Seit einem Jahr ist Heiko Maas Bundesaußenminister. 300.000 Kilometer war er rund um den Erdball im Einsatz. Beim Abstecher in die Heimat lieferte er eine Standortbestimmung über große Herausforderungen und Europa vor der Wahl.
Es ist die Bühne, die er jahrelang bespielt hat. Ein Stück Heimat. Und ein Termin, auf den er – bei allen globalen Herausforderungen – nicht verzichten wollte. Bei aller Aufmerksamkeit, bis hin zu einer langen Schlange von Parteifreunden, die nicht ohne ein Foto mit dem Bundesaußenminister nach Hause gehen wollten, dürfte der Abend beim traditionellen politischen Aschermittwoch seiner Saar-SPD in der Niedtalhalle in Rehlingen-Siersburg eine wohltuende Verortung gewesen sein. Wie kaum ein anderer Spitzenpolitiker hat Maas einen Blick auf ein Weltgeschehen, das ein so völlig anderes Bild bietet als die gewohnt gut gefüllten Schüsseln mit Pellkartoffeln zum Heringsessen.
Es war der Tag, an dem Maas den deutschen Botschafter aus Venezuela zu Konsultationen zurückrief, dem Land, in dem der Machtkampf auch um die Grundversorgung der Bevölkerung ausgetragen wird und Stromausfälle Menschenleben fordern. Der Botschafter sei „auf meinen ausdrücklichen Wunsch" zur Rückkehr von Juan Guaidó gefahren, um mit seiner Anwesenheit eine drohende Verhaftung des Mannes zu verhindern, der unter anderem von Deutschland als Interimspräsident anerkannt worden war. Das wiederum wurde in einem Gutachten des Bundestags als ungewöhnlich für eine deutsche Bundesregierung eingeordnet. Die Grenze zur üblichen Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Staates ist damit tangiert, was Die Linke im Bundestag als einen Tabubruch und die Entscheidung „völkerrechtlich auf dünnem Eis" sieht. Maas seinerseits mahnt, man könne „gerade im linken Spektrum dem Treiben in Venezuela nicht tatenlos zusehen" und bekräftigt: „Wir werden eintreten für faire, freie, demokratische Wahlen, und ob unser Botschafter zur Persona non grata erklärt wird oder nicht, wird dran auch nichts ändern".
Was Maas vor einer Partei, die sich auf einen Kommunalwahlkampf einstimmt, deutlicht macht: Das, was sich im Norden Südamerikas abspielt, ist gar nicht so weit weg, wie es ein Blick auf den Globus zu zeigen scheint. Von den Entwicklungen in anderen Teilen der Welt ist die Frage nach der Rolle und Zukunft Europas, in dessen Herzen sich das Saarland sieht, nicht weit. In der Venezuela-Krise hat zwar mehr als ein Dutzend EU-Staaten klar Position bezogen, nachdem zuvor das Europäische Parlament dazu aufgerufen hatte, aber beispielsweise Italien zeigte sich zögerlich. Offenbar war die rechtspopulistische Regierung besorgt, mit einem Votum Russland zu verärgern. Auch in Wien herrschte zunächst Zurückhaltung, die aber offenbar auf Drängen von Deutschland und Frankreich aufgegeben wurde. Eine gemeinsame EU-Außenpolitik bleibt angesichts nationaler Interessen mehr als schwierig, wäre aber in einer Welt, in der sich derzeit alles neu sortiert, auch mehr als dringend geboten. Der Außenminister bemüht nicht nur in diesem Zusammenhang die berühmte Erkenntnis eines der Gründungsväter der Europäischen Union und neben anderen großen Europäern einer der ersten Karlspreisträger (1957), den Belgier Paul-Henri Spaak: „In Europa gibt es nur zwei Typen von Staaten: kleine Staaten und Staaten, die noch nicht verstanden haben, dass sie klein sind." Ein Zitat, das angesichts des Erstarkens nationaler Bewegungen und Parteien neue Aktualität gewinnt.
