Gordon Banks war der wohl größte Torwart, den England je hervorgebracht hat. Auf sein Konto geht die beste Parade überhaupt. Nach ihm kam nur Peter Shilton, der ihn damals aus seinem Verein und der Nationalmannschaft verdrängte. Weitere große Torhüter sind in England eher Mangelware.
Denkt die heutige Generation an die Torhüter der Engländer, bleiben keine Namen aufgrund außerordentlich guter Leistungen hängen. Da sind höchstens irgendwelche Pannen und Tölpeleien präsent – das Internet ist voll davon. Dabei hatten die Engländer durchaus gute Keeper und einige sehr gute. Auf der nächsten Stufe kommt dann Peter Shilton, doch es gibt einen, der über allen stand und steht: Gordon Banks. Im Fußballerleben ist es oft so, dass nur eine ganz besondere Aktion, in der die Karriere kurz den Höhepunkt erreicht, auf ewig mit dem eigenen Namen verbunden wird – Mario Götze kann ein Lied davon singen. Für Banks war es der 7. Juni 1970 im mexikanischen Guadalajara. England war, so kann es sich heute keiner mehr vorstellen, Weltmeister und reiste als Titelverteidiger zur Weltmeisterschaft.
Vier Jahre zuvor triumphierten sie in Wembley – und Banks war ihr Weltmeistertorwart. Genau an diesem 7. Juni galt es dann für die Engländer, ihren Mann zu stehen. Ihre Kontrahenten waren die Brasilianer mit Ausnahmefußballer Pelé. In der 10. Minute schlug Jairzinho eine Flanke von rechts in den Strafraum, Pelé stieg mustergültig nach oben, traf den Ball optimal und wuchtete ihn in die linke untere Ecke des Tors. Er schrie, so ist es zumindest überliefert, schon laut „Tor", doch hatte die Rechnung ohne Banks gemacht. „Und dann, so wie ein Lachs einen Wasserfall hochspringt, warf er sich nach dem Ball und lenkte ihn aus dem Tor", sagte Pelé. Banks hechtete raubtierartig in die Ecke, bekam die Hand noch an den Ball und rettete, was nicht mehr zu retten schien. Brasilien gewann die Partie zwar am Ende doch mit 1:0, das haben viele mittlerweile aber vergessen. Auf ewig in Erinnerung geblieben ist aber diese Parade und ging als „the greatest save on earth" in die Geschichte ein. „Als ich nach dem Ball tauchte, musste ich antizipieren, wie hoch der Ball abspringen würde." Dieser sei dann an der Spitze seiner Hand gelandet, er habe aber gedacht, der Ball würde im Netz landen. Sein erster Gedanke danach: „Du Glückspilz. Doch dann realisierte ich, dass es wohl ziemlich speziell war." Im Team England erlebte Banks unter Trainer Sir Alf Ramsey den größten Triumph seiner Karriere mit dem Sieg über Deutschland vor eigenem Publikum 1966. Vier Jahre später und nur eine Woche nach seiner größten Parade gegen Pelé musste er allerdings auch eine seiner bittersten Torwarttage erleben. Statt im WM-Viertelfinale gegen Deutschland zu brillieren, musste er mit einer Magenverstimmung tatenlos vor dem Fernseher sehen, wie Uwe Seelers Hinterkopf und Gerd Müllers Torinstinkt den Traum von der Titelverteidigung zerstörten. Auch weil sein Vertreter Peter Bonetti einen haltbaren Kullerball von Franz Beckenbauer passieren ließ und das bis dahin 0:2 zurückliegende DFB-Team dadurch überhaupt ins Spiel brachte.
Banks war auf dem Fußballplatz eine stereotype britische Erscheinung. Große Ohren, prägnanter Oberkiefer. Seine längeren dunklen Haare konterkarierten den typisch britischen Look. Lange Zeit hielt er, wie damals nicht ganz unüblich, noch ohne Handschuhe. In den späten 60er- und frühen 70er-Jahren war Banks in der noch bis heute dauernden Hochphase der englischen Nationalmannschaft aktiv. Den Spitznamen „Banks of England" verpassten die Engländer ihm aufgrund seiner schnellen Reflexe. Diese bekamen auch die Deutschen im WM-Finale 1966 zu spüren. Seine Leistung wird durch die Diskussionen über das Wembley-Tor noch bis heute überschattet. Er wurde sechs Mal vom Weltverband Fifa zum Torhüter des Jahres gekürt und außerdem nach dem Russen Lew Jaschin als zweitbester Torwart des Jahrhunderts ausgezeichnet. Für die Nationalmannschaft spielte Banks 73 Mal, erstklassig war er zwischen 1958 und 1973 in England aktiv. Trotz seiner 73 Länderspiele wechselte Banks nie zu einem großen Club. Mit 21 Jahren debütierte der Sohn eines Anbieters von illegalen Sportwetten aus der Stahlarbeiter-Stadt Sheffield in der First Division bei Leicester. Ein Jahr nach dem WM-Titel wurde Banks bei Leicester ausgemustert. Acht Jahre hielt er für Leicester, wurde dort zum Nationalspieler und Weltmeister, bis er von einem 16 Jahre alten und ehrgeizigem jungen Torwart verdrängt wurde: Peter Shilton. Banks floh mehr oder weniger zu Stoke, wurde auch dort zu einer Vereinsikone. Er blieb auch dort Nationaltorwart, bis sein Rivale Shilton so weit war, ihn erneut abzulösen. Je ein Sieg im Ligacup mit Leicester und Stoke blieben die einzigen Club-Trophäen in seiner Sammlung. 628 Mal war er in England in der ersten Liga auf dem Platz – bis dann im Oktober 1972 ein Autounfall seine Karriere plötzlich beendete.
