Erich Kästner zählt zu den bekanntesten Autoren Deutschlands. Seine Werke wie „Emil und die Detektive", „Das doppelte Lottchen" und „Das fliegende Klassenzimmer" sind seit Generationen Klassiker der Kinderbuchliteratur und dutzendfach verfilmt worden. Am 23. Februar wäre Kästner 120 Jahre alt geworden.
Man hat Erich Kästner oft gefragt, warum er, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, nicht wie so viele andere Literaten das Land verlassen hat. Es gibt dafür gleich mehrere Gründe. Zum einen verstand sich Kästner als Chronist der Ereignisse, zum anderen wollte er seine geliebte Mutter nicht allein zurücklassen. Oder wie er es selbst formulierte: „Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen / Mich läßt die Heimat nicht fort / Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen – / wenn’s sein muss, in Deutschland verdorrt."
Zum Teil schwingt in der Frage nach seinem Verbleib auch der Vorwurf mit, Kästner habe sich mit dem Nationalsozialismus arrangiert. Tatsächlich war er auch nach der Machtergreifung weiterhin literarisch tätig und lieferte 1942 unter einem Pseudonym sogar das Drehbuch zu „Münchhausen", dem prestigeträchtigen Jubiläumsfilm der Ufa-Filmstudios, der selbst von Propagandaminister Joseph Goebbels sehr gelobt wurde. Doch Erich Kästner war sicher kein Nationalsozialist, sonst wären seine Werke wohl kaum 1933 verbrannt worden – er war sogar selbst anwesend, als seine Bücher Opfer der Flammen wurden.
Vielmehr war Kästner ein Revolutionär. Er hat mit seinen Werken die Kinderbuchliteratur hierzulande grundlegend verändert. Die spielte bis dahin vorwiegend in Märchenwelten. Die Helden waren meist adlige Prinzen und Ritter, die Inhalte häufig moralisierend. Kästners Kinderbücher waren dagegen in der Gegenwart verortet. Die Charaktere waren meist einfache Leute wie Emil Tischbein, Sohn kleinbürgerlich rechtschaffener Leute aus der Provinz – die Hauptfigur aus seinem wohl bekanntesten Werk „Emil und die Detektive", das 1929 erschienen ist.
„Ich glaube schon, dass Kästner einen besonderen Ansatz des Erzählens hat", meint Medienpädagoge Christian Exner im Interview mit „Deutschlandfunk Kultur". „Es ist wirklich Kinderliteratur im Sinne von: Die Kinder stehen voll im Mittelpunkt, ihre Perspektive wird eingenommen. […] Sie wollen die Welt, letztlich auch die der Eltern, ein Stück besser machen, sie wollen Probleme lösen, machen das auf eigene Faust, und da entsteht direkt Spannung."
Mit seiner Mischung aus Abenteuer, Humor und Milieuschilderung ist „Emil und die Detektive" typisch für Erich Kästners Literatur, die auch heute noch gern gelesen wird. „Seit den späten 20er- Jahren sind alle Generationen mit ,Emil und die Detektive‘, dem ,Doppelten Lottchen‘, ,Pünktchen und Anton‘ und dem ,Fliegenden Klassenzimmer‘ aufgewachsen, wenn nicht mit den Büchern, dann mit einer der zahllosen Hör- oder Filmversionen", fasst Sven Hanuschek in seiner Kästner-Biografie zusammen. Doch es sind eben nicht nur Bücher für Kinder, sondern ebenso Bücher für Erwachsene. „Man könnte fast sagen, Erich Kästner ist damit ein Vorläufer von J. K. Rowling und ihrer Harry-Potter-Reihe", heißt es gar auf der Webseite „Kästner für Kinder" von Claudia und Andreas Unkelbach. Es gebe zwar keinen jungen Zauberer, keine Zauberschule und auch keine Eulenpost. „Aber es gibt Jungen und Mädchen, die alle auf ihre eigene Art und Weise mutig sind, oder ängstlich, hilfsbereit oder einfach nur unmöglich."
Lehrerausbildung brach er ab
In „Emil und die Detektive" geht es um den zwölfjährigen Emil Tischbein, der nach Berlin reist, um Verwandte zu besuchen. Seine Mutter hat ihm Geld mitgegeben, das ihm jedoch schon auf der Zugfahrt von einem Mann namens Grundeis gestohlen wird. Emil verfolgt ihn quer durch Berlin und kann den Dieb schließlich mithilfe seiner Freunde dingfest machen. Für die Kriminalgeschichte ließ sich Kästner – der mit erstem Vornamen selbst Emil hieß – von seiner eigenen Biografie beeinflussen. Die Handlung orientiert sich an wahren Begebenheiten aus seiner Kindheit in Dresden, wo er einmal eine Betrügerin verfolgt und gestellt hatte, die seine Mutter, eine Friseurin, geschädigt hatte.
