Nach den neuen Konzepten der SPD sieht sich die Linke in ihrer Politik bestätigt. Parteichefin Katja Kipping sieht trotz der sozialeren Sozialdemokraten genügend Wählerpotenzial für ihre Partei und fordert die Parteien des linken Spektrums auf, eine gemeinsame Regierungsalternative anzubieten.
Frau Kipping, bald stehen Urnengänge zur Europawahl und in vier Bundesländern an. Stehen nun wieder zwei linke Parteien zur Wahl, die Linke und eine neue SPD?
Für einen grundlegenden Politik- und Regierungswechsel brauchte es beides: eine starke Linke und eine wieder sozialere SPD. Ich begrüße den angekündigten Kurswechsel der SPD, sehe aber, dass auch links einer wieder sozialeren SPD noch viel Platz ist für uns, die wir dafür kämpfen, dass alle garantiert vor Armut geschützt sind, niemand unter 1.050 Euro im Monat fällt und die wir konsequent für Abrüstung und Frieden stehen.
Die SPD hat sich ja nun ganz offiziell von ihrer Agenda-Politik verabschiedet und Hartz IV soll zukünftig Bürgergeld heißen – wie bewerten Sie das?
Das Papier beweist: Links wirkt, weil konkrete Forderungen aufgenommen wurden, für die wir lange streiten. Und es zeigt: Es braucht weiter eine starke Linke, denn der Kern des Hartz-IV-Systems aus Angst und Armut wird nicht angetastet. Ein wirklicher Bruch mit Hartz IV muss mit höheren Regelsätzen von 580 Euro und einem Ende des Sanktionssystems beginnen.
Die Agenda-Reformen sind zwar tiefgreifend, aber glauben Sie, mit den Nachbesserungen allein ist es getan, so lange es zum Beispiel die Unterschiede zwischen Tarif- und Leiharbeit gibt?
In der Tat brauchen wir große Lösungen angesichts der gesellschaftlichen Verwerfungen. Abstiegsängste und Existenzängste befördern ein gesellschaftliches Klima des Tretens nach unten und der Menschenfeindlichkeit. Deshalb kämpfe ich für eine angstfreie Gesellschaft, in der alle garantiert vor Armut geschützt sind.
Wir stehen vor einer weiteren digitalen Revolution im Bereich der Verwaltungen, bei Versicherungen oder Banken. Was machen die Beschäftigten in zehn Jahren beruflich, wenn sie in ihrem alten Job nicht mehr gebraucht werden?
Die Frage ist, welche Weichen müssen wir stellen, damit die Digitalisierung zu Entlastung, einem höheren Grad an Selbstbestimmung, zu mehr Arbeitsqualität und mehr Lebensqualität für alle führt und nicht einfach zu mehr Ängsten für die vielen und mehr Profiten für einige wenige Internet-Konzerne.
Dazu müssen wir über radikale Arbeitszeitverkürzung reden. 30 Stunden die Woche sind genug. Digitalisierung und Automatisierung rollen uns für dieses Projekt den roten Teppich aus. Denn wenn der technische Fortschritt es möglich macht, immer weniger in immer kürzerer Zeit zu produzieren, sollte das in Form von Zeitwohlstand allen zugutekommen.
Doch diese Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen müssen ja auch finanziert werden, wer soll das alles bezahlen?
Die Internet-Konzerne wie Amazon, Apple, Facebook machen enorme Gewinne, Google macht beispielsweise enorme Gewinne mit den Daten, die die Menschen überall auf der Welt einspeisen. Vor Steuern drücken sie sich dann mithilfe von Steuertricks und Steueroasen.
Wäre da also zukünftig eine Steuer auf digitale Produktionsmittel eine Antwort, wenn der Mensch dem Rechner weichen muss?
Die Frage wäre dann, was ist, wenn komplett neue Fabriken gebaut werden, in der Maschinen und Algorithmen die komplette Arbeit übernehmen und es vorher gar keine Beschäftigten gab. Wie berechnet man dann die Maschinenabgabe? Und das ist keine theoretische Frage. In Asien gibt es bereits komplett dunkle Fabriken, weil dort kein Mensch mehr arbeitet.