„Das war wohl ziemlich speziell"
Banks verlor bei dem Unfall das Sehvermögen auf einem Auge. Es reichte noch, um die Karriere in den USA bei den Fort Lauderdale Strikers ausklingen zu lassen, jenem Klub also, der seinerzeit auch Gerd Müller beschäftigte. Trotz seiner Blindheit auf einem Auge konnte er auch dort die Auszeichnung des besten Keepers einheimsen.
Doch die Statistik wird dem Mann aus den Midlands im zentralen England nicht gerecht. Gordon Banks war in seinem Spielstil ein kleiner Revolutionär, er machte das Spiel schneller. Seine Abwürfe nach vorne kamen ganz flink, schon vor der Parade schien er den freistehenden Mann im Kopf zu haben. Da ließ er selten wertvolle Zeit verstreichen – statt sich feiern zu lassen, kurbelte er lieber das Spiel nach vorn an. Mit seinen 1,85 Metern war er zudem für damalige Verhältnisse relativ groß gewachsen, er konnte seine Beine ganz gut einsetzen, auch beim Abwehren von Schüssen. Und als Mann aus den Midlands hatte er Humor. Über die Rettungstat gegen Pelé bei der WM 1970 hat Gordon Banks gesagt: „Die Parade nach Pelés Kopfball war die beste, die ich je gemacht habe. Mir war natürlich nicht klar, wie berühmt die Szene werden sollte. Um ehrlich zu sein: Ich habe damals gar nicht realisiert, dass ich diese Parade überhaupt gemacht habe."
Und trotz des frühen Verlustes seines Bruders und der Blindheit auf einem Auge verlor er nie seine Lebenslust. Auch nicht, als er 2005 wegen Krebs eine seiner Nieren verlor. 2015 kam der Krebs zurück. „Wenn ich gegen Pelé, den Größten der Welt, eine solche Parade zeigen konnte, dann werde ich auch dieses gesundheitliche Problem erfolgreich bekämpfen können", lachte er in einem Interview. Er sollte leider nicht recht behalten. Vor eineinhalb Jahren war er noch bei der Gruppenauslosung für die WM 2018 in Moskau dabei. Doch Mitte Februar verlor er den Kampf um sein Leben, wie sein ehemaliger Club Stoke auf Twitter bekanntgab. „Einer der absolut Größten", meldete sich Geoff Hurst, der im WM-Final 1966 drei Tore, darunter das berühmte „Wembley-Tor", erzielt hatte, auf Twitter zu Wort. „Gordon war ein fantastischer Goalie, und ich war stolz, ihn als Teamkollegen zu haben", fügte der legendäre Bobby Charlton auf dem Twitter-Account von Manchester United hinzu. Ehre wem Ehre gebührt. Manche sagen sogar, Banks wäre nur so groß in den Köpfen der Fans, weil nach ihm nur noch Shilton kam, der zumindest an einen Legendenstatus heranreichen konnte. Dass nach Banks kaum noch ein bekannter Keeper nachkam, lag aber nicht in dessen Hand. In seiner Karriere sorgte er vor allem mit der letzten Weltmeisterschaft der Engländer für einen Meilenstein – die Parade gegen Pelé mal außen vor. Für ihn persönlich war es aber nicht mal die größte Tat seiner Karriere. So überraschte er in seiner Autobiografie mit dem Hinweis, dass ihm 1971 im Spiel seines Clubs Stoke City gegen Manchester City eine noch bessere Aktion gelungen sei. Sonst aber durfte niemand in England unwidersprochen einen abgewehrten Ball mit jener Parade gegen Pelé vergleichen. Das war nur ihm selbst vorbehalten. Dem bescheidenen Gentleman, der neben vielen anderen Fußballern auch den besten der Welt zur Verzweiflung brachte.
Auch nach seinem Tod redeten viele über ihn. Seine Nachfolger hatten es bis auf Shilton da schwerer: David Seaman, David James, Paul Robinson, Robert Green, Joe Hart – über Jahrzehnte war die Torwartposition die große Schwachstelle im Spiel der „Three Lions". Sie alle „haben einen groben Schnitzer produziert, der sie in ihren Albträumen für immer verfolgt", schrieb das Magazin „FourFourTwo". Immerhin: Der amtierende Nationaltorwart Jordan Pickford spielte im vergangenen Sommer eine vernünftige WM. Aber ein Banks wird wohl auch er nicht werden.