Ob theoretische Wissenschaften oder die Weiterentwicklung des Fernrohrs – Galileo Galilei setzte Maßstäbe in der Forschung. In den Jahrhunderten vor ihm hatte es die Wissenschaft schwer.
Das Gesetz war die Bibel. Im Mittelalter, einer Zeit der großen Gottesfürchtigkeit, sah man sich bald den Vorwürfen der Ketzerei ausgesetzt, wollte man nicht nach den Regeln der Kirche leben. Die meisten Hochkulturen der Antike und deren wissenschaftliche Errungenschaften versanken in der Periode zwischen den Jahren 500 und 1500 in der Versenkung. Doch ganz so finster, wie das Mittelalter vor allem in der Popkultur immer wieder zu sehen ist, war es nicht. Zumindest im Hochmittelalter geriet die Wissenschaft wieder mehr in den Fokus der Gelehrten. Die dringend benötigte Hilfe kam aus dem Osten. Um den ersten Jahrtausendwechsel befand sich die arabische Hochkultur in ihrer Blütezeit, während das römische Reich längst untergegangen war.
Als im Jahr 1075 ein Seehändler im italienischen Hafen Salerno einlief, hatte er erlesene Kräuter aus dem Orient an Bord. Doch die Gelehrten in dem Ort faszinierte etwas anderes: das medizinische Fachwissen, das der sprachtalentierte Mann mitgebracht hatte. So interessant fanden sie es, dass sie ihn baten, bei ihnen zu bleiben. Der Mann willigte ein und ließ sich schon bald auf den Namen Constantinus Africanus taufen. Er wurde benediktinischer Laienbruder und begann damit, die arabische Medizinliteratur in die lateinische Sprache zu übersetzen, derer die italienischen Gelehrten mächtig waren. Die Arbeiten des Constantinus resultierten in zwei umfangreichen Handbüchern und einem kürzeren Übersichtswerk. Dazu führte er Einzelstudien zu Fieberlehre und Puls, Augenkrankheiten, Bauchleiden und Depressionen. Constantinus zog in ein Kloster, und die Bevölkerung feierte ihn als „Weisen von Orient und Okzident".
Zwar starb er bereits zwölf Jahre nach seiner Ankunft im Jahr 1087, doch mit seiner Arbeit hatte er den Grundstein gelegt, den nun jüngere Gelehrte fortsetzten. Ehe neue Errungenschaften aus der technologisch und wissenschaftlich fortschrittlichen arabischen Welt in den Westen kamen, sollte es aber noch rund 40 Jahre dauern. Anfang des 12. Jahrhunderts erkundeten die Spanier die arabische Kultur und deren überlegenes Wissen, als sie die Mauren von der iberischen Halbinsel vertrieben, den Süden Spaniens wieder einnahmen und Toledo zu ihrer Hauptstadt machten. Inmitten dieses Jahrhunderte währenden Krieges profitierte das Abendland in der umkämpften Grenzregion vom dort erkundbaren arabischen Wissen.
Die Erkenntnis, dass bei den Arabern naturwissenschaftliches Fachwissen zu holen sein würde, sprach sich bald entlang der Grenzen in ganz Südeuropa herum. Nach der Rückeroberung Siziliens von den Mauren förderte Kaiser Friedrich II. Übersetzungen. Darunter waren die biologischen Texte von Aristoteles oder die arabische Alchemie. Im 13. Jahrhundert schrieb Leonardo Fibonacci das „Liber abbaci" genannte Buch der Rechenkunst und erläuterte darin die neun Ziffern der Inder „novem figurae indorum". Er legte damit den Grundstein für die Entwicklung der Mathematik auch in Mitteleuropa.
Forschung gegen die Bibellehre
Der Mainzer Philosophie-Historiker Kurt Flasch nennt diese Zeit so etwas wie „die Aufklärung im Mittelalter". Die Kirche befeuerte zwar zunächst jegliche wissenschaftliche Theorien aus dem Osten, ließ sich aber Mitte des 13. Jahrhunderts darauf ein, die Lehren des Aristoteles wieder zu erlauben. Der Klerus behielt lediglich ein prüfendes Auge auf die Wissenschaft. Wer sich zu weit aus dem Fenster lehnte, musste nach wie vor damit rechnen, vor dem Inquisitor zu landen. Der neu entdeckte Wissensfluss war aber auch davon nicht mehr aufzuhalten. Schon im 12. Jahrhundert entstanden in den großen Städten dieser Zeit die ersten Volluniversitäten. In Bologna, Paris und Oxford gingen die Gelehrten nun neue Wege und machten selbst Feldversuche.
Die Wissenschaftler experimentierten viel, kamen aber nicht wirklich zu Ergebnissen. Die dabei entwickelten Vorstellungen waren spekulativ: Durch die Vereinigung von männlichem Schwefel mit weiblichem Quecksilber versuchten sie, Metalle zu erzeugen. Für die Anatomie war das Sezieren von Leichen wichtig. Im Spätmittelalter kam es deshalb allmählich zu Wechselwirkungen zwischen Handwerkern und Gelehrten. Die Arbeit übernahm ein Barbier, der zugleich als Chirurg fungierte, während der Arzt selbst nicht eingriff, sondern im Stile eines Professors den Studenten erläuterte, was seiner Meinung nach im Körper vor sich ging.
Durch die naturwissenschaftliche Revolution im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit bewegte sich die Naturforschung in einem Spannungsfeld zwischen Tradition und Empirie. Die Forscher standen vor der Frage, inwieweit sie das bislang schon überlieferte Wissen übernehmen sollten oder inwieweit eigene empirische Untersuchungen und darauf gegründete Theorien aussichtsreich waren. Nach wie vor machte die Wissenschaft die Tradition in vielen Fällen an den antiken Autoritäten Aristoteles oder Ptolemäus fest, stellte aber auch die Aussagen der Bibel in den Mittelpunkt. Nach und nach stellte sie das vor Gewissenskonflikte. Denn immer neue wissenschaftliche Erkenntnisse standen im Gegensatz zur Lehre der Bibel.
Die Forscher, die nun anders dachten, als es die Kirche von ihnen erwartete, unterstellten ihren bibeltreuen Kollegen, übertrieben an den Vorstellungen der Kirche festzuhalten. Es entbrannten dogmatische Konflikte innerhalb der Wissenschaft. Doch aufhalten ließ sich die Forschung nicht. Spätestens als Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert die Technik des maschinellen Buchdrucks entwickelte, verbreiteten sich neue Erkenntnisse und die kritische Auseinandersetzung mit ihnen wie Lauffeuer.
Und auch, wenn die Kirche es nicht gern sah: Bei den Errungenschaften waren bahnbrechende Entdeckungen dabei. Nikolaus Kopernikus kam zu der Erkenntnis, dass die Erde, die Sonne und die Planeten um einen gemeinsamen Punkt innerhalb oder in der Nähe der Sonne kreisen. Das sogenannte heliozentrische Weltbild schrieb er in seinem Werk über die Bewegung der Himmelskörper nieder, das er 1543 in Nürnberg veröffentlichte. Diese kopernikanische Lehre nahm sich Galileo Galilei zum Vorbild.