Schalke 04 erlebt einen rasanten Abstieg vom Vizemeister zum Sorgenkind der Bundesliga. Die Maßnahmen von Trainer und Manager werden immer kritischer gesehen.
Domenico Tedesco ist ein Gesicht der Schalker Krise, und das nicht nur im übertragenen Sinn. Die für den Vizemeister bislang so enttäuschend verlaufene Bundesligasaison spiegelt sich auch im Gesicht des Trainers wider. Die Augenringe werden immer größer und dunkler, die Mundwinkel gehen kaum noch für ein Lächeln nach oben. „Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich supergut schlafe", hatte der 33-Jährige vor ein paar Wochen mal zugegeben: „Mein erster Gedanke nach dem Aufwachen ist Schalke, und mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen auch."
Tedesco brennt für seinen Job, doch zurzeit wirkt der Trainer-Shootingstar der vergangenen Saison etwas ausgebrannt. War dem Novizen vor einem Jahr noch alles geglückt, bekommt er nun die rauen Zeiten seines Berufs zu spüren. Nicht jede seiner Entscheidungen brachte den erhofften Erfolg – und plötzlich ist Schalke wieder Schalke: Chaos macht sich breit. Der Trainer wird genauso wie Manager Christian Heidel öffentlich ins Fadenkreuz genommen, bei vielen Fans ist das Duo längst nicht mehr unantastbar.
Dass sich Tedesco nach der Niederlage gegen Mönchengladbach (0:2) auf die Fehler der Schiedsrichter stürzte, war womöglich den Emotionen geschuldet. Dass sich seine Mannschaft zuvor in voller Mannschaftsstärke nur eine nennenswerte Torchance erarbeitet hatte, war ein viel entscheidenderer Grund für das Ergebnis als der falsch ausgeführte Freistoß der Gladbacher, der zur Roten Karte von Torhüter Alexander Nübel führte. Vielleicht war Tedesco auch deswegen so sauer, weil diese Aktion ihm ein Zusatzproblem einbrachte, dass er jetzt überhaupt nicht gebrauchen kann: eine erneute Torwartdiskussion.
Das Problem mit den Führungsspielern
Durch Nübels Zwei-Spiele-Sperre war Tedesco dringend auf Ralf Fährmann angewiesen, den er zum Rückrundenstart zur Überraschung vieler „rasiert" hatte. Dass Fährmann, Kapitän und jahrelang unumstrittener Rückhalt der Schalker, deswegen einen dicken Hals hatte und sich mit einem Wechsel noch im Winter beschäftigte, ist kein Geheimnis. Das Verhältnis zu Tedesco, den Fährmann in der Premierensaison noch als „besten Trainer" seiner Zeit auf Schalke bezeichnet hatte, dürfte durch die Degradierung ebenfalls einen heftigen Knacks bekommen haben. Vielleicht auch sein Selbstbewusstsein.
Tedesco begründete seine Entscheidung für den U21-Nationaltorhüter Nübel mit Fährmanns Fehler zum Hinrunden-Ende und im letzten Testspiel der Vorbereitung, seine eigentliche Nummer eins sei „nicht frei im Kopf". Hat sich das mittlerweile geändert? „Fragen Sie den Trainer", antwortete Fährmann einem Journalisten auf diese Frage. Versöhnlich klingt anders. Auch Tedescos wankende Haltung, ob nun wie geplant Fährmann oder doch Nübel, dessen Sperre nur für die Bundesliga zählte, im Achtelfinale des DFB-Pokals gegen Fortuna Düsseldorf im Schalker Tor stehen sollte, deutete stark auf eine endgültige Machtablösung hin.
Nübels Qualitäten werden in der Branche nicht infrage gestellt. Aber ist der 22-Jährige wirklich so viel besser als Fährmann, um dieses „riesige Brett für alle Beteiligten", wie Tedesco den Torwart-Tausch bezeichnete, zu bohren? Timo Hildebrand, einst selbst auf Schalke die Nummer eins, hat da seine Zweifel: „Das Thema kann Tedesco schneller einholen, als ihm lieb ist. Mit anderen Worten: Wenn es ganz dumm läuft, kann ihn das seinen Job kosten."
Es ist nicht das erste Mal, dass Tedesco auf Schalke keine Rücksicht auf große Namen nimmt. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Absetzung von Benedikt Höwedes als Kapitän. Der Ur-Knappe flüchtete zuerst nach Turin und dann nach Moskau, weil der Trainer ihm offen zu verstehen gab, dass er auf andere Innenverteidiger setzt.
Der Aufschrei unter den Fans war groß, und er legte sich nur, weil der Erfolg da war. Doch wie brüchig das Gebilde ist, zeigte das Champions-League-Gruppenspiel Mitte Dezember gegen Lokomotive Moskau. Die Schalker zitterten sich zu einem Last-Minute-Sieg und wurden zwischendurch mit grellen Pfiffen bedacht, für den sichtlich gerührten Höwedes gab es nach dem Abpfiff aber Standing Ovations.
