Wer erfolgreich sein will, braucht klare Ziele. Valerian Polienko greift lieber auf eine andere Strategie zurück. Und hat Erfolg. Teil II der Serie Absolventen der Hochschule der Bildenden Künste Saar.
Eigentlich war das Kapitel Saarbrücken für Valerian Polienko schon abgeschlossen. Kurz nach seinem Diplom an der Hochschule der Bildenden Künste (HBK) Saar packte der junge Mann seine Siebensachen und zog zurück zu seinen Eltern in die alte Heimat Leipzig. Einen konkreten Plan hatte der gebürtige Russe nicht, auch kein Projekt, an dem er arbeiten könnte. „Ich ließ es einfach auf mich zukommen", gibt der Künstler offen zu, „und schaue, was das Leben für mich bereithält."
Darauf vertrauend klingelte sein Telefon. Am anderen Ende der Leitung hörte er die bekannte Stimme eines ehemaligen Dozenten der HBK. Es ging um einen Wettbewerb zur Kunst im öffentlichen Raum. Das Foyer des frisch errichteten Praktikumsgebäudes für Pharmazie auf dem Saarbrücker Campus bräuchte noch die passende Gestaltung. „Und so fragte er nach, ob ich – neben zwei weiteren Mitbewerbern – Interesse hätte, mich bei diesem Projekt einzubringen, und ein paar Ideen zu entwickeln", fasst Polienko die überraschende Anfrage seitens seiner ehemaligen Kunsthochschule zusammen. „Natürlich sagte ich sofort zu", erzählt er begeistert. Schließlich sei diese Vorgehensweise mehr als untypisch. In der Regel seien es die Künstler selbst, die sich um Wettbewerbe bemühen, dafür ihre Kunstmappen zusammenstellen und diese hoffnungsvoll an die Wettbewerbsjury verschicken oder mit besonders gelungenen Arbeiten von Galerietür zu Galerietür wandern. Valerian Polienko bildet hierbei eine Ausnahme. „Man muss nicht immer in die Prozesse eingreifen. Manchmal muss man den Dingen auch Zeit lassen, sich zu entwickeln."
Diese Einstellung spiegeln auch seine Werke wider. „Neugierig und risikofreudig experimentiert er mit kreativen Eigenkonstruktionen, die ihm eine Art Malerei mit Farblösungen auf Kunststoff ermöglichen", beschrieb ihn einst Designerin und Lehrbeauftragte der HBK Saar, Anna Gabriela Henné. Er legt etwa Kunststofffolien, die ihm als Malgründe dienen, in Farbbecken. Oder er verwendet selbst gebaute Zylinder, Wannen oder andere Behältnisse, in denen die Folien gerollt in Farblösungen stehen. Dafür mischt er unterschiedliche Farbmaterialien, Lösungen und Tinkturen, erforscht, wie sie besonders lange haltbar gemacht werden können und welche Mischungen zu ungewöhnlichen Resultaten führen. Meist verwendet er Tuschen, die er in unterschiedlicher Verdünnung mit Wasser und anderen Zutaten wie zum Beispiel Klebstoff vermischt. Das Ergebnis seiner Arbeit ist dabei alles andere als gegenständlich. „Sie erinnern mich an turbulente, psychedelische Stürme, wirbelnde Spirografenzeichnungen, mikroskopische Zellquerschnitte, computertomografische Aufnahmen oder bizarre, schemenhafte Ruinenlandschaften", schildert Henné ihre Assoziationen.
Nach acht Versuchen zum Kunststudium
Und genau darauf kommt es dem Künstler an, „auf die Auseinandersetzung mit den Bildern, die Emotionen die dabei empfunden werden und die Gefühle, die beim Betrachter entstehen – wenn ich etwas in einem Menschen auslösen kann mit meiner Kunst, dann habe ich mein Ziel erreicht", sagt Polienko.
Dabei hatte sich der junge Mann nie vorgenommen, Künstler zu werden. Vielmehr fügte sich sein Werdegang – so wie auch seine Werke – mit der Zeit zu einem Ganzen. Geboren ist Polienko im Jahr 1988 in Susun, einer kleinen Stadt rund 150 Kilometer südlich von Nowosibirsk inmitten eines großen Waldgebietes am gleichnamigen Flüsschen Susun. Groß ist seine Heimatstadt nicht, sie hat rund 15.500 Einwohner. Dennoch bietet der idyllische, naturbelasse Ort eine solide Anzahl an Kultureinrichtungen, unter anderem auch eine Malschule für Kinder. Dort kommt der begabte Junge auch zum ersten Mal mit Kunst in Berührung. „Meine Familie war keine Künstlerfamilie", erzählt Polienko. Dennoch gibt seine Mutter dem Wunsch ihres Sohnes nach und meldet ihn in der Malschule an. Im Alter von acht Jahren entstehen seine ersten Bilder. „Ich malte Landschaften, Blumen, Früchte – also alles was mit Stillleben zu tun hat", erzählt Polienko. Oder er greift zu Ton und formt kleine abstrakte und gegenständliche Kunstwerke. Im Jahr 2002 kommt es in Polienkos Leben zu einer Zäsur: Zusammen mit seiner Familie immigriert der 14-jährige Teenager nach Deutschland. Sachsen-Anhalt ist ab diesem Zeitpunkt sein neues Zuhause. Polienko besucht eine Realschule und experimentiert in seiner Freizeit mit den unterschiedlichsten Kunsttechniken. „Allerdings nur als Hobby", sagt Polienko. „Es hört sich fast schon kurios an, aber zu diesem Zeitpunkt war es mir gar nicht bewusst, dass man in Deutschland überhaupt Kunst studieren könnte, mit dem Ziel später ein Künstler zu werden." Erst entscheidet sich der junge Mann für eine Ausbildung zum Gestaltungstechnischen Assistenten in Naumburg. Doch nur Plakate und Visitenkarten entwerfen war für den Kreativen auf Dauer zu wenig. „Und so kam ich dann auf den Trichter, mich überhaupt bei einer Kunsthochschule zu bewerben." Rund zwei Semester wartet Polienko auf eine Zusage. Im Gegensatz zu seinen Mitstudenten steht er fast alleine da. Es gibt nur wenige, die mit ihm sein Portfolio durchgehen oder ihm Tipps zur Bewerbung geben können. „Ich habe insgesamt acht Versuche gebraucht, bis ich angenommen wurde", erzählt Polienko. Seine Mühe zahlt sich aus und er ergattert einen Platz an der HBK Saar.
Wie es mit seiner Arbeit weitergehen wird, weiß er noch nicht. „Gerade bin ich dabei, ein Konzept für das Foyer zu entwickeln", bringt er es auf den Punkt. „Dann schaue ich weiter." Eins ist für Polienko aber jetzt schon sicher: Er bleibt der Kunst treu. „Es mag vielleicht etwas abgedroschen klingen, aber Kunst ist für mich kein Beruf, sondern eine Berufung. Ich mache einfach weiter, in meinem Tempo, unabhängig davon, ob ich gerade viel Geld damit verdiene oder nicht. Oder ich genug Aufträge habe, oder Zuspruch. Wenn ich mich verwirklichen kann und das mache, was meine Leidenschaft ist, dann kommt der wirtschaftliche Erfolg von alleine. Hauptsache, es macht mir Freude."