Man nehme einen Holzkohlengrill, Grün und Gewürze aus dem Vorderen Orient. Vermenge sie mit Hitze, Inspiration und Kombinationsfreude. Heraus kommt eine veredelte zeitgenössische levantinische Küche. Gal Ben-Moshe macht in seinem neuen „Prism" vor, wie israelisches Fine Dining in Berlin funktioniert.
Hindbeh, Akkoub, Khubeza. Das klingt wie Tausendundeine Nacht und kommt auch von dort. Der Besuch in Gal Ben-Moshes und Jacqueline Lorenz‘ neuem „Prism" wird eine Entdeckungsreise zu unbekannten Kräutern, Gemüsen und Gewürzen des Vorderen Orients. Reiseleiter Gal Ben-Moshe scoutete in seiner Heimat Israel und treibt sich an freien Tagen in der Sonnenallee herum, um seine grünen Mitbringsel und Bestellungen von den Händlern seines Vertrauens ins Restaurant zu bringen.
Die fremdländische Trias aus Löwenzahn, Trommeldistel und Malvenblättern − die noch nicht einmal auf direktem, sondern nur über den englischsprachigen Umweg mit den einschlägigen Tools zu übersetzen ist − findet sich sogar auf einem einzigen Teller wieder. Die frittierten Malvenblätter beschirmen ihre beiden Gemüsekollegen. Während sich die Begleiterin durch die Veggie-Variante hindurchknuspert, nehmen der Fotograf und ich die Adlerfisch-Version zu uns. Das Filet begibt sich in die Gesellschaft von Gurke, Sauerampfersauce, Olivenölpuder und Garoum, einer Würzsauce aus fermentierten Fischteilen, wie uns Jacqueline Lorenz erläutert.
Sie hat die Oberhoheit über den Service und die Weine im „Prism". Khubeza, die Malvenart, wachse in Israel wild, so wie hierzulande Bärlauch, erfahren wir. Und zwar jetzt, zu dieser Zeit, wenn in Israel Regen fällt und die sonst so trockene Erde sprießt. „Für mich bedeutet Khubeza: Es ist Winter in meiner Heimat", sagt Gal Ben-Moshe, als er ein wenig Zeit findet, im beinah voll besetzten Lokal zu den Gästen herauszukommen. Er erzählt von den Gepflogenheiten für die Übergabe der Wildkräuter und exotischen Früchte, die etwa aus Jordanien über die Türkei importiert werden. „Da stehst du auf der Sonnenallee und wartest, bis der Händler kommt."
Die notwendige orientalische Beharrlichkeit hat Gal Ben-Moshe im vergangenen Jahr recht lange aufgebracht und auch die Zeit dazu gehabt. Nachdem er sein vorheriges Restaurant „Glass" in der Uhlandstraße geschlossen hatte, recherchierte er, wie er die Produkte seiner Heimat ausfindig und in Berlin verfügbar machen konnte, die er sich für sein neues Restaurant vorstellte.
Nebenher wurden die Räumlichkeiten des ehemaligen „Fräulein Fiona" in der Fritschestraße umgebaut und in ein lichtes, elegantes, geradlinig eingerichtetes Restaurant mit viel Grau und ein wenig Gelb verwandelt. Im November 2018 war die Eröffnung. Seither werden die Gastro-Journalisten der Stadt nicht müde, das „Prism" wegen der Verbindung von orientalischen Produkten mit Fine-Dining zu rühmen. Es macht in jedem Fall einfach schon mal Spaß, Neues und so ganz anders Kombiniertes zu entdecken.
Vegetarisches ist überaus spannend
Die Fingerlimette zum Beispiel. Wo mag die sich im Umfeld meiner Jakobsmuscheln verstecken? Die Suche nach länglichen Zitrusfrüchten führt jedenfalls nicht weiter, aber die Krümelchen auf den Muscheln führen zu einem zweifellos limettigen Peng im Mund. Damit ist ebenfalls klar, warum die Frucht „australischer Kaviar" genannt wird, wie uns Hamish Sullivan, seines Zeichens Australier und einer unserer Wegweiser aus dem Service, erklärt. Eine Kamillentee-Butter mildert den brausepulverig prizzelnden Mix von Meer und Citrus ab und gibt ihm Bodenhaftung. Blutampferblättchen und Zucchini bringen Frische und eine leichte gemüsige Textur ins Gericht. Wenn eine der beiden gegrillten Muscheln etwas weniger Kontakt zum Rost gehabt hätte, wär’s perfekt gewesen. Die Begleiterin erhält auf der „Bitte-keinen-Fisch"-Strecke armenische Gurke und ist sehr angetan.
Auch im „Prism" stellen wir fest, was uns schon bei einer der letzten Neueröffnungen, im „Cell", begegnete: Die vegetarischen Gänge oder gleich ein ganzes Veggie-Menü sind in ihrer Finesse spannend, überraschend und häufig sogar interessanter als Fisch und Fleisch. Nicht zuletzt wirken die Gerichte vielleicht auch deshalb umso verblüffender, weil sich auf diesem Level in der Stadt erstaunlicherweise immer noch nicht so viel tut, wie es Geschmack, Angebot, Zeitgeist und Bewusstsein inzwischen verlangen würden. Wir werden jedenfalls weiter auswärts essen gehen müssen, um Fingerlimette und Co. zu verspeisen. Die längst in Israel beheimatete Pflanze ist nämlich ein raumgreifender, wehrhafter und sehr langsam wachsender Baum, der sich nicht zum Eigenanbau auf dem Balkon empfiehlt. „You pick it in the size of olives from a tree that wants to kill you", beschreibt Gal Ben-Moshe anschaulich den Baum mit seinen zehn Zentimeter langen Stacheln, die die Mini-„Finger" schützen sollen.