Auch einen dritten Führungsspieler hat Tedesco – bewusst oder unbewusst – demontiert. Mit dem Brasilianer Naldo schwebte der Trainer in der Vorsaison auf einer Welle des Erfolges, bei der Vertragsverlängerung im Oktober schwärmte Tedesco noch von einer „tollen Nachricht für alle Schalker", denn Naldo sei eine „herausragende Persönlichkeit auf und auch neben dem Platz". In Tedescos sportlichen Planungen spielte der Publikumsliebling aber nur noch eine Nebenrolle, er vertraute fast immer dem nicht fehlerfreien Neuzugang Salif Sané.
Auf der Bank sein Gnadenbrot zu erhalten, dafür war sich der 36-Jährige Naldo aber zu schade. Also suchte er das Weite und verteidigt inzwischen für AS Monaco. Zwar betonten Tedesco und Heidel, dass sie Naldo gern gehalten und nur dem Wunsch des Spielers entsprochen hätten, doch das scheint nur die halbe Wahrheit zu sein. Naldo fühlte sich nicht mehr ausreichend wertgeschätzt, wie ein unmissverständlicher Instagram-Post seiner Frau verriet: „Letzte Saison der beste Spieler gewesen, nach vier Spielen ist Naldo alt, langsam und nicht mehr wichtig??? Hallo??? Ich kann die Welt nicht mehr verstehen."
Auch Michael Balllack vermisst auf Schalke das Fingerspitzengefühl mit etablierten Profis. „Die Aushängeschilder wie Höwedes, Naldo oder Fährmann sind Spieler, die weit über ihre sportlichen Leistungen mit dem Verein und der Fankultur verbunden sind", sagte der Ex-Nationalspieler. Das Abservieren dieser Spieler sei „ein ganz wichtiges Thema im Ruhrgebiet". Stefan Effenberg machte auf Schalke gar „ein Problem mit der Hierarchie" aus.
Naldos erste Einsätze in Frankreich waren höchst unglücklich, doch Tedesco weinte dem Abwehrspieler aus einem anderen Grund nach: Da sich Benjamin Stambouli im Auswärtsspiel bei Hertha BSC verletzte, musste Schalke hektisch auf dem Transfermarkt einen Abwehrspieler suchen. Dass Neuzugang Jeffrey Bruma (vom VfL Wolfsburg) die Klasse von Naldo hat, ist fraglich.
Rückendeckung von Clubchef Tönnies
Apropos Transfermarkt: Auch hier stehen Tedesco und Heidel in der Kritik. Von Heidel ist bekannt, dass er bei der Beurteilung von Spielern vor allem auf seine Trainer hört, und bei seinem Ex-Club Mainz 05 konnte er sich auf die Urteile von Jürgen Klopp und Thomas Tuchel fast immer verlassen. Auf Schalke ist Heidels Transferbilanz im besten Fall durchwachsen. Vor allem die teuren Neuzugänge wie Breel Embolo (24 Millionen Euro), Nabil Bentaleb (23) und Jewgeni Konopljanka (13) und Sebastian Rudy (16) erfüllten nicht die Erwartungen. Bei Rudy vertraute Heidel auf Tedescos Plan – doch der ging noch nicht auf. Nun wollte der Trainer unbedingt das 18 Jahre alte Offensivtalent Rabbi Matondo, der bei Manchester City kein einziges Profispiel bestritten hat. Wegen der Ablöse von neun Millionen Euro war kein Geld mehr für einen zentralen Stürmer da, der Schalkes Defizite im Torabschluss hätte beheben können. Ein Risiko.
„Ist Juwel Matondo Heidels letzte Chance?", schrieb die „Bild". Was der Boulevard druckt, wenn der Waliser nicht so schnell durchstartet wie erhofft, scheint klar. Club-Boss Clemens Tönnies liebäugelt schon jetzt damit, Heidel einen Berater zur Seite zu stellen. Gehandelt wird der Name Jonas Boldt, der seit seiner Zeit bei Bayer Leverkusen einen guten Ruf in der Branche genießt. Vor allem seine Kontakte nach Südamerika sind herausragend. Heidel wehrte sich zunächst mit aller Macht gegen diese Einmischung. Inzwischen ist aber durchgesickert, dass er sich mit Boldt im Februar zu einem Austausch treffen wird.
Heidel verteidigt seine Transferbilanz oft mit den finanziellen Einschränkungen beim nach wie vor hoch verschuldeten Traditionsclub. Für namhafte Verstärkungen im Winter hätte er schlichtweg kein Geld zur Verfügung gehabt, argumentierte Heidel. Auf der anderen Seite hat der langjährige Mainzer seit seinem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren 160 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben – so viele wie keiner seiner Vorgänger. Das Ergebnis ist bescheiden. Öffentlich stärkt der mächtige Club-Chef Tönnies der sportlichen Leitung den Rücken. „Beide haben unser uneingeschränktes Vertrauen", sagte der Fleischproduzent. „Beide arbeiten mit hoher Energie daran, unsere sportliche Situation in der Bundesliga zu verbessern." Fleiß allein reicht auf Schalke aber nicht, Ergebnisse müssen her. Und zwar schnell.
Die Vergangenheit lehrt, dass öffentliche Unterstützung bei Tönnies nicht unbedingt viel bedeuten muss. Zumal der 62-Jährige in ein paar Monaten erneut zum Präsidenten der Königsblauen gewählt werden möchte und deswegen das Ohr noch näher bei den Fans hat. Und die Geduld der Fans ist fast aufgebraucht.