Der Honorarprofessor für Wissenschaftsgeschichte an der Technischen Universität in Berlin und Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Matteo Valleriani, beschäftigte sich in seiner Forschung jahrelang mit Galileo Galilei. Im Interview spricht er über die Errungenschaften des berühmten Astronomen und deren Auswirkungen bis in die heutige Zeit.
Herr Valleriani, welches waren die wichtigsten Erfindungen Galileis?
Wir sollten da ausdifferenzieren zwischen technologischen Erfindungen und theoretischen Errungenschaften. Das Berühmteste ist sicher das Teleskop. Er hat es zwar nicht erfunden, war aber in der Lage, aus diesem Instrument ein noch mächtigeres zu machen. Er hat verstanden, wie es auf der praktischen Ebene funktioniert, nicht auf der theoretischen. Dennoch war er in der Lage, das Teleskop so weit zu bringen, dass er etwas beobachten konnte. Das wichtigste ist, dass er die Idee hatte, es als Instrument für die Astronomie zu verwenden.
Das ist möglicherweise noch wichtiger als das Instrument selbst, oder?
Ja, denn selbstverständlich war das nicht. Die ersten Anwendungen des Geräts waren eher militärischer Natur. Wer die Schiffe zuerst sieht, hat einen Vorteil auf See. Stattdessen im Himmel etwas zu beobachten – da musste man schon vermuten, etwas Bestimmtes entdecken zu können. Das war nicht selbstverständlich.
Was genau hat Galilei am Fernrohr verändert?
Er versuchte, die Linsen in zweierlei Art und Weise zu verbessern, damit das gesamte Instrument einen höheren Vergrößerungsgrad erreichen konnte. Auf einer Seite entwickelte er eine Baumethode der Linsen, um sie etwas mehr zu krümmen. Der andere Aspekt hatte eher mit der Qualität des Materials selbst zu tun. Wir denken ja immer, die beste Linse hat eine bestimmte Krümmung. Aber das Material war damals ein sehr schlechtes, nicht homogenes Glas. Typisch war auch, dass Luftkugeln im Glas eingeschlossen waren. Wie man es besser macht, wusste keiner. Galilei investierte mit seinen Kollegen viel Arbeit darin, bessere Linsen herzustellen. Dazu hatte er sogar eine Poliermaschine konzipiert, um das Verfahren zu verbessern. Technisch war das sehr versiert. Als wir in seinem Nachlass mehr als 4.000 Briefe gefunden hatten, entdeckten wir darin eine Einkaufsliste aus seiner Zeit in Padua. Er fuhr nach Venedig und kaufte alles ein, was er benötigte, um Fernrohre herzustellen. Unter anderem Bruchstücke von Spiegeln.
War Galilei also eher ein Handwerker als ein Astronom?
Viel mehr als das. Man sieht ihn als großen Astronomen, er war aber eine besondere Figur, die viele Rollen übernommen hat. Er war Mechaniker, Mathematiker, Physiker, Astronom und Musiker.
Musiker?
Er spielte die Laute. Sein Vater Galilei Vincenzo war ein bedeutender Musiktheoretiker der Renaissance. Angeblich war Galileo Galilei ein wunderbarer und gefragter Lautespieler. Seine Freunde schrieben ihm in Briefen, wie toll sein Spiel war. Er war außerdem ein Leser epischer Poeme, er genoss die Literatur.
Sie sagten eben, neben seiner technischen Weiterentwicklung des Fernrohrs war Galilei für theoretische Errungenschaften bekannt. Welche waren das?
Es sind zwei Wissensfelder, die zum damaligen Zeitpunkt noch viel stärker voneinander getrennt waren als heute. Im Grunde genommen ist das, was er tat, eine Forschung in der Bewegungs- und Festigkeitslehre.
Das müssen Sie erläutern.
Diese zwei Wissenschaften führte er in der Theorie im Jahr 1638 im letzten Buch seines Lebens ein. Im Grunde genommen kam Galilei an die erste newtonsche Formulierung des Fallgesetzes heran. Er arbeitete mit den drei Säulen der klassischen Mechanik, die Newton später im Rahmen der klassischen Mechanik theoretisch systematisierte. Es ist das Gesetz, aufgrund dessen man mathematisch formulieren kann, wie ein Objekt von oben nach unten fällt. Also: Welche Rolle die Beschleunigung hat, welche die Geschwindigkeit, welche die Zeit und welche der Abstand. Es war eines der heißen Themen dieser Zeit. Und Galilei formulierte das im letzten Teil seines letzten Buches – allerdings noch nicht in der Art und Weise, wie Newton es später formuliert hat. Ein paar theoretische Schwierigkeiten gab es schon noch. Dennoch kann man sagen, dass die Ursprünge des modernen Fallgesetzes in seinem Buch zu finden sind.
Wie hat er das entdeckt?