„Nicht bereit, tatenlos zuzusehen"
Aus Sicht des Außenministers stellen sich vier große Herausforderungen: Globalisierung, Digitalisierung, Migration und Klimawandel. „So unterschiedlich sie sein mögen, sie haben eins gemeinsam: Sie sind grenzenlos." Weshalb klar ist: „Wer in einer solchen Welt glaubt, dass man das in den Griff bekommt mit Antworten, die rein nationale Antworten sind, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt." Als Außenminister formuliert Maas noch vergleichsweise zurückhaltend, klarer wird er, wenn es um den Wahlkampf zur bevorstehenden Europawahl geht: „Das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann, ist, dass in Zukunft im Europäischen Parlament, also der Herzkammer der Europäischen Union, immer mehr Nationalisten und Populisten den Ton angeben und damit die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union auch noch von innen aushöhlen. Denn das ist deren Ziel." Und damit zielt er nicht nur auf den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der in den Wahlkampf ziehe, „um Europa, wie wir es kennen, zu zerstören".
Allerdings steht Europa mit dieser Entwicklung nicht allein da. „Wir erleben überall, im Westen, Osten, Norden, Süden, dass es Kräfte gibt, die stärker werden, die den Leuten vormachen wollen, dass eine Rückbesinnung auf das Nationale am ehesten geeignet ist, ihre Probleme zu lösen. Das ist ein großer Irrglaube, der aber nicht ungeschickt vorgetragen wird, weil wir natürlich auch feststellen, dass die Komplexität der Welt … den Menschen zuviel geworden ist." Eine Antwort müsse sein, Europa zu einem für die Menschen erlebbaren sozialen Projekt zu machen, damit sie weniger anfällig für „Rattenfänger bei den Populisten" seien.
Stärkere Einigkeit der Europäer fordert Maas auch angesichts der Entwicklungen der USA unter Präsident Trump. Wenn im Weißen Haus Entscheidungen nach dem Prinzip fallen, Gegner der Vereinigten Staaten seien Russland, China und die Europäische Union, „dann müssen wir uns darauf einstellen, dass wir unsere Werte und Interessen noch intensiver gemeinsam vertreten".
Am meisten treibt den Außenminister allerdings eine Entwicklung um, die sich an der Kündigung des INF-Vertrags zwischen den USA und Russland festmachen lässt. Eigentlich seien beide Länder ohnehin nicht an bilateralen Vereinbarungen interessiert, weil längst Länder wie China, Pakistan, Indien oder Nordkorea die gleichen Waffensysteme entwickeln würden oder schon längst hätten, auf deren Abrüstung sich Washington und Moskau 1987 verständigt hätten. „Wenn wir so weitermachen, dann droht uns, dass nicht nur Abrüstungsverträge, die in der Vergangenheit mit viel Mühe geschlossen wurden, gekündigt werden. Dann drohen wir, in eine Zeit zu geraten, in der wieder aufgerüstet wird – und zwar nicht nur in zwei Blöcken, sondern jeder gegen jeden. Und dass das die Welt nicht sicherer macht, sondern sie viel unsicherer wird, das müsste jedem einleuchten."
Als Konsequenz kündigt der Außenminister noch für März eine Konferenz in Berlin an, mit dem Ziel, „dass Abrüstung und Rüstungskontrollarchitektur wieder auf die internationale Tagesordnung kommt", und will im April die deutsche Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat ebenfalls dafür nutzen. Womit er klare Ziele deutscher Außenpolitik definiert und sich selbst in die Tradition der Friedenspolitik eines Willy Brandt stellt. Er sei „nicht bereit, tatenlos zuzusehen", wenn wieder aufgerüstet werde mit Raketen, autonomen Waffensystemen, Cyberwaffen, Killerrobotic „und was es alles gibt".