Das einst so erfolgsverwöhnte Team McLaren geht mit dem neuen Fahrer-Duo Carlos Sainz und Lando Norris in die neue Formel-1-Saison. Und ein Bayer, Ex-Porsche-Rennleiter Andreas Seidl, soll als neuer Teamchef den angeschlagenen Rennstall zurück zu alter Stärke führen.
Was ist nur aus dem früheren Top-Team McLaren mit acht Konstrukteurs- und zwölf Fahrer-Weltmeisterschaften geworden? Ayrton Senna (1988, 1990 und 1991) und Alain Prost (1985, 1986 und 1989) feierten mit der ehemaligen Supermacht je drei Mal die Weltmeisterschaft und sind die erfolgreichsten Fahrer des Teams. Firmengründer Bruce McLaren würde sich im neuseeländischen Auckland in seinem Grab wälzen, sähe er die Bilanz des vergangenen Jahrzehnts. Lewis Hamilton, heute fünfmaliger Champion und Mercedes-Starfahrer, bescherte dem britischen Traditions-Rennstall im Jahr 2008 den letzten Fahrer-Titel. Die letzte Konstrukteurs-WM liegt sogar 20 Jahre zurück (1998). Der letzte Formel-1-Sieg datiert aus dem Jahr 2012 (Brasilien, Jenson Button). Als zweitältestes (erstes F1-Rennen in Monaco 1966) und zweiterfolgreichstes Formel-1-Team nach Ferrari bestritt McLaren 842 Grands Prix und heimste 182 Siege ein (Ferrari 970 GP/234 Siege). Soweit eine beeindruckende Statistik aus der goldenen McLaren-Ära. Zahlen lügen nicht. Zurück in die Gegenwart.
Partner Renault als Wurzel allen Übels identifiziert
Die Erfolglosigkeit hielt auch in der vergangenen Saison an – und hat einen Namen: Standfestigkeit. Sie sorgte für die McLaren-Misere. Und immer wenn es bei McLaren nicht richtig lief, wurde die Schuld meistens auf Motorenpartner Renault geschoben. Die Franzosen wurden mehrfach öffentlich kritisiert. Wie schon im Jahr zuvor bekam auch der japanische Triebwerkslieferant Honda sein Fett weg, wenn die Ergebnisse ausblieben. Nach drei Jahren (2015 bis 2017) war die Ehe mit den Asiaten kläglich gescheitert. McLaren bandelte mit Renault an. Mit den französischen Motoren wollte McLaren 2018 durchstarten und die drei Top-Teams Mercedes, Ferrari und Red Bull angreifen. Doch man blamierte sich bis auf die Knochen. Die 180-Grad-Wende brachte nicht den gewünschten Aufschwung. Der neue Partner Renault wurde als Wurzel allen Übels identifiziert. Dass die französischen Aggregate aber auch für Siege gut sind, demonstrierten sie im Heck der Red-Bull-Boliden. Daniel Ricciardo und Max Verstappen fuhren jeweils zwei Siege ein, der Australier in China und Monaco, der Niederländer in Österreich und Mexiko. Der McLaren-Truppe aber fiel es schwer, eigene erhebliche Unzulänglichkeiten in der Entwicklung einzuräumen. Schwachpunkt war das Chassis, das schlicht und einfach missraten war.
Da kann man sich nur noch wundern, dass das Team aus Woking am Saisonende 2018 auf Platz sechs in der Konstrukteurswertung stand. Zu verdanken hat die Truppe dieses Resultat ihrem Starpiloten Fernando Alonso. Von den 62 Punkten für das Team holte der Spanier dank seiner Beharrlichkeit und fahrerischen Klasse 50 Zähler, er wurde Elfter in der Fahrerwertung. Den Rest, zwölf Zähler, besorgte Stoffel Vandoorne. Der Belgier landete unter den 20 Fahrern auf Rang 16. Fazit der vergangenen Saison: McLaren hatte stark angefangen und nach der Sommerpause stark nachgelassen. Zunächst hatte McLaren-Renault einen ganz passablen Start hingelegt, stürzte im Saisonverlauf aber gnadenlos ab. Zeitweise duellierte sich der blasse Rennstall mit Williams um die rote Laterne.
Diese Saison soll erneut eine Wende eingeleitet werden. Mit neuen Gesichtern im Personalaufbau – auch im McLaren-Cockpit. Lando Norris heißt der direkte Nachfolger des glück- und erfolglosen Stoffel Vandoorne. Für den Belgier, als hoch gepriesenes Nachwuchstalent 2017 zu McLaren gekommen, waren seine zwei Jahre bei den Briten ein reines Desaster. Sein Pech war, dass er den zweimaligen Weltmeister Fernando Alonso (2005, 2006) als Teamkollege an seiner Seite hatte. McLarens Erfolgsgarant vergangener Jahre demütigte und erniedrigte Vandoorne nach allen Regeln der Kunst. In allen 21 Zeitenjagden im Qualifying zog der 26-Jährige den Kürzeren. Highlights waren Fehlanzeige. Soweit zum aussortierten einstigen Supertalent Stoffel Vandoorne.