Diese Art von Forschung, die Bewegungslehre, war im Grunde genommen das erste Hauptprojekt Galileis überhaupt. Schon 1592 sehen wir den ersten großen Moment in dieser Forschung. Es war aber so, dass sich seine Forschungsagenda durch die Errungenschaften, die er durch die Verwendung des Teleskops erreichte, stark veränderte. Es folgte das Buch der Astronomie. Dann die Reaktion der Kirche.
Und deshalb gilt Galilei noch heute als wichtiger Astronom?
Ein besseres Marketing als die Kirche gibt es nicht, deshalb denken wir noch daran. Aber in Wirklichkeit ist es nicht so einfach. Denn durch Galilei ist eine der wichtigsten Debatten in 100 Jahren wissenschaftlicher Forschung aufgekommen: die Debatte über das Weltbild. Und das 90 Jahre, nachdem Kopernikus sein Buch herausgegeben hatte, in dem seine Idee des heliozentrischen Weltbilds zum ersten Mal präsentiert wird, dass die Erde nicht die Mitte des Kosmos ist, sondern ein Planet, der um die Sonne fliegt. Galilei setzte das Teleskop gezielt ein, um zu beweisen, dass es das richtige Weltbild ist. Die Kirche wollte das auf keinen Fall zulassen. Wenn man also über Jahrtausende glaubt, dass man in der Mitte des Universums lebt und dann einer sagt, nein, das alles orbitiert, dann kann das nur das Hauptthema sein. 1609 gab Galilei das ‚Sidereus Nuncius‘ heraus, in dem er die ersten beeindruckenden Resultate seiner teleskopischen Beobachtungen beschrieb. Mit seinem großen Dialog aus dem Jahr 1632, in dem er das kopernikanische mit dem geozen-trischen Weltbild verglich, kamen neue Themen für die Debatte über das kopernikanische System auf. Diese Dominanz der Debatte führte dazu, dass Galilei so präsent war. Und die Tatsache, dass die Kirche überallhin, wo sie konnte, Briefe und Hinweise schickte, um das Buch zu verbieten. All das führte dazu, dass es eine Art kulturelles Erbe Europas geworden ist, dass Galilei der Astronom ist, der etwas gewagt hat. Er wäre sonst wohl nie so erfolgreich gewesen.
Warum aber halten Sie seine theoretischen, mathematischen Forschungsarbeiten für bedeutender?
Weil er dort seinen Intellekt und seine Fähigkeiten viel mehr herausstellen konnte. In diesen Bereichen gab es wirklich wenige, die mithalten konnten. Im Gegensatz dazu konnten viele andere Astronomen, die auch kopernikanisch angehaucht waren, ihre Beobachtungen ebenso durchführen wie Galilei.
War er im Bereich der Bewegungs- und Festigungslehre konkurrenzlos?
Im Bereich der Bewegungslehre gab es auch andere, die daran geforscht haben. Er hatte auch mehrere Schüler, die damit groß geworden sind und nach seinem Tod weiterforschten und die Lehre verbesserten. In der Festigkeitslehre zeigte Galilei zumindest, dass es möglich ist, eine Theorie der Materialien und der Festigkeit zu machen. Heute ist das für Ingenieure wichtig. Das ist aber etwas, das von anderen Forschungswegen übernommen worden ist. Zurück geht es dennoch auf ihn. In der Tat ist aber immer noch relativ wenig dahingehend von der Wissenschaftsgeschichte erforscht.
Welche Auswirkungen der Forschung Galileis haben wir in der heutigen Zeit?
Teleskope sind nach wie vor wichtig. Aber es gibt inzwischen Radioteleskopie und andere Arten der teleskopischen Forschung. Natürlich ist die Forschung Galileis dadurch aber immer noch Teil unseres Lebens. In jeder Sternwarte kann man den Himmel durch ein optisches Teleskop beobachten. Wirklich greifbare Erfindungen, die ausschließlich auf ihn zurückzuführen sind, gibt es nicht. Galilei selbst probierte damals immer Dinge aus und produzierte Instrumente, die in die Kultur seiner Zeit gehörten, wobei auch andere versucht haben, ähnliches herzustellen. Die Frage war lediglich, wer die bessere Technik zustande brachte. Man muss deshalb das Bild eines isolierten Genies verlassen. Bei allem, was Galilei gemacht hat, bei all seinen Errungenschaften, war er nie allein. Er war immer Teil eines Netzwerks von Wissenschaftlern, Professoren und Praktikern. Was man Galilei zusprechen kann, ist, die Wissenschaft in politische Dimensionen gehievt zu haben. Durch den Streit mit der Kirche hat er die Wissenschaft politisch relevant gemacht. Welche Dimensionen das annahm, ist aber erst viele Jahre später durch historische Forschung klar geworden. Dass die Wissenschaft eine politische Dimension und Orientierung innehat, ist eines der wichtigsten Erben, die wir von ihm haben.