei den Eisbären und bei NHL-Klub Los Angeles Kings im Hintergrund die Fäden. Bei den Eisbären ist Robitaille der Aufsichtsratschef, bei den Kings Präsident. Im vergangenen Jahr schien die Kooperation noch Früchte zu tragen, als zum Beispiel Sean Backman vom AHL-Team der Kings nach Berlin wechselte und eine echte Verstärkung war. In dieser Spielzeit enttäuscht Backman aber wie viele andere auch.
In der Fankurve der Eisbären murren immer mehr Anhänger über die „Kalifornisierung", wie es der „Tagesspiegel" jüngst bezeichnete. Sie wissen zudem nicht, wie der Eigner eigentlich zum Klub steht, ob er auch langfristig noch Interesse hat, Geld in den Verein zu pumpen. Eines ist sicher: Spielen die Eisbären weiter so erfolglos, werden die Chancen sicher nicht größer.