Der Rücktritt von Olympiasiegerin Kira Walkenhorst hat bei den deutschen Beachvolleyballerinnen zahlreiche Personalrochaden ausgelöst. Mit einem Schlag rückte dabei Starspielerin Margareta Kozuch in den Fokus, doch das Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel brachte nicht nur Gewinner hervor.
Der Winter gehört im Beachvolleyball nicht zu den schlagzeilenträchtigen Jahreszeiten. In der Abgeschiedenheit von Trainingslagern in südlichen, weil sonnigeren Gefilden baggern sich die Asse des spektakulären Spiels in aller Regel über die Strände besonders der Balearen-Inseln und bringen sich für den Saisonstart im Frühjahr in Form. Training, Training, Training – aber keine Turniere und auch keine Medientermine. Kurz: tote Hose am Strand.
Davon aber konnte in den vergangenen Wochen im Lager der deutschen Beachvolleyballerinen keine Rede sein. Der Rücktritt von Olympiasiegerin und Weltmeisterin Kira Walkenhorst wegen zu großer Probleme mit den Folgen zahlreicher Verletzungen löste kurz nach Jahresbeginn in der Szene geradezu ein Beben aus. Die unfreiwillige Auflösung der „Golden Girls"-Kombination mit Deutschlands „Miss Beachvolleyball" Laura Ludwig wirbelte die ursprünglichen Personalplanungen der Verbandstrainer wenige Monate vor der im Sommer stattfindenden Heim-WM in Hamburg und nicht zuletzt auch für die anstehende Qualifikation zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio urplötzlich noch einmal gehörig durcheinander.
Zur großen Gewinnerin der Rochaden quer durch alle Nationalteams avancierte der deutsche Hallen-Star Margareta Kozuch: Nach längerer Erprobungsphase im „Sandkasten" spielt die erfolgreichste deutsche Volleyballerin künftig zusammen mit der ebenfalls 32 Jahre alten Ludwig – wie schon ursprünglich angestrebt – endlich auch am Strand die erste Geige. „Ich sehe die Zusammenarbeit mit diesem erfahrenen Team als tolle Option für mich", kommentierte die 336-malige Hallen-Nationalspielerin ihren Aufstieg ins zumindest formal als Nummer eins geltende Duo mit Ludwig. Ihren eigenen Ansprüchen und auch den Ambitionen ihrer erfolgsverwöhnten Mitspielerin Ludwig entsprechend gab die aus Polen stammende Hamburgerin Kozuch auch gleich hohe Ziele aus: „Wir sind uns einig: Vollgas in Richtung WM 2019 und Olympia 2020."
Drunter geht es auch kaum. Denn die Messlatte aus der Ära des Traumduos Ludwig/Walkenhorst liegt ausgesprochen hoch: Das Paar gewann in seinen sechs gemeinsamen Jahren außer Olympia-Gold 2016 in Rio de Janeiro auch den WM-Titel im darauffolgenden Jahr in Wien, triumphierte in den beiden Jahren vor Brasilien zweimal in Folge auch bei den Europameisterschaften und feierte auf der World Tour zahlreiche Turniersiege. Folgerichtig standen die „Golden Girls" vorübergehend auch auf Platz eins der Weltrangliste. Den enormen Popularitätsschub der beiden Stars und auch ihrer Sportart durch den Olympiasieg an der Copacabana dokumentierte im gleichen Jahr die Wahl des Duos zu „Deutschlands Mannschaft des Jahres".
„Warnsignale in den Hintergrund gedrängt"
Wären die Pläne von Blockspielerin Walkenhorst und Abwehrkünstlerin Ludwig aufgegangen, hätte die Erfolgsserie schon bald ihre Fortsetzung gefunden. Doch Walkenhorst konnte sich nach schon länger bestehenden gesundheitlichen Problemen wie einem Kreuzbandriss, einer Erkrankung am Pfeifferschen Drüsenfieber und einem anschließenden Meniskusriss nicht noch einmal zurückkämpfen. So sehr die 28-Jährige in den vergangenen Jahren Schmerzen und Widrigkeiten ertragen konnte, so sehr forderte ihr Körper nunmehr endgültig seinen Tribut für die jahrelange Schinderei.
„Vielleicht habe ich die Warnsignale in den letzten Jahren zu sehr in den Hintergrund gedrängt, jedenfalls erlaubt mir mein Körper keinen Leistungssport mehr", teilte Walkenhorst Anfang Januar zur Bestürzung ihrer durchaus beachtlichen Schar von Fans mit. Welche Qualen die Essenerin für das im mittlerweile angebrochenen Jahr angestrebte Comeback mit Ludwig nach deren Babypause auszuhalten bereit gewesen war, ließen ihre weiteren Ausführungen über ihre beinahe telefonbuchdicke Patientenakte erahnen: „Ich konnte in den letzten Wochen nie länger als 30 Minuten trainieren. Entweder ist mir unter der Belastung die Rippe rausgesprungen, oder die Hüfte und die Schulter haben dichtgemacht. Trotz aller Behandlungen hat sich der Zustand nicht verbessert." Punkt. Aus. Ende.