McLarens neues Supertalent Lando Norris soll es besser machen als sein Vorgänger. Der mit 19 Jahren jüngste Fahrer im 20-köpfigen Starterfeld will aus Vandoornes Fehlern lernen. „Ich muss einfach mit den Ingenieuren, der Chefetage und wem auch immer verstehen, was er nicht gut genug gemacht hat und sicherstellen, dass ich mich in diesen Bereichen besser anstelle als mein Vorgänger", hat sich der junge Lando vorgenommen. Der Rookie, der teilweise noch unter Welpenschutz steht, ist sich auch bewusst, dass er jetzt viel mehr im Fokus der Motorsport-Welt steht als zu Zeiten, in denen er durch die Nachwuchsklassen raste. „Ich weiß: Mache ich einen kleinen Fehler, ist es in den Medien. Viel mehr Leute werden ihn sehen. Fehler werden passieren. Kein Fahrer ist perfekt, es passiert auch anderen. Es geht darum zu wissen, dass Fehler dazugehören, und auf was ich achten muss und auf was nicht." McLarens Big Boss, Geschäftsführer Zak Brown, ist sich sicher, dass Lando „ein paar Fehler machen wird. Und das ist in Ordnung, solange er den Fehler nicht ein zweites Mal macht." Das sei die goldene Regel, so der US-Amerikaner aus Kalifornien, der seit Ende 2016 das Ruder bei McLaren in der Hand hat.
„Ich möchte meinen Teamkollegen schlagen"
Zurück zu Lando Norris. Der Rohdiamant durchlief die Vorstufen zur Königsklasse in einer unglaublichen Erfolgsserie: 2014 war er als 14-Jähriger jüngster Kart-Weltmeister, 2015 Gewinner der britischen Formel-4-Meisterschaft, 2016 Erster im Formel Renault 2.0 Eurocup, 2017 Gewinner der europäischen Formel-3-Meisterschaft und 2018 Vizemeister in der Formel 2. Nach seinem Durchmarsch durch die Formel-Klassen hat es Norris zwölf Jahre nach Lewis Hamilton in lediglich vier Jahren als jüngster britischer Rennfahrer in die Formel 1 geschafft. Lando, benannt nach dem „Star Wars"-Helden Lando Calrissian, ist für McLaren kein unbeschriebenes Blatt. Er ist ein Eigengewächs. Lando ist seit Anfang 2017 Teil des „Young Driver"-Programms von McLaren, als er zunächst als Test- und Simulatorfahrer nach Woking kam. Im gleichen Jahr testete er in Abu Dhabi erstmals für McLaren, weitere Tests folgten 2018 nach den Rennen in Ungarn und Spanien. Noch im gleichen Jahr durfte der Brite schon als Freitagsfahrer ran, um ein wenig GP-Luft zu schnuppern. Sein Ziel: „Ich möchte einfach sauber durch diese Saison kommen und mir Selbstvertrauen für die Zukunft erarbeiten. Und natürlich meinen Teamkollegen schlagen", so Norris im Interview mit „Motorsport aktuell".
Landos Teamkollege ist Carlos Sainz, ebenfalls ein Neuzugang. Der Spanier ist Nachfolger seines Landsmanns Fernando Alonso, der nach drei Jahren bekanntlich freiwillig die Flucht ergriffen hatte. Sainz, Sohn der Rallye-Legende Carlos Sainz, ist nach vier Jahren und 81 Grands Prix zwar eine gestandene Größe in der Formel 1, aber bei Weitem kein Kaliber wie Alonso. Der 24-Jährige übernimmt nach seiner Ausbildung bei Toro Rosso (2015 bis 2017) und einem Zwischenstopp bei Renault (2018) die Rolle des Teamleaders. „Wir haben eine frische Fahrerpaarung, ein beeindruckendes Duo. Carlos und Lando sind die neue Generation von McLaren-Fahrern, um das Team nach vorne zu führen", wird Geschäftsführer Brown zitiert. „Wir wünschen uns, dass sie richtig hart gegeneinander Rennen fahren, wobei sie allerdings gut miteinander klarkommen sollten. Sie sind auch nette Burschen", so der bullige Amerikaner. Mit einem Durchschnittsalter von 21,5 Jahren bilden Sainz und Norris das jüngste Fahrer-Duo im Feld.
Zu dem Umbauprozess – neben der neuen Fahrerbesetzung – gehört auch in der Teamführung eine wichtige, neue Schlüsselfigur. Und die heißt Andreas Seidl. „Er wird uns als Managing Director beitreten und das Formel-1-Team leiten und verantwortlich sein für alle Aspekte des Formel-1-Programms", heißt es in der McLaren-Presseaussendung über den wichtigsten Neuzugang am Kommandostand. Der 43-jährige Passauer hatte äußerst erfolgreich das Porsche-Langstreckenprogramm geleitet. Der Oberbayer hat die Schwaben als Rennleiter, Teamchef, Chefstratege und perfektionistischer Ingenieur in der Sportwagen-Weltmeisterschaft drei Mal zum WM-Titel und in Le Mans drei Mal zum Gesamtsieg geführt. Mit der „hochkompetenten Führungspersönlichkeit" (O-Ton Brown) in Person von Andreas Seidl soll er 2019 das Ruder herumreißen und das arg ins Schlingern geratene Team endlich wieder zurück auf die Erfolgsspur führen und so den Abwärtstrend stoppen.
Für McLaren wird es nach einem Jahrzehnt der Dürre 2019 keine Ausreden mehr geben. Vom Angriff auf die Top Drei spricht noch keiner. Doch zumindest im Mittelfeld sollte McLaren mit der Neuausrichtung wieder eine feste Größe sein – auch ohne das asturische Zugpferd Alonso. Und sich nicht mit den Hinterbänklern um die rote Laterne duellieren.