Wenn’s beim Einkauf mal wieder ein bisschen länger dauert
Der Supermarkt ist der Ort, an dem Cleverness und Charakter immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Einfach die Kassenzone ansteuern und sich in einer Schlange brav hinten anstellen, das ist anscheinend nur was für Unbedarfte wie uns.
Taffe Zeitgenossen zeigen uns, wie’s richtig geht. Da gibt es beispielsweise den „Springer". Er hat den absoluten Blick für die Schlangenlänge, erkennt sofort, an welcher Kasse es schneller vorangeht, und springt auf seiner Vorteilssuche mehrfach zwischen den Reihen hin und her. Er hat alle geöffnete Kassen im Blick, scheint aus langjähriger Erfahrung das Arbeitstempo jeder einzelnen Kassiererin zu kennen und kann sich durch geschicktes Wechseln manchmal einen Zeitgewinn von bis zu 46 Sekunden herausschinden. Wir als Laien können dem nur bewundernd zuschauen und unsere Füße vor dem Einkaufswagen des Springers in Sicherheit bringen. Diesem Experten gelingt es sogar, nach der Durchsage „Sie können auch an der Zwei auflegen" sprintartig mit dem vollbeladenen Einkaufswagen drei andere Warteschlangen zu durchstoßen, um dann als Erster an der neu geöffneten Kasse zu stehen.
Eher schmerzliche Erfahrungen haben wir mit dem „Drängler" gemacht. Er steht in der Schlange jedesmal direkt hinter uns und nimmt uns den Vorteil übel. Mehrfach rammt er seinen Einkaufswagen gegen unsere Achillessehne und wirft uns dann noch böse Blicke zu, weil wir ihn am Vorankommen hindern. Wir haben uns schon mal dabei ertappt, dass wir beim Bezahlen – nur um dem Drängler zu schaden – mehrfach absichtlich unsere Kreditkarten-Pin falsch eingaben, um den Bezahlvorgang zu verzögern. Wir sind wohl doch schlechte Menschen. Aber zumindest an der Kasse in bester Gesellschaft.
Zu den typischen „Schlangen-Menschen" zählt auch der „Kleinkunde", den es natürlich auch in weiblicher Form gibt: Er eilt charmant lächelnd und wagenlos auf der Überholspur an den Wartenden vorbei, reckt seine spärlichen Siebensachen in die Luft und lässt alle wissen: „Ich darf ja grad mal vor, weil ich hab’ nur drei Becher Sahne." Oft ist er so überrascht über den Erfolg seiner Dreistigkeit, dass er zum Leidwesen der Zurückgelassenen noch Zeit findet, fünf Minuten mit der Kassiererin über die Hektik des Alltagslebens und die Rücksichtslosigkeit seiner Zeitgenosssen zu plaudern.
Außerdem gibt es in der Kassenzone auch noch den „Strategen". Vor allem bei Hochbetrieb reiht er seinen leeren Einkaufswagen schon frühzeitig in der Warteschlange ein und geht dann erst seine Einkäufe erledigen. Nicht ohne andere Kunden zu bitten, sein – von ihm nach und nach befülltes – Wägelchen doch bitteschön immer ein Stückchen weiter mit nach vorne zu schieben. So gewinnt er glatt etwas Zeit für einen leckeren Espresso an der Kuchentheke.
Eine Variante davon ist das „Ehepaar". Während die Frau des Hauses die Einkäufe erledigt, steht der Göttergatte platzhaltend mit dem Einkaufswagen in der Schlange. Sollte er an die Reihe kommen, bevor seine Liebste die letzten Waren in den Wagen geworfen hat, lässt er gönnerhaft auch schon mal Nachfolgende vor. Vorsicht ist zudem geboten beim „Überholer", der einen im letzten Regalflur vor den Kassen im Laufschritt passieren will.
Zu erwähnen wäre dann noch der „Pfennigfuchser", der den von der Kassiererin geforderten Betrag möglichst centgenau begleichen will und etwa zehn Minuten lang im Portemonnaie kramt, um dann mit den Worten: „Ganz langt es doch nicht!" einen 50-Euroschein zu zücken.
Aus Platzgründen müssen wir leider auf die Vorstellung weiterer Typen verzichten. Nicht unerwähnt wollen wir aber lassen, dass manche Zeitgenossen beim Anstehen durchaus auch Anstand zeigen: Wenn uns in der Kassenzone eine dort schon günstig postierte, fast gleichaltrige 65-Jährige zuflötet: „Gehen Sie nur vor, junger Mann. Ich habe Zeit!", kann man den Supermarkt geschmeichelt und in der schönen Gewissheit verlassen, dass die Menschheit doch noch nicht verloren ist.