Intern hatte Walkenhorst ihrer bisherigen Partnerin schon in der Adventszeit die Kapitulation vor ihrem Körper signalisiert. Die extrovertierte Hamburgerin wählte schließlich die kaum minder öffentlichkeitsbewusste Kozuch als vielversprechendste Partnerin aus. Schon unter dem Weihnachtsbaum stimmte sich das neue Topduo ab, absolvierte mittlerweile auch schon ein gemeinsames Trainingslager auf Teneriffa und peilt nun für April – nach einem improvisierten Start 2017 in Kroatien – sein gemeinsames World-Tour-Debüt als „echtes Team" beim Turnier im chinesischen Xianmen an.
Die ersten gegenseitigen Eindrücke waren jedenfalls positiv. „Maggie", sagte Ludwig schon über ihre neue Mitspielerin, „bringt alles mit, was man braucht. Sie ist unheimlich athletisch, hat eine wahnsinnige Ballkontrolle und ist ein echter Fighter." Kozuch, die Deutschlands Hallenteam zweimal bis ins EM-Finale führte, fünfmal in Folge zur „Volleyballerin des Jahres" gewählt wurde und in ihrer langen Laufbahn auch für Vereine in China, Polen, Russland und Italien geschmettert hat, war gleichfalls von Anfang an sehr angetan von der neuen Arbeitsgemeinschaft am Netz: „Schon im ersten Training hat es geklickt. Ich habe ein unheimlich gutes Gefühl und den Eindruck, dass etwas Tolles entstehen kann."
Beiden ist bewusst, Teil eines spannenden Projektes zu sein. Spannend, weil sich trotz aller Zuversicht erst noch zeigen wird, ob und wie Kozuch und
Ludwig miteinander agieren und nicht zuletzt auch harmonieren. Denn war zu Zeiten mit Walkenhorst das Rampenlicht weitgehend für Ludwig allein reserviert – aufgrund des zurückhaltenden Wesens ihrer Partnerin –, muss sich die deutsche Topspielerin die durchaus geliebte Bühne nun teilen. Ludwig geht das Experiment optimistisch an. „Es ist eine andere, eine neue Herausforderung, und die bringt einen gewissen Reiz, eine Spannung mit sich", sagte Ludwig rund sieben Monate nach der Geburt von Söhnchen Teo zuletzt in einem Zeitungsinterview über ihre Erwartungen an das neue Vorzeige-Paar. Einen Misserfolg hält die Norddeutsche für höchst unwahrscheinlich: „Wir verstehen uns gut, kennen uns, seit wir 14 Jahre alt waren, haben also eine gemeinsame Basis. Das macht es leichter. Es wird funktionieren, wir kriegen das hin. Da bin ich mir sicher. Ich spüre wieder diesen Killerinstinkt."
„Ich spüre wieder diesen Killerinstinkt"
Kozuchs Wechsel zu Ludwig löste unterdessen eine umfassende Umbesetzung in den anderen deutschen Teams aus. Ihre bisherige Partnerin Karla Borger baggert künftig wie bereits früher einmal mit Julia Sude zusammen. Deren angestammte Mitspielerin Chantal Laboureur hingegen stand Ende Januar noch alleine da. Laboureur ist damit bislang die große Verliererin von Walkenhorsts Rücktritt und sorgt sich um ihre Aussichten bei Olympia. „Von einer Sekunde auf die andere ist mein Lebenstraum zerplatzt", sagte die 29-Jährige kürzlich in einem Interview über ihre neue Situation und hadert mit Sudes Wechselentscheidung: „Das war für mich ein Schock, als ob man kurz vor seiner Hochzeit steht, einen Tag vorher sitzengelassen wird und der Partner eine Neue hat. Damit hätte ich nicht gerechnet."
Statt wie Kozuch, Ludwig und Co. im warmen Trainingslager an der Feinabstimmung zu feilen, muss die ehemalige U19-Weltmeisterin erst einmal überhaupt eine Mitspielerin finden. Der Markt infrage kommender Kandidatinnen ist überschaubar, womöglich muss die angehende Ärztin sogar erst noch eine Hallenspezialistin von einer Umschulung auf Strand überzeugen. Ihr großes Ziel Tokio will Laboureur auf jeden Fall nicht vorschnell ad acta legen: „So schnell gebe ich nicht auf." Es bleibt also spannend im deutschen Beachvolleyball – selbst im Winter.