Der frühere Nationalspieler Thomas Hitzlsperger ist neuer Sportvorstand beim VfB Stuttgart. Sein erster Job auf diesem Führungsniveau hat es in sich. Doch er ist ja auch ein ganz besonderer Typ.
Seinen Titel wird Thomas Hitzlsperger schwerlich verteidigen können. Im vergangenen Jahr wurde der frühere Nationalspieler für den Fußball-Spruch des Jahres geehrt. Als ARD-Experte hatte er vor dem WM-Spiel der deutschen Elf gegen Schweden gesagt: „Die Schweden sind wie die Mittdreißiger in der Disco: Hinten reinstellen und warten, ob sich was ergibt." Eine Jury der „Akademie für Fußball-Kultur" suchte den Spruch für eine Vorauswahl aus, die Besucher der Fußball-Kulturgala in Nürnberg wählten ihn schließlich mit überragender Mehrheit als bestes Zitat des Jahres aus.
Doch seit dem 12. Februar hat der 36-Jährige eine neue Aufgabe. Nach der Entlassung von Sportvorstand Michael Reschke wurde Hitzlsperger zum Sportvorstand des VfB Stuttgart befördert. Und in dieser Funktion werden von ihm so ziemlich als Letztes lockere Sprüche erwartet.
Die Lage ist nicht nur ernst, sie ist bedrohlich beim VfB. Nachdem die Stuttgarter in der vergangenen Saison überraschend die zweitbeste Rückrunden-Mannschaft gestellt und das Team im Sommer teuer verstärkt hatten, waren sie für viele ein Geheimtipp auf einen Europacup-Platz. Doch es lief schon zu Saisonbeginn so ziemlich alles schief im Schwabenland. Der gebürtige Stuttgarter Tayfun Korkut, der im Januar 2018 voller Skepsis empfangen worden war und nach der tollen Rückrunde euphorisch gefeiert wurde, musste schon nach dem siebten Spieltag seinen Trainerstuhl räumen. Doch auch unter Markus Weinzierl wurde es nicht besser: Elf der ersten 15 Spiele unter dem früheren Augsburger und Schalker Coach verlor der VfB und steckt seitdem im allerdicksten Abstiegs-Schlamassel.
Zudem rumort es kräftig im Umfeld. Die Fans fordern die Ablösung von Präsident Wolfgang Dietrich. Der Unternehmer und frühere Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21 ist für die Anhänger inzwischen der Hauptschuldige für den Absturz. Die Trennungen von Trainer Hannes Wolf und Manager Jan Schindelmeiser werden ihm noch nachgetragen. Und auch im Aufsichtsrat geht es hoch her. Anfang Februar dieses Jahres trat der 1990er-Weltmeister Guido Buchwald aus dem Gremium zurück und gab ein gestörtes Vertrauensverhältnis zu seinen Kollegen als Grund an. Nach Informationen der „Bild"-Zeitung war er nach dem 2:2 gegen Freiburg in der VIP-Loge beschimpft worden. Eine Woche später wurde schließlich Reschke entlassen.
Entlassung von Michael Reschke
Und auch wenn es in der Natur von Trainern und Managern liegt, dass sie meist in stürmischen Zeiten ihren Dienst antreten, ist das alles andere als ein leichtes Umfeld für einen Berufseinsteiger. Denn das ist Thomas Hitzlsperger nun einmal als Sportvorstand. Doch es gibt auch viele Dinge, die für ihn sprechen. Der 36-Jährige kennt den Verein in- und auswendig und ist bei den Fans extrem beliebt. Fünf Jahre spielte er für den VfB, war Kapitän, 2007 führte er den Verein zur Meisterschaft. Im entscheidenden letzten Saisonspiel gegen Cottbus erzielte „Hitz the Hammer", wie sie ihn wegen seiner Schussgewalt nannten, nach Rückstand mit einem Volleyschuss aus 20 Metern den Ausgleich, ehe Sami Khedira den umjubelten Meistertreffer erzielte. Schon seit Juni 2016 ist er als Funktionär zurück. Er begann als „Beauftragter des Vorstands in der Schnittstelle zwischen dem Lizenzspielerbereich und der Vereinsführung". 2017 wurde er mit 94,2 Prozent ins Präsidium gewählt, nicht einmal ein Jahr später erfolgte der Aufstieg zum Direktor des Nachwuchsleistungszentrums. „Ich habe gelernt, ein Team zu führen", sagt er heute über diese Zeit. Er will damit sagen, dass er sich gut vorbereitet fühlt.