Kästner wurde am 23. Februar 1899 in Dresden geboren, und mit seiner Mutter verband ihn zeit seines Lebens eine enge Bindung. Entsprechend taucht das Mutter-Motiv in seinen Büchern auch immer wieder auf. Kästner wollte ursprünglich Lehrer werden, brach die Ausbildung jedoch vorzeitig ab. Einiges aus dieser Zeit verarbeitete er später in seinem Roman „Das fliegende Klassenzimmer". 1917 wurde er zum Militärdienst einberufen. Um einen Einsatz an der Front kam er im Ersten Weltkrieg zwar herum, doch schon die Brutalität während der Ausbildung genügte, um aus ihm einen Antimilitaristen zu machen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte er später vehement gegen eine Wiederbewaffnung Deutschlands eintreten.
1919 begann Erich Kästner dann in Leipzig ein Studium der Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft. In dieser Zeit fing er an, als Feuilletonist für die „Neue Leipziger Zeitung" zu schreiben und verfasste zunehmend auch kritischere Texte. 1927 kündigte ihm die Zeitung jedoch, weil ein von Erich Ohser illustriertes erotisches Gedicht von ihm als zu frivol eingestuft wurde.
Kästner zog nach Berlin und erlebte dort seine produktivste Zeit. Er verfasste dort nicht nur „Emil und die Detektive", das bis heute in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden ist, sondern mit „Pünktchen und Anton" und dem „Fliegenden Klassenzimmer" weitere Klassiker der Kinderbuchliteratur. Einen wesentlichen Anteil am Erfolg der Bücher hatten dabei auch die liebevollen Illustrationen von Walter Trier.
Elf Jahre Präsident des P.E.N.-Zentrums
Dabei hatte Kästner ursprünglich nie vorgehabt, Geschichten für Kinder zu schreiben. Es war Edith Jacobsohn, die Witwe des „Weltbühne"-Verlegers Siegfried Jacobsohn, die ihn dazu ermunterte. „Es fehlt an guten deutschen Autoren. Schreiben Sie ein Kinderbuch!", soll sie damals zu ihm gesagt haben. Und als er sie bloß staunend anblickte, weshalb sie dabei gerade an ihn dachte, soll sie geantwortet haben: „In Ihren Kurzgeschichten kommen häufig Kinder vor. Davon verstehen Sie eine ganze Menge. Es ist nur noch ein Schritt. Schreiben Sie einmal nicht über Kinder, sondern auch für Kinder!"
Erich Kästner schrieb jedoch auch weiterhin Bücher für Erwachsene. Sein bekanntestes Werk in dieser Hinsicht ist der 1931 veröffentlichte Roman „Fabian – Die Geschichte eines Moralisten", eine Satire auf die Gesellschaft der späten Weimarer Republik, die ihm die Anerkennung anderer bekannter Literaten wie Hans Fallada, Heinrich Mann und Hermann Hesse einbrachte. Nach dem Ende des Nationalsozialismus war sein erstes großes Werk jedoch wieder ein Kinderbuch: „Das doppelte Lottchen", erschienen 1949, der erste Bestseller der Jugendliteratur in der Nachkriegszeit. Bis zum heutigen Tag gab es von dieser Geschichte der beiden Zwillingsschwestern Luise und Lotte allein mehr als zehn Film- und Fernsehadaptionen.
Kästner zog nach München, wo er unter anderem die aufklärerisch-demokratische Kinder- und Jugendzeitschrift „Pinguin" herausgab. Er betrachtete sie als ein probates Mittel, „Kindern und Jugendlichen an anschaulichen Beispielen aus der Geschichte der Menschheit […] vor Augen zu führen, wie die Fehler der Vergangenheit entstanden sind und wie es sich […] vermeiden ließe, sie zu wiederholen." In diese Zeit fällt auch sein Roman „Die Konferenz der Tiere", ebenfalls von 1949, sein wohl kritischstes Kinderbuch. Selbst Walt Disney ging die darin geäußerte Gesellschaftskritik zu weit – er lehnte es daher ab, das Buch zu verfilmen.
In den Jahren danach veröffentlichte Kästner immer weniger. Stattdessen war er von 1951 bis 1962 Präsident des westdeutschen P.E.N.-Zentrums und einer der Begründer der Internationalen Jugendbibliothek in München. 1973 diagnostizierten die Ärzte bei ihm Speiseröhrenkrebs, ein Jahr später – am 29. Juli 1974 – starb Kästner im Alter von 75 Jahren. „Lasst euch die Kindheit nicht austreiben!", hat er einmal gesagt. „Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Ihr Leben kommt ihnen vor wie eine Dauerwurst, die sie allmählich aufessen, und was gegessen worden ist, existiert nicht mehr." Vielleicht ist es an der Zeit, seine Bücher wieder einmal hervorzukramen, um die Erinnerung an die eigene Kindheit ein bisschen aufzufrischen.