Ich bin deshalb eher dafür, die Gewinne besser zu besteuern. Apple zahlte 2014 in Irland 0,005 Prozent Steuern auf seinen Gewinn. Das sind 50 Euro pro einer Million Profit. Die Europäische Kommission schlägt eine Umsatzsteuer auf bestimmte digitale Dienstleistungen vor. Natürlich ist die geplante Digitalsteuer noch nicht die Super-Lösung – die erwarteten EU-weiten Einnahmen stehen mit fünf Milliarden Euro auch in keinem Verhältnis zu den Hunderten Milliarden Euro, die EU-Staaten jährlich wegen der Steuertricks der Multis verlieren. Trotzdem ist das ein Schritt in die richtige Richtung.
Was bei der Neuausrichtung der SPD aufgefallen ist: Zum zukünftigen Umgang mit Flüchtlingen ist überhaupt nichts zu hören.
In den vergangenen Jahren wurde das Thema doch in so ziemlich jeder Talkshow rauf- und runterdiskutiert, während soziale Probleme, wie drohende Altersarmut oder Stress im Job, kaum vorkamen. Ich bin froh, dass jetzt endlich mal die sozialen Alltagssorgen der Millionen in diesem Land wieder besprochen werden.
Aber klare Stellung, so wie Sie diese als Vorsitzende der Linkspartei in der Flüchtlingsfrage bezogen haben, scheint sich ja politisch nicht auszuzahlen, auch innerhalb Ihrer Partei.
Da irren Sie, in der Auseinandersetzung mit der rechten Hetze hat sich die junge Generation politisiert und mobilisiert. Viele haben sich angesichts der Hetze gegen Geflüchtete entschieden, Partei zu ergreifen und dafür einzutreten, dass Menschenrechte unteilbar sind. Der Einsatz dieser vielen ist sehr ermutigend.
Trotz der historisch einmaligen Schwäche der SPD in den vergangenen Jahren hat ihre Partei das jedoch nicht in Wählerstimmen ummünzen können. Woran liegt das?
Es ist längst nicht mehr so, dass die SPD schwach sein muss, damit die Linke wachsen kann. Vielmehr gilt, dass die Hoffnung auf politische Veränderung auch zusammen befördert werden kann. Deshalb gilt es zunächst, Neugierde zu wecken, wie eine grundlegende Alternative aussehen kann. Wir müssen der gesellschaftlichen Fantasie Futter geben, welche Entwicklung im Guten denkbar wäre. Wir wollen ernsthaft was in Bewegung setzen in der Gesellschaft. Um die Weichen für einen Kurswechsel zu stellen, müssen wir ran an die Knotenpunkte der Macht. Nicht als Selbstzweck, sondern um etwas grundlegend zu verändern.
Aber das enttäuschte linke SPD-Wähler nicht bei der Linken landen, sondern bei der AfD muss ja einen Grund haben. War es doch vielleicht ein bisschen viel Streit in den vergangenen Jahren?
Das lag auch daran, dass die öffentlichen Diskurse die Deutungsmuster der ganz Rechten stark gemacht haben, wonach immer Flüchtlinge, Muslime, Migranten und so weiter als Gefahr und Problem behandelt werden. Inzwischen rücken Auseinandersetzungen mit Miethaien wie Vonovia und Deutsche Wohnen sowie mit Internet-Konzernen, die Steuerbetrug im großen Stil betreiben, in den Mittelpunkt. Das ist gut.
Gegen die AfD hilft die Aussicht auf wirkliche Verbesserung, auf wirkliche soziale Sicherheit. Um das umzusetzen, brauchen wir neue fortschrittliche Mehrheiten. An die Adresse von SPD und Grünen sage ich deshalb: Wir drei Parteien links der Union stehen in der Pflicht, eine fortschrittliche Regierungsalternative zu ermöglichen. Das ist unsere Verantwortung gegenüber der Geschichte, gegenüber den Sorgen der Menschen in der Gegenwart und angesichts der großen Zukunftsfragen.