Doch wie gesagt: Die Zeiten sind stürmisch. Schon nach dem ersten Spiel seiner Amtszeit, einer 1:3-Heimniederlage gegen RB Leipzig, musste der neue Sportchef in Interviews vor allem die Frage beantworten, ob Weinzierl denn Trainer bleibe oder entlassen werde. Und eine Woche später, nach dem eigentlich beachtlichen 1:1 bei Werder Bremen, auch wieder. Für Witze und Sprüche war da kein Platz. Doch Hitzlsperger, der wegen seiner Führungsposition bei einem Bundesligisten natürlich künftig nicht mehr als ARD-Experte tätig sein wird, löste die Aufgaben souverän und gut. Da haben sich weitaus erfahrenere Kollegen schon schlechter verkauft, in Widersprüche verwickelt und mächtig verheddert. Hitzlsperger erwies sich aber auch dort sofort als Profi. Und der gebürtige Münchner ist auch ein ganz besonderer Typ. Einer der spannendsten und vielseitigsten in diesem Geschäft.
Geboren wurde er 1982 in München als jüngstes von sieben Geschwistern. Er hat fünf Brüder und eine Schwester. Im Alter von sieben Jahren wechselte er schon in die Jugend-Abteilung des FC Bayern, wo er sämtliche Nachwuchsmannschaften durchlief. Mit 18 verließ er schließlich die Heimat und ging zu Aston Villa nach England, wo er schon ein halbes Jahr später gegen den FC Liverpool in der Premier League debütierte. Nach fünf Jahren auf der Insel kamen die fünf in Stuttgart, danach spielte Hitzlsperger noch für Lazio Rom, West Ham United, den VfL Wolfsburg und den FC Everton. Für Deutschland absolvierte er 52 A-Länderspiele, gehörte bei der Heim-WM 2006 und der EM 2008 zum Kader. Schon im Profi-Geschäft war Hitzlsperger einer der auffiel, weil er immer über den Tellerrand schaute. Er setzt sich für viele soziale Projekte ein, meist im Kampf gegen Rassismus. So unterstützt er den Verein „Gesicht Zeigen!", der für ein weltoffenes Deutschland wirbt. Bei der Vergabe des „Julius-Hirsch-Preises", der Personen und Organisationen ehrt, die in besonderer Weise ihre gesellschaftliche Position nutzen, um sich für Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit einzusetzen, bekam er 2011 den Ehrenpreis. Zudem unterstützt er das Projekt „Ubuntu", das sich um HIV-positive Kinder in Südafrika kümmert. Zudem schrieb er Kolumnen in der Wochenzeitung „Die Zeit" und war als Gast für eine Ausgabe als Chefredakteur von „11 Freunde" tätig.
Outing nach Karriereende
Für besonderes Aufsehen sorgte er schließlich im Januar 2014, als er in einem „Zeit"-Interview als erster prominenter deutscher Profi-Fußballer öffentlich erklärte, homosexuell zu sein. Hitzlsperger war damals zwar schon nicht mehr aktiv, seine Karriere hatte er schon im Alter von 31 Jahren wegen einer Verletzung beenden müssen, dennoch erforderte sie in der damaligen Zeit durchaus Mut. Es sei „wie ein Sprung vom Zehnmeterturm" gewesen, sagte er vier Jahre später, wieder der „Zeit". „Ich habe vorher lange überlegt, jetzt wollte ich springen, aber es war immer noch ein diffuses Gefühl zwischen Unsicherheit und Sorge. Dann bin ich gesprungen. Ich bin eingetaucht – und ohne Verletzungen wieder aufgetaucht." Viele hätten ihm abgeraten, deshalb habe es so lange gedauert. „Die größte Überraschung ist aber wohl, dass ich vier Jahre später über gar keine dramatischen Ereignisse sprechen kann", sagte er Ende 2017. Auch in seiner ländlich-konservativen Heimat seien die Reaktionen „fast erschreckend unspektakulär abgelaufen".
Hitzlsperger war aber der Vorreiter, und so musste er doch zumindest einige Male aktiv wegschauen oder weghören. So berichtete der Head of Social Media von Sky Sports, Michael Winnebeck, nach der Beförderung zum Sportvorstand bei Twitter: „Bitter: unzählige homophobe Kommentare unter den Hitzlsperger-Posts auf unseren Social Media Kanälen. Da kommst du mit Löschen nicht mehr hinterher. Dass dies in der Form und der Masse stattfindet, gehört zur dunklen Seite dieses schönen Jobs."
Doch Thomas Hitzlsperger kann weghören. Vor allem aber ist er jemand, der auf Menschen zugeht; der kommunikativ ist und der auch in Krisensituationen immer ruhig, kontrolliert und fokussiert bleibt. All das wird ihm in dieser schwierigen Zeit beim VfB sicher helfen. Ahnung von Fußball hat er sowieso. Doch weil er auch selbstkritisch ist und nicht davon ausgeht, alle Probleme alleine bewältigen zu können, will er schnell einen Sportdirektor verpflichten. „Ich wünsche mir starke Partner an meiner Seite. Leute, die sehr viel von Fußball verstehen und kritisch mit mir, mit uns, umgehen", sagt er. „Je früher wir starke Leute in den Verein reinkriegen, desto besser."
Eine starke Person an der Spitze der sportlichen Leitung hat der VfB nun auf jeden Fall. Kein Witz. Ob das reicht, wird sich zeigen.