Dank seiner 1979 aufgezwungenen Ein-Kind-Politik konnte China nicht nur die Bevölkerungsexplosion stoppen, sondern die Geburtenrate auf einen der weltweit niedrigsten Werte senken. Aber dieser Erfolg wurde teuer erkauft durch eine verheerende Vergreisung der Gesellschaft.
Ende der 1960er-Jahre herrschten in Mao Zedongs Reich der Mitte gewissermaßen Verhältnisse wie aktuell in Afrika. Denn die Geburtenrate lag damals bei sechs Kindern pro Frau, was ein gewaltiges Bevölkerungswachstum, dramatische Versorgungsengpässe und wachsende Ressourcenknappheit sowie ganz allgemein eine Behinderung des so sehr angestrebten wirtschaftlichen Aufschwungs zur Folge hatte. Diese Umstände hatten die chinesische Führung 1979 dazu veranlasst, die Reißleine zu ziehen, indem sie zunächst nur auf Provinzebene, ab 1980 dann auch auf dem gesamten Staatsgebiet die Beschränkung der Zahl der Nachkommen auf ein Kind pro Familie anordnete. Der Erfolg des international von Anfang an stark kritisierten Erlasses sollte durchschlagend sein. Aktuell liegt die chinesische Geburtenrate bei 1,57 Kindern, sie ist damit eine der niedrigsten der Welt. Schätzungen gehen davon aus, dass ohne die Einführung der Ein-Kind-Politik die Zahl des Riesenvolkes mit derzeit rund 1,4 Milliarden noch um 300 bis 400 Millionen Menschen höher liegen würde.
Dieses scheinbar perfekt funktionierende Populationsbegrenzungs-Modell hatte, beziehungsweise hat, durchaus auch seine Schattenseiten, weil es zu einer dramatischen Vergreisung der chinesischen Gesellschaft geführt hat, die heute neben der japanischen weltweit am raschesten altert. Das hatten die Nachfolgers Mao Zedongs offenbar nicht rechtzeitig erkannt. Als sie 2013 erstmals eine Lockerung der Ein-Kind-Politik zuließen und 2015 offiziell deren Ende bekannt gaben, war es schon zu spät, um den fortschreitenden demografischen Wandel noch zu stoppen oder gar umzukehren. Selbst die Zwei-Kind-Politik wird inzwischen von oberster Stelle infrage gestellt. In einem neuen, im Sommer 2018 vorgelegten Zivil-Gesetzesentwurf, mit dessen Verabschiedung spätestens 2020 gerechnet wird, waren keinerlei Beschränkungen der Kinderzahl chinesischer Familien mehr enthalten.
Von 1979 bis 2013 galt die Ein-Kind-Politik
Ob damit in naher Zukunft die Versorgung der Älteren durch junge Erwerbstätige im Sinne des Generationenvertrages auch nur annähernd gesichert werden kann, ist mehr als fraglich. Denn schon heute kommen in China auf einen Beitragszahler rund drei Rentenempfänger. Experten gehen davon aus, dass bis 2025 rund 330 Millionen Chinesen älter als 65 Jahre sein werden. Der von der Regierung im Zuge der Zwei-Kind-Politik erhoffte Babyboom mit mehr als 20 Millionen Neugeborenen pro Jahr hat nach 2015 nicht eingesetzt. Offiziellen Angaben zufolge waren 2016 17,9 Millionen Kinder zur Welt gekommen, 2017 war die Zahl sogar auf 17,2 Millionen gesunken. Berechnungen der Weltbank zufolge müsste die chinesische Geburtenrate mindestens 1,6 betragen, um die Bevölkerung auch nur annähernd stabil zu halten. Realistischere Quotenschätzungen gehen diesbezüglich von 2,1 Kindern pro Frau aus.
Moderne, vor allem in den Großstädten lebende chinesische Familien scheinen von der neuen Freiheit in Sachen Familienplanung offenbar nicht in dem von der Regierung erhofften Ausmaße Gebrauch zu machen. Viele Frauen möchten lieber Karriere machen. Junge Familien können sich die Mieten für größere, bei steigendem Kinderzuwachs nötigen Wohnungen nicht leisten, zudem befürchten sie die hohen Kosten für eine möglichst gute Ausbildung ihrer Kinder. Gerüchten zufolge gibt es derzeit in der chinesischen Regierung daher sogar Überlegungen, zur Beschleunigung der Geburtenrate Zwangsmaßnahmen anzuordnen. Demnach sollen Familien mit nur einem Kind Geldabgaben leisten müssen. Eine geradezu groteske Kehrtwendung: Lange Zeit durften chinesische Familien nur ein Kind haben, jetzt sollen sie plötzlich möglichst viele Nachkommen in die Welt setzen. Mao Zedong hatte nach der Gründung der Volksrepublik China den Bevölkerungsanstieg als großen Vorteil angesehen, weil er sich mit der daraus resultierenden Zunahme der Zahl von Arbeitskräften einen Schub für die wirtschaftliche Entwicklung seines Landes erhofft hatte. Doch schon in den 50er-Jahren hatten die steigenden Geburtenzahlen zu Versorgungsproblemen geführt.
Deshalb wurden schon in den 60ern Beratungsstellen für die Familienplanung eingerichtet und ab 1971 von offizieller Seite das Ideal einer Zwei-Kind-Familie und Spätehe propagiert. Da sich damit das Bevölkerungswachstum nicht stoppen ließ, entschloss sich die neue Führung unter Leitung von Deng Xiaoping 1979 zu einem repressiven Programm namens Ein-Kind-Politik. Seine Einhaltung wurde strengstens durch extrem hohe Geldstrafen, Gefängniseinweisungen, erzwungene Schwangerschaftsabbrüche oder auch Zwangssterilisationen bei Verstößen kontrolliert. Wobei auch Vorgaben wie behördliche Vorab-Anmeldung des Kinderwunsches die Familien-Überwachung erleichterten. Es gab gewisse Ausnahmeregelungen für die ethnischen Minderheiten oder auch für Bauernfamilien auf dem Land, wenn das Erstgeborene ein Mädchen war.
Apropos Mädchen: Da sich die meisten chinesischen Familien der konfuzianischen Tradition verpflichtet fühlen, wonach in einer Sippe möglichst die männliche Erblinie erhalten bleiben sollte, waren Abtreibungen weiblicher Föten eine fatale Folge der Ein-Kind-Politik. Das führte zu einer Verschiebung des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern Richtung eines deutlichen Männerüberschusses in der Gesellschaft. 2004 wurde die Ein-Kind-Politik erstmals etwas aufgelockert, als Geschiedenen bei Neuverheiratung erlaubt wurde, nochmals Nachwuchs zu bekommen. Und Paare, die selbst beide Einzelkinder waren, durften fortan ein zweites Kind zur Welt bringen. 2013 wurde letztere Regel so erweitert, dass Paare ein zweites Kind bekommen konnten, wenn nur noch ein Elternteil ein Einzelkind war. Ab 2015 galt die Zwei-Kind-Politik. Und ab 2020 wird die Familienplanung freigestellt.