Der Sound des 33-jährigen Nick Waterhouse greift auf die 50er- und 60er-Jahre zurück und besitzt doch die Coolness und Energie der Gegenwart. Jetzt hat er sein viertes Album fertiggestellt und es schlicht „Nick Waterhouse" betitelt. Es ist introvertierter und rauer als seine bisherigen Platten. Ein Interview über verlorene Kulturgüter, Streamingdienste und die Schönheit des Klangs.
Herr Waterhouse, Ihr aktuelles Album „Nick Waterhouse" wurde im Electro Vox Recorders, dem angeblich besten Studio von Los Angeles, aufgenommen. Dort haben in den 40er- und 50er-Jahren Bing Crosby, Nat King Cole, Charlie Parker und Dizzy Gillespie gearbeitet. Hat Sie das stimuliert?
Definitiv. Ich bin sehr an Musikgeschichte interessiert. Ich finde es wichtig, dass die populäre amerikanische Kultur erhalten bleibt. Viele meinen, das sei keine Hochkultur, weshalb man lange keinen Sinn darin sah, bestimmte Dinge aufzubewahren beziehungsweise zu erhalten. Das Problem in Amerika ist, dass die Erhaltung von Kulturgütern oft in privaten Händen liegt. Das nützt vor allem dem Erhalter. Gewisse Teile der Rock’n’Roll- und Popkultur sind übermäßig erhalten. Auf der anderen Seite habe ich Horrorgeschichten gehört von Studios, die massenhaft historische Tonbänder weggeworfen haben. Das ist typisch für Amerika. Das Land hat eine Gedächtnisstörung.
Andererseits hat das National Museum of American History vor einiger Zeit den Film „Slayer: The Origins of Thrash in San Francisco" ausgestellt. Wohlgemerkt handelt es sich hier um ziemlich extreme Musik.
Das ist natürlich cool, aber es werden immer nur bestimmte Elemente bewahrt. Die Frage ist: Was darf überleben und was soll verschwinden? Als Slayer vor 35 Jahren anfingen, wurde ihre Musik in Amerika sicher nicht als Hochkultur angesehen.
Wieso hat von den vielen Studios in Los Angeles ausgerechnet das kleine Electro Vox Recorders überlebt?
Dass ein legendäres Studio wie Electro Vox Recorders die Jahrzehnte überdauert hat, ist reiner Zufall. Es hat damit zu tun, dass es der Filmindustrie gehört, die über viel Geld verfügt. An solch einem Ort Musik aufnehmen zu dürfen, macht mich demütig, auch wenn das Studio selbst nicht unbedingt beeindruckend ist. Aber es macht etwas mit einem Musiker, wie ein Aufnahmeraum gestaltet ist. Der Sound, für den dieses Studio steht, hat mich sehr beeinflusst. Ich habe aber nicht gespürt, dass dort die Geister von Bing Crosby oder Nat King Cole umhergehen. Dafür war ich einfach zu sehr auf die Musik konzentriert.
Was ist eigentlich das Besondere an diesem Studio?
Electro Vox Recorders war die Blaupause für viele andere klassische Sound-Schmieden in Los Angeles wie Stan Ross’ berühmte Gold Star Studios, die heute leider nicht mehr existieren. Ross hat übrigens zehn Jahre im Electro Vox gearbeitet und den Raum ausgemessen, um sich in Hollywood ein eigenes Studio zu bauen. Ab den späten 50er-Jahren entstanden dort größere Studios, weil sich die Musikindustrie von Chicago nach Los Angeles verlagerte, wo mehr und mehr üppige Soundtracks aufgenommen wurden. Im Electro Vox sind damals viele genial-rumpelige Rock’n’Roll- und R’n’B-Platten entstanden. Sie verwenden übrigens noch immer die wunderschönen AKG-, RCA- und Neumann-U47-Originalmikrofone. Jedes davon klingt anders.
Ist eine klassische Albumproduktion sehr viel teurer als eine rein digitale?
Ich habe von Leuten gehört, die digital aufgenommen und dabei eine Menge Geld verschwendet haben. (lacht) Es ist nicht teurer, aber arbeitsintensiver. Und Tonbänder sind teuer. Ich habe diese Platte wahrscheinlich wesentlich günstiger hergestellt als ein Major-Act eine digitale Platte machen würde. Aber es war immer noch sehr viel Geld für mich.
Sind Sie nicht bereit, Kompromisse einzugehen?
Ich mache keine Kompromisse, was meine Musik angeht. Das war bei mir schon immer so. Künstlerisch würde ich gern noch viele andere Sachen ausprobieren, aber manchmal bin ich nur damit beschäftigt, meine Art zu arbeiten zu verteidigen.
Welchen Herausforderungen haben Sie sich diesmal gestellt?
Ich wollte eine bestimmte Arbeitsweise etablieren. Dafür habe ich neue und alte Methoden zu einem System zusammengefügt, das für mich funktioniert. Ich habe mir wie bei einem Bankraub Spezialisten aus verschiedenen Bereichen gesucht, die mein Konzept kennen. Ich bin kein großer Star, das macht es mir nicht leicht, Experten zu finden. Als ich endlich die logistische Hürde genommen hatte, musste ich noch das Bestmögliche aus mir als Musiker herausholen.
