Herr Leinen, das Europa-Papier von Frau Kramp-Karrenbauer sollte eine Antwort auf das Europa-Manifest des französischen Präsidenten Macron sein. Wie ordnet der Europaabgeordnete Jo Leinen das ein?
Auf den französischen Staatspräsidenten müsste die Bundeskanzlerin antworten, das wäre die richtige Ebene. Annegret Kramp-Karrenbauer hat als Chefin des Konrad-Adenauer-Hauses, also als Chefin der CDU-Zentrale geantwortet. Da merkt man auch die Querschläger mit dem Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg, den sie aufgeben will, und anderen Vorschlägen von Macron, die sie rundweg ablehnt aus konservativer Sicht über Europa. Also das war kein guter Dienst an der deutsch-französischen Freundschaft und auch nicht an der Weiterentwicklung der Europäischen Union.
Macrons Konzept war ja nicht sein erster Vorstoß. Wie werden die Absagen an eine Reihe seiner Vorschläge gewertet?
Kramp-Karrenbauer propagiert ein konservatives Bild von Europa: Europa ist die Wirtschaft, Europa ist der Binnenmarkt. Und gleichzeitig verneint sie den sozialen Zusammenhalt, den wir in Europa brauchen, also der Kampf gegen Armut, wenn man arbeitet mit einem Mindestlohn, und wenn man alt ist mit einer Mindestrente, und ähnliche Instrumente, die wir entwickeln müssen. Und sie hat auch Spitzen gegen die Europäische Union als Gemeinschaftsmethode und hofiert ein zwischenstaatliches Europa der Regierungen. Ich meine: Wir sind nicht mehr beim Wiener Kongress, wo Regierungen etwas verabreden. Wir sind im 21. Jahrhundert, wo Parlamente entscheiden. Es ist ein sehr merkwürdiger Mischmasch, der aus dem Konrad-Adenauer-Haus in die Welt gesetzt wurde.
Welche Konsequenz wird die Positionierung der CDU-Vorsitzenden haben?
Nun, sie hat ein konservatives Bild von Europa: Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Das Soziale soll nationale Politik bleiben, die Wirtschaft soll Europapolitik sein. Das kommt ja nicht zusammen, im Gegenteil, das zerreißt Europa. Wir brauchen dringend eine soziale Dimension in der Europapolitik und gemeinsame Bemühungen, um die Kluft zwischen arm und reich in Europa zu schließen.
Jo Leinen ist seit 1999 Mitglied im Europäischen Parlament. Die Saar-SPD hat Leinen erneut zum Spitzenkandidaten für die Europawahl am 26. Mai aufgestellt, auf der Bundesliste der SPD wurde Leinen auf Platz 20 gewählt.