Das auf acht Gänge für 125 Euro angelegte Menü kann problemlos auch mit sechs oder sieben Gängen für 95 oder 110 Euro gewählt werden. Es ist nicht ausdrücklich vegetarisch, sondern bietet mit Weidelamm-Tatar, gegrilltem Wagyu-Rind und Kalbsbries hinlänglich fleischige Anteile. Aber auch jenseits der Desserts und einer bemerkenswerten „Ungereiften Wassermelone" reagieren Service und Küche sofort auf die Bitte nach fischfreien Alternativen. Die Melone, in diesem Stadium bestellt und eigens aus Spanien so importiert, wirft ihre volle Melonigkeit gegrillt, als Eis und als Gelee aus, ohne Süße zu verbreiten. Tulum, ein türkischer Schafskäse, Radieschen und Dukkah, eine Nuss-Gewürz-Mischung, ergänzen spürbar, aber unaufdringlich die unsüße Fruchtigkeit. Gern bei einem nächsten Besuch bitte einen Teller davon allein für mich.
Dafür müsste ich mich etwas sputen, denn alle zwei Monate wechselt das Menü. Jetzt schon hat Gal Ben-Moshe mit seinem dreiköpfigen Team das Frühjahr mit Auberginen, säuerlichen Aprikosen, Erdbeeren und einem Mispel-Dessert im Blick. „I am thinking, I am playing", sagt er, und dieses überlegt Verspielte wird uns sicherlich noch so manches Mal überraschen. Im Sommer stehen, jenseits der 26 Plätze im Inneren, weitere draußen zur Verfügung. Dort will Gal Ben-Moshe kleinere Speisenfolgen reichen – eher drei als sechs Gänge. In jedem Fall aber sollen die Gäste hinter den weit geöffneten bodentiefen Fenstern ein längeres Menü verspeisen können, ohne auf das Außen im Innen verzichten zu müssen. Im ersten Stock wurde außerdem ein Private-Dining-Raum für Feiern und Geschäftsessen ausgebaut.
Fazit der Tester: „Dit is Berlin"
Die Weinbegleitung von Sommelière Jacqueline Lorenz folgt dem Menü zwar mit dem protokollarischen Schritt hintenan, ist aber dennoch eigenständig und überraschend. Ebenso – wie bereits im „Glass" – mit dem Fokus auf dem östlichen Mittelmeerraum. Wir haken uns gleich beim ersten Weißen ein – einem 2017er „Barka Blanc" aus dem Bekaa-Tal im Libanon. „Dort leben 40 Prozent Christen, deshalb gibt es viele Weine", erklärt sie. „Wir wollen, wenn möglich, den Rebenreichtum der Region wieder zum Leben erwecken." Insbesondere die autochtonen Rebsorten, die in den Gegenden angebaut werden, aus denen sie stammen, will sie verstärkt ins Rampenlicht rücken. Die sind in dieser Cuvée mit 60-prozentigem Obeida-Anteil vertreten. Dazu kommen 40 Prozent Sauvignon „für die Eleganz". Der Weiße flattert wie Seidenchiffon durch Glas, Nase und Mund. „Kräuterig und spritzig-frisch", drückt es die Fachfrau weniger poetisch wallend aus. Zum Wagyu-Rind gehen wir nach Betlehem: Ein roter „Cremisan" aus dem gleichnamigen Kloster der Salesianer Don Boscos bietet mit der Sorte Baladi Tannine, bleibt aber dennoch recht leicht.
Zum Dessert wird’s auf der Flüssigstrecke mit einem „Vinsanto", einem „Strohwein" von Santorini, richtig vollmundig, dunkel und „rosiniert". Wer jetzt an pappige Süßweine denkt – bitte aufhören! Das hier ist eingefangene Sonne und volle Frucht mit Holz, aber ohne jeden Kleb. Die reif geernteten Trauben wurden zunächst auf Stroh ausgelegt und sonnengetrocknet, also in Rosinen verwandelt. Erst danach wurden sie gekeltert, in Eiche gepackt und zum Reifen ganze zehn Jahre stillgelegt. „Der ist so alt wie Australien", spricht der mit unerschöpflichem und schrägem Humor ausgestatte Hamish Sullivan, als er uns das Dessert serviert. Er sei jetzt so „generous", so großzügig, uns nicht in die Berliner Kälte und Dunkelheit zu entlassen, ohne dass wir erstens schwarze gepuffte Linsen mit Jasmineis als kleines Sorbet zwischendrin zu uns genommen hätten. Und zweitens, bitteschön, das Schokoladen-Dessert aus „Avinaro", ein Mix aus afrikanischen Grand-Cru-Kakaobohnen, verspeist hätten.
Eine weiße Tabakcreme setzt feine herbsüße Akzente. Eingelegte und als Gelee dargebotene Maulbeeren erweisen dem Tabakskollegium Friedrich Wilhelm I. und den Seidenraupenzucht-Ambitionen Friedrichs des Großen in Friedrichshagen gleichermaßen historische Reminiszenz. „Dit is Berlin", sind wir uns einig. Im Dessert ebenso wie in den feinteiligen, jetztzeitigen israelisch inspirierten Küchen-Kreationen vom Chef. Und, nicht zuletzt, mit dem langlebigen Bauschutt-Container direkt vor der Tür auf dem Parkstreifen, der sich nach den Wünschen von Gal Ben-Moshe bis zum Sommer hoffentlich endlich dematerialisiert hat.