Wie ticken Ihre Mitspieler?
Sie glauben alle an das, was ich tue. Ich bin wie der Regisseur eines Theaterstücks. Manche meiner Musiker sind Hardcore-Jazzer, andere spielen Americana-, Gospel-, Swing oder Avantgarde-Musik. Aber wenn sie mit mir zusammen sind, spielen sie meine Musik, weil sie einfach meine Sprache verstehen. Dazu gehört, dass sie einfachere Sachen spielen als sonst. Kurzum: Sie dienen meiner Vision.
Wo finden Sie als Texter Inspiration?
Ich lese gerne moderne Romane und die Gedichte von Hart Crane. Ich versuche, die Einfachheit und Direktheit von alten Rhythm & Blues-Platten auf meine Musik zu übertragen. Ich schreibe Songs im Stile von Leiber und Stoller über moderne Themen wie Gentrifizierung, digitale Medien, Beziehungen oder Machtdynamik.
In welcher Situation haben Sie „Songs For Winners" geschrieben?
In diesem Text breche ich das Globale auf das Persönliche herunter. Viele Menschen neigen dazu, ihre Ideale aufzugeben, wenn sie ein lukratives Angebot bekommen. Manche Künstler werden auf diese Weise von Verlierern zu Gewinnern. Es ist ein sehr amerikanischer Song, weil unser Volk aufs Gewinnen fixiert ist. Das hat wahrscheinlich etwas mit der Angst der Amerikaner vor der eigenen Sterblichkeit zu tun. (lacht)
Wie entstehen Ihre Songs?
In meinem Kopf. Ich schreibe praktisch überall: im Café, im Zug, im Bus. Zu Hause arbeite ich dann die Ideen am Piano aus. Diese Platte habe ich jedoch auf einer Gitarre geschrieben, zum Teil sogar auf Tour. Ich mache mir in der Regel Notizen oder nehme Ideen mit dem Handy auf.
Ist die Produktion eines Songs genauso wichtig wie alles andere?
Absolut! Eine Platte ist wie ein Gemälde. Die Textur eines Bildes ist genauso wichtig wie das Motiv selbst. Bei meiner Musik hört man mit geschlossenen Augen präzise den Raum zwischen der Gitarre, den Bläsern, der Orgel oder dem Piano. Meine Musik erzeugt eine bestimmte Atmosphäre und Stimmung. Der Sound ist mir genauso wichtig wie der Text oder die Noten.
Ist das Plattenmachen manchmal ein Mysterium?
Ja, besonders wenn man es so macht wie ich. Moderne Musik entsteht im Studio, Schicht für Schicht. Bei mir jedoch sind alle Musiker zur selben Zeit in einem Raum. Bei dieser Platte waren es sieben bis zehn Leute. Die Bläser standen alle an einem Mikrofon, aber das Schlagzeugmikrofon hat sie auch mit aufgenommen und umgekehrt. Das Ergebnis klingt phänomenal, weil alle in Harmonie sind.
Haben Sie bei Ihrer Plattenfirma für ein höheres Budget gekämpft?
Ich habe diese Platte aus eigener Tasche finanziert. Ein Glücksspiel! Ich bin jetzt wieder bei demselben Indie-Label, das meine ersten drei Alben herausgebracht hat. Diese Platte war ein Test, ob ich mich immer noch genötigt sehe, dies alles zu tun. Die Antwort lautet: Ja. Deswegen heißt die Platte auch so wie ich.
Was wäre die Alternative gewesen?
Ein Job in einem ruhigen Buchladen. Ich hatte solche Jobs schon. Als ich meine erste Platte machte, arbeitete ich als Redakteur bei einer Nachrichtenagentur. Eine Zeit lang war ich in einem noblen Café und bei einer kleinen Blues-Plattenfirma beschäftigt.
Sammeln Sie Schallplatten?
Ja, meine Leidenschaft sind alte Singles. Die haben übrigens auch einen großen Einfluss auf meine Musik. Eine Single ist ein Statement, das mag ich an diesem Format. Slim Harpo zum Beispiel war ein Künstler, der vor allem in Singles gedacht hat. Wir denken jetzt darüber nach, aus meinem Album eine 45er auszukoppeln.
Macht das Sinn in Zeiten von Streamingdiensten?
Eine Vinylsingle ist heutzutage ein Luxusgut. Sie repräsentiert die Kultur, aus der ich komme. Aber ich bin natürlich auch auf Spotify. Heutzutage hat man gar keine andere Wahl.
Ist das gut?
Vielleicht. Ich weiß es nicht. Für mich als Musikkonsument ist es jedenfalls nicht gut. Streamingdienste rotten vieles von dem aus, was mir etwas bedeutet: Plattenläden zum Beispiel. Es macht auch keinen Spaß, sich auf diese Weise Musik anzuhören. Man scrollt sich ewig durch die Songlisten und vergisst dabei, was man sich eigentlich anhören wollte. Es ist doch viel schöner, zu Hause vor dem Plattenregal zu stehen und sich in aller Ruhe zu entscheiden.
Hören Ihre Eltern Ihre Musik auf Vinyl?
Nein, meine Eltern haben gar keinen Plattenspieler. Sie benutzen Spotify.